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Mittelohrentzündung

Diagnose mittels Smartphone-App

Forscher der Universität Washington in Seattle haben eine Anwendung entwickelt, die Flüssigkeitsansammlungen im Mittelohr bei Kindern schnell und einfach mit dem Smartphone erkennt. Ergebnisse klinischer Anwendungsbeobachtungen veröffentlichten die Wissenschaftler um Dr. Justin Chan im Fachjournal »Science Translational Medicine«.
Michelle Haß
21.05.2019  08:00 Uhr

Flüssigkeit im Mittelohr tritt vor allem bei einer akuten Mittelohentzündung auf und ist ein Indikator für Ohrinfektionen. Die App der Wissenschaftler ermöglicht es, solche Flüssigkeitsansammlungen allein mit den Smartphone und einem kleinen Stück Papier, das zu einem kleinen Trichter gefaltet wird, zu diagnostizieren. Sie nutzt dafür das Prinzip der akustischen Reflektometrie.

Die App sendet 150 Millisekunden lang ein akustisches Signal durch den Trichter ins Ohr aus. Dieses wird am Trommelfell reflektiert und durch die Mikrofone des Smartphones wieder aufgefangen. Flüssigkeit im Mittelohr schränkt die Beweglichkeit des Trommelfells so ein, dass sich dessen akustische Eigenschaften merkbar verändern und ein anderes Reflexionsmuster entsteht. Diese wird detektiert und durch eine Software ausgewertet. Den Algorithmus hierfür entwickelten die Forscher an 53 Kindern, bei denen eine sichere Diagnose vorlag.

Das Team teste die App an 98 Patienten des Seattles Childrens´s Hospitals im Alter zwischen 18 Monaten und 17 Jahren. Bei knapp der Hälfte der Probanden sollte die Platzierung eines Paukenröhrchens stattfinden, was auf eine bestehende Mittelohentzündung und somit Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr hinweist. Ein in der Anwendung geschulter Arzt führt die Untersuchung mittels App durch. Bei 84,6 Prozent der Patienten mit Flüssigkeitsansammlung identifiziert die App diese korrekt (Sensitivität). Die Spezifität betrug 81,9 Prozent, das heißt: Von denjenigen ohne Flüssigkeitsansammlung wurden 81,9 Prozent korrekt identifiziert. In der klinischen Anwendung zeigte sich somit die Smartphone-App gegenüber der Standard-Diagnosemethode mit einer Sensitivität von 76,9 Prozent und einer Spezifität von 77,8 Prozent überlegen.

Untersuchungen an 15 Kindern unter 18 Monaten (mittleres Alter 1,1 Jahre) zeigten, dass die Software auch hier anwendbar ist. Darüber hinaus testete das Forscherteam den Algorithmus auf einer Vielzahl von Smartphones und verwendete verschiedene Papiersorten, um den Trichter herzustellen. Die Ergebnisse waren unabhängig vom verwendeten Telefon oder Papiertyp einheitlich. Abschließend sollten Eltern die App anwenden, um deren Tauglichkeit bei Anwendung durch Laien zu testen. Ihre Untersuchungsergebnisse stimmten zum Großteil mit denen von Ärzten überein.

Laut Pressmittelung der Universität Washington planen die Entwickler die Technologie durch ein eigens gegründetes Unternehmen zu vermarkten und die App so der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. "Ein genaues Screening-Tool für etwas so Allgegenwärtiges wie ein Smartphone zu entwickeln, kann sowohl für Eltern als auch für Gesundheitsdienstleister in Regionen mit begrenzten Ressourcen eine Wende bedeuten", erklärte Koautor und Professor Dr. Shyam Gollakota. »Ein wesentlicher Vorteil unserer Technologie besteht darin, dass außer einem Blatt Papier und einer auf dem Smartphone ausgeführten Software-App keine weitere Hardware erforderlich ist.«

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