Black Empowerment in Südafrika

Die Bilanz zwanzig Jahre nach freien Wahlen in Südafrika fällt zwiespältig aus. Die Vision eines Aufstiegs aller schwarzen Staatsbürger ist nicht in Erfüllung gegangen.

Claudia Bröll, Kapstadt
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ANC-Präsident Nelson Mandela auf Wahlkampftournee im April 1994. (Bild: Keystone)

ANC-Präsident Nelson Mandela auf Wahlkampftournee im April 1994. (Bild: Keystone)

Südafrika erlebte eines der dunkelsten Kapitel in seiner Geschichte, als Jan van der Sluys an Bord eines Dampfers in Kapstadt landete, mit Ehefrau, vier Kindern und seinem Besitz in drei Holzkisten. Die weisse Minderheit unterdrückte damals erbarmungslos die schwarze Bevölkerung. Genau in dem Jahr, in dem der Holländer seinen Baubetrieb anmeldete, erschossen weisse Polizisten Demonstranten im Schwarzenviertel Sharpeville. Das Bauunternehmen existiert heute noch. Es trägt jedoch einen Namen, den der mittlerweile verstorbene Gründer vermutlich nicht verstanden hätte: Isipani, das bedeutet «Team», ein Slang-Ausdruck in der afrikanischen Xhosa-Sprache.

Aus der Froschperspektive

Die Umbenennung der Firma spiegelt den rasanten Wandel, den Südafrikas Unternehmenswelt seit den ersten demokratischen Wahlen am 27. April 1994 erlebt hat. Wer heute durch die Wirtschaftszentren des Landes schlendert, sieht schwarze Geschäftsleute in feinen Anzügen und Kostümen in Bürogebäuden verschwinden. Cafés und teure Restaurants machen gute Geschäfte mit den «black diamonds», der neuen schwarzen Mittel- und Oberschicht.

Die exzessive Konzentration wirtschaftlicher Macht in wenigen weissen Händen dürfe nicht fortbestehen, hatte Nelson Mandela vor seiner Wahl zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas gesagt. Seine Regierung hatte damals einen enorm schwierigen Balanceakt zu meistern: Einerseits wollte sie einem Millionenheer von Armen – 90% der Bevölkerung – so schnell wie möglich zu Geld und Einfluss verhelfen. Andererseits durfte sie den wackligen sozialen Frieden nicht durch radikale Umverteilungen gefährden. Die daraus resultierende Politik des Black Economic Empowerment (BEE) ist ein beispielloses Anreizsystem, das sich durch das gesamte Wirtschaftsleben zieht. Milliarden wurden umverteilt. Ein ganzer Wirtschaftszweig entstand durch BEE mit Beratungsfirmen, Prüfungsfirmen, Beteiligungsgesellschaften.

Aber die Bilanz nach 20 Jahren fällt nicht so aus, wie es viele damals erhofft hatten: Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung profitierte. An den Hebeln der Macht sitzen weiterhin überwiegend weisse Manager. Immer neue Änderungen sorgen für Verunsicherung, ausgerechnet in einer Zeit, in der Südafrika um das Vertrauen internationaler Investoren ringt.

Isipani baut im Kapstädter Vorort Ottery gerade die Erweiterung eines Einkaufszentrums. Auf den ersten Blick ist von einem Rollentausch zwischen Schwarz und Weiss wenig zu sehen. Ausschliesslich schwarze Arbeiter schaffen in der gleissenden Sonne Schutt in Schubkarren fort. Derweil brüten weisse Bauleiter im Container-Büro über den Plänen. Den Chef der Firma, Jandré Arangies, erkennt man von weitem: hoch aufgeschossen, breites Kreuz, die Abstammung von niederländischen Einwanderern kann er nicht verhehlen.

Isipani sei ein traditionsverbundenes Unternehmen, erklärt er. Aber hinter den Kulissen habe sich der Betrieb deutlich geändert. In allen Geschäftsbereichen – von der Materialbeschaffung, der Einstellung von Mitarbeitern, der Schulung bis hin zu wohltätigen Aktivitäten – gilt heute die Devise: Schwarz hat Vorrang. So fördert das Unternehmen BEE. Im siebenköpfigen Vorstand sitzt mittlerweile ein schwarzes Mitglied, bald kommen zwei weitere hinzu. Auch die Eigentümerstruktur ändert sich: Über zwei Stiftungen wird die überwiegend schwarze Belegschaft demnächst 25% an Isipani besitzen.

Dies sei der richtige Weg, sagt Arangies, offensichtlich kein Freund vieler Worte. Man arbeite daran, die Ungerechtigkeiten in der Vergangenheit zu korrigieren. Auf die Frage, ob er dies auch so sehe, sollte er einmal den Chefsessel wegen seiner Hautfarbe räumen müssen, zuckt er mit den Schultern. Gerne würde er das nicht machen, gibt er zu. Aber der Entwicklung könne man sich auch nicht entgegenstemmen.

Vetternwirtschaft lebt auf

Unternehmen in Südafrika haben auch keine andere Wahl. Regelmässig müssen sie sich von Prüfern bewerten lassen, wie weit sie die BEE-Vorgaben einhalten. Eine gute Endnote ist nicht nur wichtig, um Staatsaufträge zu ergattern. Da sich Geschäftsbeziehungen zu reformfreudigen Unternehmen positiv auf die eigene Note auswirken, übt auch die Privatwirtschaft Druck aus.

Wenig überraschend gehörten zu den ersten Profiteuren diejenigen, die für die Freiheit gekämpft hatten und danach in hohen politischen Ämtern sassen, wie der frühere Gewerkschaftschef Cyril Ramaphosa. In kurzer Zeit beteiligten sie sich an einer Vielzahl von Unternehmen, zahlten dafür mit günstigen Krediten oder einem guten Draht zur Regierung, häuften immensen Reichtum an. Die einstige Begeisterung für sozialistische Lehren geriet schnell in Vergessenheit.

Die Trennlinie zu Vetternwirtschaft und Mauscheleien ist dabei dünn. Oft dienen schwarze Anteilseigner nur als Vorzeigefiguren, um BEE-Punkte zu ergattern. Selbst angesehene Unternehmen wie der Stahlkonzern Arcelor-Mittal oder der Goldschürfer Gold Fields gerieten in Erklärungsnot, als sie Verwandte und Vertraute des Staatspräsidenten Jacob Zuma umgarnten. BEE habe dem schwarzem Unternehmertum nicht geholfen, sondern ihm «den Todesstoss versetzt», kritisiert der Ökonom Moeletsi Mbeki, Bruder des früheren Präsidenten Thabo Mbeki. Hervorgegangen sei eine kleine Gruppe unproduktiver schwarzer Kapitalisten mit immensem politischem Einfluss. Andere hätten kaum eine Chance.

Absurde Rassengrenzen

Anders sieht es der Präsident, der sich selbst immer wieder gegen Korruptionsvorwürfe wehren muss. BEE sei nicht gescheitert und habe nicht nur Mitgliedern der Regierungspartei ANC genutzt, bilanzierte er. «Und selbst wenn es einige gibt, die dem ANC angehören, warum sollen sie dafür bestraft werden? Warum sollen sie nicht teilhaben?»

Tatsächlich ist die Zahl vermögender Schwarzer in den vergangenen 20 Jahren schnell gewachsen. Laut einer Studie der Universität Kapstadt zählen sich heute mehr als vier Millionen Menschen dazu. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Südafrika dadurch noch tiefer geworden. Fast 14% der Einwohner leben gemäss den jüngsten Daten der Weltbank von weniger als $ 1.25 am Tag. Schwarze Bürger sind zudem weitaus häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, verdienen im Schnitt angeblich ein Sechstel dessen, was ihre weissen Landsleute erhalten.

Die Regierung versucht seit einiger Zeit gegenzusteuern. Keiner redet heute mehr von BEE, sondern von BBBEE (Broad Based Black Economic Empowerment). Es geht nicht mehr nur darum, Schwarze an Unternehmen zu beteiligen. Ähnlich wie Isipani müssen Betriebe einen umfangreichen Anforderungskatalog erfüllen.

Das ist schwieriger, als es zunächst erscheinen mag. Vor kurzem wurden die Regeln wieder geändert. Scharen von Beratern beschäftigen sich mit kniffligen Fragen wie: Bekommt ein Unternehmen weniger BEE-Punkte, wenn es einen indischen statt eines schwarzen Managers einstellt? Sollte man sich bei einem Zulieferer für den entscheiden, der zu 30% einer schwarzen Frau oder den, der zu mehr als 50% einem schwarzen Mann gehört? Und wer entscheidet, ob ein Bürger schwarz, weiss, gemischtrassig oder indischen Ursprungs ist? Das mag absurd klingen, aber vor einigen Jahren urteilte ein Gericht, die Chinesen in Südafrika seien schwarz – freilich nur in der BEE-Welt.

Aktienbesitz macht stolz

Ökonomen raufen sich bei alldem die Haare. Eine Verteilung knapper Ressourcen nach Hautfarbe sei natürlich höchst ineffizient, urteilt Brian Kantor, Chefökonom des Finanzdienstleisters Investec. Aber es sei wohl ein Preis, den man angesichts der Apartheid-Historie bezahlen müsse. Funktionieren könne das Ganze allerdings nur, wenn gleichzeitig in die Bildung investiert werde, die Wirtschaft kräftig wachse und neue Arbeitsplätze entstünden. Genau daran jedoch hapert es in Südafrika. Die Wirtschaft legte zuletzt nur um 2% zu. Jeder Vierte hat keine Arbeit.

Trotz allen Schwierigkeiten: Mthetheleli Mbewu, Vorarbeiter auf der Baustelle in Ottery, freut sich darauf, bald Aktionär zu sein. Er trat vor 23 Jahren in die Firma ein an, als Isipani noch Jan van der Sluys Ltd. hiess. Wenn ihm das damals jemand gesagt hätte, hätte er ihn für verrückt erklärt, sagt der Vater von vier Kindern. Viele jüngere Kollegen aber seien frustriert. Sie dächten, mit BEE könnten sie schnell reich werden, aber das sei ein Trugschluss.

Stolz willigt Mbewu ein, für eine Foto gemeinsam mit seinem Chef zu posieren. Weil der Reissverschluss seiner Weste klemmt, leiht ihm einer der weissen Bauleiter seine Weste. Fast niemand bemerkt den Tausch. Zum modernen Südafrika könnte diese Geste kaum besser passen. Nur wünschen sich viele wohl vergebens, der so lange herbeigesehnte Wandel liesse sich ebenso einfach realisieren.