16. März 2018
Fiktive Kosten Werkvertrag
Maritime Wirtschaft Commercial

BGH: Kein Ersatz fiktiver Kosten im Werkvertragsrecht

Der BGH ändert seine bisherige Rechtsprechung zu den Ansprüchen des Bestellers von Werkleistungen, der vorhandene Mängel nicht beseitigen lässt.

Mit einer wegweisenden Entscheidung vom 22. Februar 2018 (BGH, Az.: VII ZR 46/17) zur Berechnung von Schadensersatzansprüchen im Werkvertragsrecht beschreitet das höchste deutsche Zivilgericht neue Pfade: Künftig ist es nicht mehr möglich, Schadensersatz statt der Leistung auf Basis von fiktiven Mängelbeseitigungskosten geltend zu machen.

Der Streitfall

Der Entscheidung lag folgender Fall zugrunde: Beim Neubau eines Hauses wurden Kalksteinplatten verlegt. Diese Natursteinarbeiten erwiesen sich später als mangelhaft; es kam unter anderem zu Rissen und Ablösungen. Der Besteller ließ diesen Mangel nicht beseitigen, sondern verlangte Schadensersatz in Geld (sog. „kleiner Schadensersatz„, §§ 634 Nr.4, 280, 281 BGB). Die Höhe des Anspruchs berechnete der Besteller auf Grundlage der Kosten, die für eine Beseitigung des Mangels angefallen wären („fiktive Mängelbeseitigungskosten„).

Künftig unzulässig: Abrechnung fiktiver Mängelbeseitigungskosten

Nach bisheriger Rechtsprechung war eine solche Vorgehensweise bei Werkmängeln zulässig. Auch im Kaufrecht ist die Liquidation fiktiver Mängelbeseitigungskosten als Methode für die Berechnung des kleinen Schadensersatzes anerkannt (BGH, Urteil vom 15. Juni 2012 – V ZR 198/11, Urteil v. 29. April 2015 – VIII ZR 104/14).

Diese Vorgehensweise hat in der Praxis vor allem den Vorteil, dass ein so berechneter Schaden mit verhältnismäßig geringem Aufwand dokumentiert und überprüft werden kann. Sie ist dennoch bedenklich, weil sie zu dem Ergebnis führen kann, dass der Schadensersatzanspruch des Bestellers deutlich höher ausfällt als sein tatsächlicher Vermögensschaden. Eine solche „Überkompensation″ widerspricht den Grundsätzen des deutschen Schadensersatzrechts („Totalreparation„).

Grundregel zur Schadensberechnung – die Vermögensbilanz

Die allgemeingültige Methode zur Schadensermittlung ist der Gesamtvermögensvergleich im Wege einer Vermögensbilanz. Im oben geschilderten Fall wäre also die tatsächliche Vermögenslage des Bestellers zu vergleichen mit seiner hypothetischen Vermögenslage bei Hinwegdenken des Mangels an den Natursteinarbeiten. Diese Berechnung führt zu dem gesetzlich gewollten Ergebnis, dass der tatsächliche Vermögensnachteil voll ausgeglichen wird. Der Geschädigte hingegen soll keinen zusätzlichen Vorteil erhalten. In der Praxis kann die Umsetzung dieser Methode aber sehr aufwändig sein.

Alternative Schadensberechnung entsprechend der Minderung

Da der meist einfachere Weg einer Liquidation fiktiver Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht nun versperrt ist, zeigt der BGH eine alternative Methode der Schadensberechnung auf. Diese ist weniger aufwändig, als ein Gesamtvermögensvergleich: Ein Mangelschaden kann – wenn die Mangelbeseitigung unterbleibt – auch in der Art ermittelt werden, dass der Minderwert des Werks wegen des nicht beseitigten Mangels geschätzt wird (§ 287 ZPO), unter Heranziehung der Grundsätze zur Minderung (§§ 634 Nr. 3, 638 BGB).

Der finanzielle Unterschied zu der bisher zulässigen Abrechnung fiktiver Mängelbeseitigungskosten kann sehr groß sein, weil der Minderwert in der Regel nicht höher ausfallen kann, als das anteilige Entgelt für die mangelhafte Leistung, wohingegen eine spätere Mangelbeseitigung oft wesentlich kostspieliger ist.

Anwendungsbereich der neuen Rechtsprechung nur bei fiktiven Kosten

Zu beachten ist, dass diese neue Rechtsprechung nur dann einschlägig ist, wenn es um fiktive Kosten geht, der Besteller den Mangel also nicht beheben lässt. Die Rechte auf Mangelbeseitigung oder auf Vorschuss und Kostenerstattung für eine Selbstvornahme werden durch das Urteil nicht beschränkt. Auch die Schadensberechnung in Fällen, in denen der Besteller den Mangel auf eigene Kosten beseitigt und seinen Aufwand als Schadensersatz geltend macht, lässt der BGH unangetastet.

Im Gegenzug stellt die Entscheidung klar, dass der Besteller, der den Mangel nachträglich doch noch beseitigen will, auch dann noch Vorschuss gemäß §§ 634 Nr. 2, 637 BGB fordern kann, wenn er zuvor schon Schadensersatz statt der Leistung gefordert hatte. § 281 Abs. 4 BGB habe zwar den Ausschluss eines Nacherfüllungsverlangens zur Folge, nicht aber den Ausschluss einer Vorschussforderung für eine Selbstvornahme.

Die Entscheidung stellt ferner klar, dass diese Grundsätze nicht nur für Werkverträge nach BGB gelten, sondern auch für VOB/B-Verträge. Sie erstreckt sich weiter auf Schadensersatzansprüche gegen den Architekten wegen mangelhafter Planung und Überwachung, allerdings mit Besonderheiten beim Vermögensvergleich in Fällen, in denen der Besteller den Mangel beseitigen lässt (Nachteile und Risiken der Vorfinanzierung erhöhen den ersatzfähigen Schaden des Bestellers).

Erstreckung auf Kauf- und Sachschadensrecht offen

Es bleibt abzuwarten, ob sich diese dogmatisch überzeugende Ansicht zur Schadensermittlung auch in anderen Rechtsgebieten (Mängel beim Kauf, Sachschäden) durchsetzt. Der VII. Zivilsenat vermied eine Abstimmung mit den für das Kaufrecht zuständigen Senaten indem er ausführte, die neue Rechtsprechung beziehe sich nur auf das Werkvertragsrecht, wo die Liquidation fiktiver Mängelbeseitigungskosten typischerweise zu einer ganz erheblichen Überkompensation des Geschädigten führe. Als zwingend erscheint diese Differenzierung jedenfalls nicht. Es wäre durchaus vorstellbar, dass sich auch in anderen Rechtsgebieten die Ansicht durchsetzen könnte, dass Bequemlichkeit bei der Schadensfeststellung oder ‑abwicklung keine Durchbrechung die Prinzipien des Schadensersatzrechts rechtfertigen sollte.

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