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Zwangslizenz

Schwerwiegende Ausnahme

19.07.2017  10:34 Uhr

Von Ev Tebroke / Welche Folgen hat das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) künftig für den Patentschutz? Der Jurist Paetrick Sakowski von der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland ordnet das Urteil auf Anfrage der PZ ein.

PZ: Wie bewerten Sie das BGH-Urteil?

 

Sakowski: Der BGH schließt sich im Ergebnis und soweit bisher bekannt auch in der Argumentation der sehr ausgewogenen Entscheidung des Bundespatentgerichts an. Die Gerichte berücksichtigen die besondere Verhandlungssituation der international agierenden Parteien und die noch nicht vom Europäischen Patentamt endgültig festgestellte Rechtsbeständigkeit des streitigen Patents. Besonders intensiv war die Auseinandersetzung um das öffentliche Interesse, das zentrale Voraussetzung für die Erteilung einer Zwangslizenz ist. Hier haben die Gerichte sehr genau heraus­gearbeitet, welche Patientengruppen essenziell auf die Versorgung mit dem HIV-Medikament Isentress® angewiesen sind und die Zwangslizenz nur für entsprechende Dosierungen erteilt. Den schwerwiegenden Eingriff in die Rechtsposition der Patentinhaberin haben die Gerichte damit auf das Notwendige beschränkt. Die Zwangslizenz bleibt was sie schon bisher war: eine Ausnahmeerscheinung.

 

PZ: Wie oft wurde bisher in Deutschland eine Zwangslizenz zugelassen?

 

Sakowski: Unter den Vorgängervorschriften zum heutigen Patentgesetz, insbesondere auch während der Weltkriege, hat das Reichsgericht mehrfach Zwangslizenzen zugelassen. In der bundesdeutschen Geschichte hat zuvor erst ein einziges Mal das Bundespatentgericht eine Zwangslizenz erteilt, die später vom Bundesgerichtshof wieder aufgehoben wurde. Auch im internationalen Vergleich ist die Zwangslizenz ein sehr selten genutztes Instrument, da es einen schweren Eingriff in die freie Marktwirtschaft darstellt. Größeres Aufsehen hat im Jahr 2012 Indien mit der Erteilung einer Zwangslizenz für ein Krebsmedikament erregt.

 

PZ: Was bedeutet das BGH-Urteil für zukünftige Patentstreitigkeiten?

 

Sakowski: Das Urteil hat deutlich gemacht, dass in bestimmten Ausnahmekonstellationen, gerade im Arzneimittelbereich, die Zwangslizenz eine durchaus realistische Option sein kann. Dies werden Patentinhaber und Lizenzsuchende bei künftigen Auseinandersetzungen und Verhandlungen um Lizenzen noch stärker als bisher berücksichtigen. Die aktuelle Entscheidung wird hierzu wichtige Leitlinien geben, etwa wenn es um die Frage geht, welche Anforderungen an Verhandlungen im Vorfeld der Beantragung einer Zwangslizenz zu stellen sind. Die Möglichkeit, eine Zwangslizenz zu erwirken, wird dabei wie bisher vor allem dazu führen, dass die Parteien zu einer Einigung kommen. In den allermeisten Fällen wird auch zukünftig keine gerichtliche Auseinandersetzung stattfinden. /

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