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Verdrängung: Erst aufstellen, dann einlenken

Foto: Christian Charisius/ picture alliance / dpa

Verdrängung von Obdachlosen Von Stinkbomben und Wasserdüsen

Metall-Spikes in einem Londoner Hauseingang haben nicht nur in Großbritannien eine Debatte über den Umgang mit Obdachlosen ausgelöst. Dabei ist die Verdrängung von Wohnungslosen aus Stadtgebieten auch in Deutschland allgegenwärtig.

Hamburg - Der Hamburger Hauptbahnhof, morgens um halb acht. Vor dem Eingang gegenüber dem Schauspielhaus drängen sich hektisch Menschen aneinander vorbei, stocken kurz vor der Anzeigetafel und hasten weiter. Unter dem Vordach ist klassische Musik zu hören, Sicherheitsleute der Deutschen Bahn patrouillieren. Auf der anderen Straßenseite stehen in den Bushäuschen abgerundete Sitzbänke und unweit davon einer der neuen Solar-Abfalleimer der Hansestadt.

Klingt nach einer nichtssagenden Ortsbeschreibung? Das kommt auf die Perspektive an: Die Musik dudelt nicht nur vor sich hin - sie soll Obdachlose und Trinker vertreiben. Die privaten Sicherheitskräfte, die das Hausrecht für das Gelände von der Stadt übernommen haben, können Platzverweise gegen Menschen aussprechen, die einfach nur auf dem Boden sitzen. Die Bänke in den windgeschützten Bushäuschen sind so gestaltet, dass sie ein längeres Verweilen quasi unmöglich machen . Bei den insgesamt 160 neuen Mülleimern verhindert eine Klappe, dass Pfandsammler hineingreifen können.

Versuche, Wohnungslose aus dem Stadtbild zu verdrängen, gebe es genügend, sagt Werena Rosenke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW). Nun hat aber ein Fall in London unlängst für Aufregung gesorgt: Dort hatten Hausbesitzer kleine Metallspitzen auf dem Betonboden im regengeschützten Eingangsbereich angebracht, damit sich dort niemand hinlegen kann. Per Twitter wurden die Bilder der Boden-Spikes  verbreitet - und damit eine Debatte über den Umgang mit Obdachlosen angestoßen. Sie könnte auch in Deutschland geführt werden. Auch hier versuchen Hauseigentümer und Gemeinden, Obdachlosen das Leben schwer zu machen. Ein Überblick:

  • Das wohl bekannteste Beispiel für bauliche Maßnahmen, die sich offenbar gegen Obdachlose richten, stammt aus Hamburg. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte hatte im Herbst 2011 einen fast drei Meter hohen Stahlzaun unter der Kersten-Miles-Brücke aufgebaut. Auf der "Platte" zwischen Landungsbrücken und Reeperbahn hatten Obdachlose geschlafen, doch die Anwohner beschwerten sich, und es kam unter den Übernachtenden zu Übergriffen. Das Vorgehen der Stadt führte jedoch zu Protesten. Schließlich wurde die Barrikade wieder abgebaut. Die vorher bereits in den Boden eingelassenen, mehr als 100.000 Euro teuren Wackersteine blieben.
  • In Dresden haben im vergangenen Jahr zwei Sandsteinriegel Schlagzeilen gemacht . Das Sächsische Immobilien- und Baumanagement (SIB) brachte sie an dem denkmalgeschützten Blockhaus neben der Augustusbrücke im Eingangsbereich für rund 900 Euro an - an einer Stelle, an der zuvor ein Obdachloser geschlafen hatte. Die Klötze machten das Ausrollen etwa einer Isomatte an dem witterungsgeschützten Ort unmöglich. Eine SIB-Sprecherin begründete die Maßnahmen mit der notwendigen "Verkehrssicherung" für Fußgänger.
  • In Berlin berichten Streetworker davon, dass ein Tunnel unweit des Hackeschen Marktes, in dem Wohnungslose geschlafen hatten, im vergangenen Jahr geräumt worden sein soll. Bilder zeigen, dass der Eingang mittlerweile von Metallplatten verschlossen ist. Ein S-Bahnsprecher gab auf Nachfrage keine Auskunft darüber, ob die Stadt oder die Bahn für die Maßnahme verantwortlich ist - und was dahintersteckt. Die Hilfseinrichtungen berichten ebenso von Metallplatten über Fensterbänken an privaten Häusern, die das Sitzen dort unmöglich machten. In einigen U-Bahnhöfen, die im Winter zum Aufwärmen geöffnet bleiben, seien die Sitze so zweigeteilt, dass sich niemand hinlegen könne.

Vor allem Veränderungen an Bänken, die ein Übernachten unmöglich machten, seien "Dauerbrenner" in fast jeder deutschen Stadt, sagt Rosenke von der BAGW. Ebenfalls vielerorts zu finden sind Sprinkleranlagen an Kaufhäusern, Geschäften und öffentlichen Plätzen. Wo die Klimaanlagen nachts warme Abluft durch Gitter in die Fußgängerzonen blasen, schlafen häufig Wohnungslose - durch die Wasserdüsen werden sie aber regelmäßig nass. Beispiel Spielbudenplatz an der Hamburger Reeperbahn: Hier wurden zwei nachts leerstehende Bühnen als Schlafplätze genutzt, bis auch dort die Betreibergesellschaft zeitweise Wasserdüsen anbrachte - um die Bühnen zu säubern, wie es hieß.

Stinkbomben gegen Obdachlose

Häufig laufe die Verdrängung der Obdachlosen weniger drastisch und offensichtlich ab, sagt die BAGW-Sprecherin. Das meiste werde durch das Ordnungsamt durchgesetzt, wenn es etwa um Platzverweise gehe. Gleichzeitig steige die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland. Die BAGW schätzt, dass es 2012 etwa 300.000 Wohnungslose gab, 24.000 von ihnen lebten auf der Straße. Der Prognose zufolge haben diese Zahlen 2013 noch zugenommen. "Wir gehen tendenziell von einer Steigerung aus", sagt Rosenke.

In Hamburg hat der Protest gegen die neuen Mülleimer zumindest Wirkung gezeigt. So wurden an einigen Solar-Behältern nun außen Vorrichtungen angebracht, in denen Pfandflaschen abgestellt werden können.

Ein Zeichen gegen die Verdrängung von Obdachlosen setzten vor einigen Jahren städtische Angestellte in Frankreich. Dort plante der Bürgermeister der Pariser Vorstadt Argenteuil, mit Stinkbomben gegen Obdachlose vorzugehen. Seine Mitarbeiter weigerten sich aber, das übelriechende Gas unter Brücken und in Parks zu versprühen.

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