Statements 02.09.2016

Ein sauberer Zahn wird nicht krank?

Ein sauberer Zahn wird nicht krank?

Foto: © ALDECAstudio – Fotolia.com

Wenn die Zahnbürste zur Waffe wird …

Es gilt als unumstritten, dass regelmäßige und gründliche mechanische Plaqueentfernung der Schlüssel zur langfristigen Gesunderhaltung der Zähne und des Zahnhalteapparates ist. Soweit so gut, ließe sich doch daraus logisch ableiten, dass ein sauberer Zahn nicht krank wird. Die Realität zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Welche Rolle spielen dabei die Putztechnik, -häufigkeit oder die Wahl der verwendeten Hilfsmittel? Gibt es möglicherweise auch im Bereich der Zahn- und Mundpflege ein „Zuviel des Guten“? Die Antwort lautet ja, denn auch bei der Mundhygiene kommt es auf das richtige Maß an.

Traumatisches Zähneputzen stellt jede Form der Anwendung einer Zahnbürste dar, die dem Parodont oder der Zahnhartsubstanz Schaden zufügt. Gingivale Abrasion, Rezessionen und Attachmentverluste können die Folge sein. So überprüfte eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Mariano Sanz die Evidenz für das Auftreten von Gingiva­rezessionen als Konsequenz traumatischen Zähneputzens (Sanz et al., 2015). Aus Beobachtungsstudien stammt die Assoziation zwischen nicht komplexen Techniken (z. B. horizontale Schrubb-Bewegung) sowie erhöhtem Bürstendruck und der Entwicklung bzw. Progression von Gingivarezessionen. Erhöhte Häufigkeiten des Zähneputzens und eine stärkere Borstenhärte wurden ebenfalls mit gingivalen Rezessionen in Verbindung gebracht. Eine direkte Evidenz, die das (traumatische) Zähneputzen als einzigen Verursacher von Gingivarezessionen bestätigt, gibt es jedoch nicht.

Welche sinnvollen Empfehlungen ergeben sich daraus konkret für unsere Patienten? Wenn wir im Patientenmund abrasive Schäden oder Anfänge von ­Rezessionen entdecken, die auf trauma­tisches Putzen zurückzuführen sind, hilft es nur bedingt, die Zahnbürste gegen eine weichere mit abgerundeten Borsten auszutauschen, eine andere Bürsttechnik oder elektrische Zahnbürsten zu empfehlen. Das eigentliche Problem sind nicht die Hilfsmittel, sondern die Menschen mit ihren kognitiven, manuellen, habituellen und emotionalen Aspekten. Ihre Einstellung ist entscheidend. Wer gestresst ist, geht aggressiver mit seiner Zahnbürste zu Werke. In solchen Fällen geht es darum, das Bewusstsein zu ändern – behut­samer mit sich selbst umzugehen und auch bei der täglichen Mundhygiene eine entspannte, defensive Grundhaltung einzunehmen. Im Grunde geht es um einen anderen Fokus beim Zähneputzen: „Weg von der radikalen Sauber­keit – hin zur sanften Präzision!“

Ist die Einsicht, dass zu viel „Sauberkeit“ den Zahn auch krank macht, erst einmal verinnerlicht, kann das Auftreten von Karies und Parodontitiden auch ohne Schädigung der oralen Hart- und Weichgewebe weitgehend vermieden werden. Neben der Instruktion in eine angemessene Putztechnik sollten die empfohlenen Hilfsmittel den Vorlieben der Patienten angepasst werden. Sie müssen mit ihnen richtig umgehen können und auch motiviert genug sein, diese im Alltag schonend einzusetzen. Schlussendlich ist es unwesentlich, ob man eine elektrische oder Handzahnbürste, Zahnzwischenraumbürsten oder Zahnseide für die mechanische Plaquekontrolle benutzt: Es gibt zwar erhebliche Unterschiede in ihrer Anwendung und Effektivität, aber alle Hilfsmittel sind bei mehr oder weniger Aufwand und Geschicklichkeit in der Lage, die Zähne zu reinigen – entscheidend ist das Wie.

Das Statement von Prof. Dr. Christof Dörfer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) ist als Editorial im aktuellen Prophylaxe Journal erschienen.

Übrigens: Verpassen Sie nicht die DG PARO Jahrestagung 2016 vom 15. bis 17. September in Würzburg.

www.dgparo-jahrestagung.de

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