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EZB führt erstmals Strafzins auf Bankeinlagen ein

Europäische Zentralbank senkt Zinsen auf Rekordtief

Die Europäische Zentralbank hat ihre Zinsen auf ein Rekordtief von 0,15 Prozent gesenkt. Die Ankündigung aus Frankfurt hat den Dax über die historische Marke von 10.000 Punkten getrieben.

Quelle: Reuters

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EZB-Präsident Draghi hat geliefert: Ab sofort gibt es Strafzinsen fürs Geldparken. Auch der Leitzins sinkt auf ein neues Rekordtief. Doch die Notenbank hält noch weitere Joker in der Hinterhand.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat eine historische Entscheidung getroffen. Erstmals in der Geschichte der Währungsunion hat sie einen ihrer Leitzinsen unter Null gedrückt.

Der sogenannte Einlagensatz für Zinsen wurde von 0 auf minus 0,10 Prozent gesenkt. Im Klartext heißt das: Banken müssen für Geld, das sie nicht verleihen, sondern bei der EZB horten, eine Strafgebühr bezahlen.

Die EZB ist die erste große Zentralbank, die sich auf dieses ungesicherte Terrain begibt und Minuszinsen einführt. Damit nicht genug. Der “klassische” Leitzins wurde auf das historische Tief von 0,15 Prozent gedrückt und notiert damit nur noch knapp über der Null-Linie.

Entsprechend heftig fielen die Reaktionen an den Finanzmärkten aus: Am Devisenmarkt rutschte der Euro deutlich auf unter 1,36 Dollar ab. Aber auch andere Märkte wurden durchgeschüttelt. Der Dax brach kurzzeitig auf 9920 Punkte ein, erholte sich aber rasch wieder und knackte kurz danach die Marke von 10.000 Punkten.

Es ist die erste Leitzinssenkung seit November 2013. Nach sechs Sitzungen, in denen Draghi stets nur Andeutungen machte, aber keine konkreten Schritte unternahm, stand die EZB nun unter extremen Handlungsdruck, den Worten Taten folgen zu lassen.

Milliardenschwere Geldspritzen

Draghi verkündete auf der Pressekonferenz ein ganzes Bündel von weiteren Maßnahmen, die historisch genannt werden dürfen. Die EZB verlängert das Rundum-Sorglos-Paket für Banken. Bis mindestens Ende 2016 können sich die Banken unbegrenzt Geld zum aktuellen Leitzins in Frankfurt besorgen.

Weiterhin will Draghi die Wirtschaft mit weiteren Geldspritzen versorgen. Sie pumpt weitere rund 165 Milliarden Euro in den Finanzmarkt, indem sie – im Fachjargon der Notenbanker gesprochen – die „Sterilisierung“ früherer Staatsanleihekäufe beendet, also bislang bewusst von den Banken zurückgeholtes Geld in den Wirtschaftskreislauf fließen lässt.

Daneben sollen Banken, die Kredite vergeben, gezielt mit billigem Geld unterstützt werden. Diese Institute können sich bei der EZB Mittel über sogenannte Langfrist-Kredite besorgen. Diese sollen vier Jahre Laufzeit haben. Normalerweise laufen Geldgeschäfte allerhöchstens eine Woche. In der Vergangenheit hat die EZB aber bereits dreijährige Geldgeschäfte angeboten. Nun hat sie die Laufzeiten nochmal verlängert.

Eine neue Zeitrechnung

“Dieses Mal ist alles anders. Die EZB hat die Markterwartungen in allen Punkten übertroffen“, sagt Valentin Marinov von der Citi. „Mehr Stimulation ist gar nicht möglich.“

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Tatsächlich geht es um nicht weniger als eine neue Zeitrechnung für Europa. Um dem Alten Kontinent aus der Agonie zu reißen, wird das Geldsystem auf den Kopf gestellt.

Statt das Halten von Geld mit einem Zinsgewinn zu belohnen, wird es in Form von Minuszinsen unter Strafe gestellt.

Gerade für Deutschland hat das drastische Auswirkungen. Die Bundesbürger sind ein Volk von Sparern. Mit 1,9 Billionen Euro haben sie mehr auf der hohen Kante als irgendeine andere Nation in Europa. Sie müssen damit rechnen, dass die ohnehin mickrigen Konditionen fürs Sparen nach der aktuellen Entscheidung noch schlechter werden, etwa wenn die Banken die Strafzinsen in Form höherer Gebühren an ihre Kunden weitergeben.

Seit 2010 liegt die durchschnittliche Rendite für Tagesgeldkonten nach Berechnungen der FMH Finanzberatung unter der Inflationsrate.

Vor allem in Deutschland wächst die Sorge vor den Folgen der extrem lockeren Geldpolitik. “Das ist ein ganz gefährlicher Weg, den die EZB da einschlägt”, sagte Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon im ARD-”Morgenmagazin”. “Wir entwerten die Vermögen der Menschen in Europa mit diesem niedrigen Zins. Das hilft niemandem.”

Und Klaus Müller, Vorsitzender des Bundesverbands der Verbraucherzentralen sagte: “Das könnte ein noch stärkerer Anreiz für Verbraucher sein, in spekulative Anlagen zu gehen. Meine Sorge ist, dass dann die Probleme, zum Beispiel auf dem grauen Kapitalmarkt, noch einmal zunehmen.”

Die Sorge vor der Deflation

Anders als von vielen Ökonomen befürchtet, sehen die Regierungen in Deutschland und Italien keine Deflationsgefahren für die Euro-Zone. “Auf Dauer ist dieses Zinsniveau keine Lösung”, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach einem Treffen mit seinem italienischen Amtskollegen Pier Carlo Padoan. Es handelte sich um eine Übergangssituation.

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Doch Experten bezweifeln, dass die Zinsen schon bald wieder steigen könnten. Denn die EZB hat nun den Übergang in ein Schwundgeldsystem schaffen. Bestraft wird darin derjenige, der sein Geld hortet, statt es auszugeben oder produktiv einzusetzen. Nie zuvor hat sich eine so wichtige Währungsbehörde in derart ungesichertes Terrain gewagt.

Lediglich kleinere Institute wie die Notenbanken der Schweiz, Dänemarks oder Schwedens haben von diesem speziellen Instrument bisher Gebrauch gemacht. In der Regel dauerte die Minuszinsphase länger als ein Jahr. Wie gefährlich die Minuszinsen sein können, macht allein die Tatsache deutlich, dass die sonst so experimentierfreudige US-Notenbank Federal Reserve trotz ihrer Nullzinspolitik genau davor zurückscheut.

Dass die EZB überhaupt zu dieser drastischen Methode greift, kommt einer Verzweiflungstat gleich. Denn die bisherigen Maßnahmen, die die Währungshüter in den vergangenen Krisenjahren auf den Weg brachten, haben zwar den Zerfall der Euro-Zone verhindert. Langfristig kann der Euro allerdings nur gerettet werden, wenn die Währungsgemeinschaft wieder solide wächst.

Doch von einem wirklich nachhaltigem Wachstum kann noch lange nicht die Rede sein. Außerdem sind die Deflationsrisiken zuletzt deutlich gestiegen. Im Mai kletterten die Preise nur noch um 0,5 Prozent, weit entfernt vom EZB-Ziel von zwei Prozent. Es besteht die Gefahr einer gefährlichen Abwärtsspirale aus fallenden Preisen und sinkenden Investitionen.

Sorge um Südeuropa

Bedroht ist insbesondere der krisengeplagte Süden des Euroraums. Zudem hält dort eine Kreditklemme die Wirtschaft in Atem. Entlastung und damit auch entscheidende Wachstumsimpulse müssen von den Banken kommen.

Denn die Euro-Zone ist den Kreditinstituten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. 70 Prozent der Unternehmensfinanzierung werden von Banken zur Verfügung gestellt, in den USA sind es weniger als 50 Prozent. Wenn der Bankensektor kein Geld zur Verfügung stellt, wie das vor allem im Süden der Euro-Zone der Fall ist, dann droht der Wirtschaft der Infarkt.

Mit dem Minuszins soll die Kreditvergabe wieder in Gang gesetzt werden. Denn das bloße Horten von Geld wird für die Banken teuer. Und damit wächst der Anreiz, möglichst wenig überschüssige Liquidität zu halten.

Doch die Minuszinsen dürften noch nicht alles sein.

Der Leitzins einfach und anschaulich erklärt

Nur dreieinhalb Minuten Zeit investieren und endlich alles - aber auch wirklich alles! - über den Leitzins wissen: Diese Animation erklärt etwa, was „Fed“ und „EZB“ mit diesem Instrument zu tun haben.

Quelle: Explainity

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