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Ausland Carl Bildt

„Ganz einfach, Europa muss liefern“

„Priorität hat die Stabilisierung der Ukraine“

Kriseneinsatz für die EU-Außenminister: In Luxemburg beraten sie über die Situation in der Ukraine. Schwedens Außenminister Carl Bildt droht Russland im „Welt“-Interview mit verschärften Sanktionen.

Quelle: Die Welt

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Schwedens Außenminister Carl Bildt verlangt eine Debatte über die Führung Europas und eine koordinierte Energiepolitik. Der Konservative warnt zudem vor Illusionen über Demokratie in der EU.

Europas Außenminister sind im Dauerkriseneinsatz: Ukraine, der Irak und Syrien sind nur drei Brände, die ausgetreten werden wollen. Schwedens Außenminister Carl Bildt hat sich mit seinen europäischen Amtskollegen getroffen. In Brüssel drohten sie Russland mit verschärften Sanktionen, falls Moskau den Friedensplan für die Ostukraine nicht unterstützt. Bildt beschuldigte Putin zudem, einen Propagandakrieg in der Ukraine und seiner Heimat zu führen.

Die Welt: Am Donnerstag treffen sich die EU-Staats- und -Regierungschefs in Brüssel, um sich auf den nächsten Kommissionspräsidenten zu einigen. War es eine gute Idee, Spitzenkandidaten für die Europawahl festzulegen, von denen hinterher viele nichts mehr wissen wollten?

Carl Bildt: Ich war von Anfang an sehr skeptisch, was die Spitzenkandidaten anbelangt, und ich habe daraus auch nie einen Hehl gemacht. Meine Befürchtung war, dass die Ernennung von Spitzenkandidaten den ganzen Prozess unnötig verkomplizieren würde – und es hat sich leider gezeigt, dass ich recht hatte. Es ist immer schlecht, wenn man keinen Spielraum für Kompromisse mehr hat.

Die Welt: Das Europäische Parlament besteht aber darauf: Vor der Wahl sagen, wer hinterher der Chef wird, sei demokratisch. Das sehen Sie anders?

Carl Bildt: Durch die Änderungen im Vertrag von Lissabon wurde die Rolle des Europäischen Parlaments gestärkt. Aber das heißt ja noch lange nicht, dass die Versammlung der Regierungschefs – also der Rat – deshalb nichts mehr zu sagen hätte. Es muss eine breite Koalition geben, sowohl das Parlament als auch der Rat müssen den Kommissionspräsidenten absegnen. Europa funktioniert nun einmal nicht wie ein Mitgliedsland, es ist keine parlamentarische Demokratie, in der die Parlamentsmehrheit automatisch die Regierung stellt.

Die Welt: Sieht Ihre Frau, die ja nun zufällig schwedische Europaabgeordnete ist, das genauso?

Carl Bildt: (lacht) Natürlich nicht, meine Frau sieht das ganz anders. Aber man muss ja nicht immer einer Meinung sein.

Die Welt: Hat das Gezerre um die Nominierung als EU-Kommissionspräsident Ihren konservativen Parteifreund Jean-Claude Juncker beschädigt?

Carl Bildt: Ich würde nicht sagen, dass Jean-Claude Juncker beschädigt wurde in dem Prozess. Wenn er zum EU-Kommissionspräsidenten ernannt wird, muss er sich an seiner Leistung messen lassen. Es gilt, Brücken zu jenen zu bauen, die ihm kritisch gegenüberstehen. Damit meine ich natürlich vor allem die Briten.

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Die Welt: Aber ist Jean-Claude Juncker denn ganz grundsätzlich überhaupt der Richtige für den Job?

Carl Bildt: Das wird sich erst hinterher zeigen, am Ende seiner Amtszeit. Ich kenne Jean-Claude Juncker schon lange: Er ist ein begabter und gewiefter Politiker, der sehr viel Erfahrung im europäischen Geschäft hat.

Die Welt: Aber diese Erfahrung wird ihm ja von manchen auch als Nachteil ausgelegt. Martin Schulz etwa sprach von der „Hinterzimmerpolitik“, für die Juncker stehe. Zu Recht?

Carl Bildt: Politische Erfahrung zu haben ist nie ein Nachteil, aber Erfahrung allein reicht nicht. Man muss als Politiker vor allem in der Lage sein, Kompromisse zu schließen und Brücken zu bauen. Das wird immer wichtiger, je zersplitterter die Parteienlandschaft ist und je mehr Transparenz herrscht durch soziale Medien. Diese Veränderungen verlangen den Politikern mehr Einsatz ab, aber sie schaffen auch mehr Demokratie – und das ist gut so.

Die Welt: Es gibt ja noch andere EU-Spitzenjobs, die zu vergeben sind. Wer sollte Catherine Ashton als EU-Außenbeauftragte beerben – vielleicht jemand, der die europäische Außenpolitik sichtbarer macht?

Carl Bildt: Das würde ich so nicht sagen, es gab eine ganze Reihe an außenpolitischen Vorstößen und Vermittlungsversuchen seitens der EU. Wir sind an vielen Fronten gleichzeitig unterwegs: in der Ukraine, bei den Atomverhandlungen mit dem Iran, in Syrien. Die außenpolitischen Herausforderungen nehmen eher zu als ab.

Die Welt: Niemand bezweifelt die Herausforderungen. Weniger erkennbar hingegen ist eine abgestimmte europäische Außenpolitik.

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Carl Bildt: Aber wir waren in vielen Fragen noch nie so geeint wie derzeit! Catherine Ashton musste sich viel Kritik anhören. Aber wenn man einmal bedenkt, dass es ihr Amt vor fünf Jahren noch gar nicht gab, dann hat sie Enormes erreicht. Sie hat eine Verständigung zwischen Serbien und dem Kosovo ausgehandelt, unter ihrer Ägide ist Bewegung in die Iranfrage gekommen. Natürlich muss man sehen, wohin das am Ende führt – aber all das unterstreicht doch nur den wachsenden Bedarf einer integrierten europäischen Außenpolitik.

Die Welt: Die Lage in der Ostukraine gerät immer weiter außer Kontrolle. Wer muss sich in dem Konflikt am meisten bewegen?

Carl Bildt: Moskau steht am stärksten unter Druck, zu einer Lösung des Ukrainekonflikts beizutragen. Was mich sehr beunruhigt ist, dass immer mehr Waffen und Ausrüstung über die russische Grenze einfließen. Hinzu kommt eine immer aggressivere Propaganda der Russen. Das macht die Lage explosiv.

Die Welt: Kann der Friedensplan des ukrainischen Präsidenten die Lage stabilisieren?

Carl Bildt: Poroschenkos Plan könnte tatsächlich die Voraussetzungen für Frieden schaffen – vorausgesetzt, der Kreml unterstützt ihn. Alles hängt davon ab, ob die ukrainisch-russische Grenze wieder kontrolliert wird. Selbstverständlich kann Moskau diesen Grenzübergang für Waffen und Kämpfer schließen, aber Putin muss diesen Schritt eben wollen.

Die Welt: Was kann helfen, Putin davon zu überzeugen – die nächste Stufe wirtschaftlicher Sanktionen?

Carl Bildt: Fakt ist doch, dass wir bislang noch gar keine wirklichen Sanktionen verhängt haben. Wir haben Einreiseverbote beschlossen und Konten eingefroren. Allein diese beiden Schritte haben der russischen Wirtschaft bereits erheblich geschadet. Wir sehen die Folgen davon schon: Das Kapital fließt aus Russland ab, die klugen Köpfe verlassen das Land, es gibt im Gegenzug kaum noch ausländische Investitionen. Wir setzten nicht auf unmittelbare, dramatische Effekte – sondern auf mittel- und langfristige Folgen, die den Kreml bereits jetzt in Panik versetzen.

Die Welt: Klingt nicht nach einer schnellen Lösung, oder?

Carl Bildt: Wir brauchen den langen Atem, wir werden hier keine Ergebnisse innerhalb von Tagen sehen. Am Montag beschließen die EU-Außenminister neue Handelsbeschränkungen gegenüber Russland. Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass wir die illegale Annexion der Krim durch Moskau nicht anerkennen. Und deshalb auch den freien Handel mit Produkten und Akteuren, die mit der Krim zu tun haben, nicht zulassen wollen. Durch solche Schritte können wir Russland treffen, denn das Land muss dringend modernisiert werden.

Die Welt: Die EU droht seit Monaten mit neuen Wirtschaftssanktionen, ist aber zögerlich, sie zu verhängen. Weil es das letzte Mittel ist?

Carl Bildt: Wenn Russland weiter zur Destabilisierung der Lage in der Ukraine beiträgt, müssen wir uns auch bewegen und den nächsten Schritt gehen. Der Schlüssel liegt nicht unbedingt in Sanktionen gegen Russland, sondern vielmehr darin, der Ukraine zu helfen.

Die Welt: Aber läuft das nicht auf das Gleiche hinaus?

Carl Bildt: Nein, das sind zwei verschiedene Dinge. Russland destabilisiert, wir stabilisieren. Wir haben die Wahlen in der Ukraine unterstützt und helfen jetzt weiter zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds. Wenn es uns gelingt, die Ukraine auf ihrem Weg zu Wirtschaftsreformen und Demokratie zu begleiten, dann ist viel erreicht. Eine stabile Ukraine ist das, was Putin am meisten fürchtet.

Die Welt: Die Europäer hingegen fürchten, nächsten Winter zu frieren, wenn Putin den Gashahn zudreht.

Carl Bildt: Das wir nicht passieren, in Europa muss niemand wegen der Ukrainekrise frieren. Bis dahin wird es eine Lösung geben, die Parteien haben sich zuletzt doch merklich angenähert. Auf jeden Fall sollten wir in naher Zukunft über Energiepolitik auf europäischer Ebene reden, daran gibt es keinen Zweifel.

Die Welt: Welches Ziel verfolgt Putin, worum geht es ihm am Ende?

Carl Bildt: Russlands Präsident will sein Regime weiter festigen. Ich denke nicht, dass er eine Neuauflage der Sowjetunion anstrebt. Aber er wird versuchen, seinen Einflussbereich weiter auszudehnen.

Die Welt: Weder Finnland noch Schweden sind derzeit Mitglieder der Nato. Ändert sich das bald?

Carl Bildt: Derzeit gibt es in Schweden keine Mehrheit für einen Nato-Beitritt, nur etwa ein Drittel der Bevölkerung ist momentan dafür. Unabhängig davon wird Schweden niemals ohne Finnland beitreten. Und die Finnen sind wegen geschichtlicher Erfahrungen und der geografischen Nähe zu Russland weit davon entfernt, Nato-Mitglied zu werden. Wir konzentrieren uns deshalb auf unsere nordische Kooperation mit den Nachbarländern.

Die Welt: Die Herausforderungen für die EU sind enorm: Von außen drängen die Flüchtlinge herein, von innen schwindet die Zustimmung zum europäischen Projekt. Welches Problem ist schwerer zu lösen?

Carl Bildt: Die beiden Fragen hängen zusammen. Wenn die EU nur als große Schlacht um Posten in Brüssel gesehen wird, dann haben wir ein Problem. Aber wenn die EU als große Gemeinschaft begriffen wird, die Lösungen für Probleme wie Migration, Wirtschaft oder Sicherheit sucht, dann verschwindet das Legitimitätsproblem von selbst.

Die Welt: Sollte Deutschland stärker dabei führen?

Carl Bildt: Naja, ich denke, Deutschland nimmt schon eine sehr starke Rolle in der EU ein. Angela Merkel ist wahrscheinlich die gewichtigste politische Führungsfigur innerhalb der EU. Aus unserer Sicht macht die Kanzlerin ihren Job gut. Sowohl im Ukrainekonflikt als auch während der Wirtschaftskrise hat sie Stärke bewiesen.

Die Welt: Die Bundeskanzlerin versucht zudem, die Briten in der Union zu halten. Aber ist nicht auch eine EU ohne die Briten denkbar?

Carl Bildt: Es wäre ein herber Schlag für die EU, wenn die Briten austreten würden. Großbritannien ist nach Deutschland die zweitgrößte Wirtschaftsmacht Europas. Hinzu kommt, dass die Briten in außenpolitischen Fragen starkes Gewicht haben. Ein Austritt der Briten würde die EU als Global Player deutlich schwächen.

Die Welt: Wäre die Idee Europas mit einem Austritt der Briten gescheitert?

Carl Bildt: Ja, wenn eines der wichtigsten Länder die EU verlässt, wäre die europäische Idee sicherlich gescheitert.

Die Welt: Ein Thema, mit dem in Europa Wahlkampf gemacht wurde, ist die Flüchtlingspolitik. Der Ansturm der Migranten nimmt zu, die Europäer wirken hilflos in ihrem Umgang damit. Wie soll es weitergehen?

Carl Bildt: Wir Schweden wünschen uns eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge unter den Ländern Europas. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Was macht man mit Tausenden Flüchtlingen, die an der Küste Siziliens stranden und eigentlich nur weiter nach Schweden oder Deutschland wollen? Man kann die Menschen nicht aufhalten. Wir müssen gemeinsam versuchen, Lösungen zu finden.

Die Welt: Dass diese Lösungen bislang noch nicht gefunden werden, gibt den Rechtspopulisten in Europa ein Thema – und Auftrieb. Was tun?

Carl Bildt: Rechtspopulismus in Europa wird zu sehr über einen Kamm geschert, dabei muss man die einzelnen Bewegungen und ihre Ursachen betrachten. Der Vormarsch der Front National zum Beispiel ist Ausdruck der politischen Malaise in Frankreich – eine Reaktion also auf die Schwäche der Regierung Hollande. Ukip hingegen, die erfolgreichen Populisten aus Großbritannien, haben eine klar antieuropäische Agenda, die sich gegen Einwanderungspolitik richtet.

Die Welt: Was kann Europa dem entgegensetzen?

Carl Bildt: Ganz einfach, Europa muss liefern. Und selbst wenn Brüssel Gutes tut, kommt das bei den Bürgern in den EU-Mitgliedsstaaten häufig gar nicht an. Wir begreifen die Annehmlichkeiten wie beispielsweise die offenen Grenzen als selbstverständlich. Brüssel wird nur für Probleme verantwortlich gemacht, nicht aber für die Errungenschaften. Das müssen wir dringend ändern und neu über Europa und seine politische Führung diskutieren. Dann merken am Ende vielleicht sogar die Bürger, was sie an Europa haben.

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