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Mieten-Talk bei Jauch Blockwarte, Zweitbäder und uralte Küchen

Kantig und betongrau, so präsentiert sich üblicherweise das große Thema Wohnwirtschaft. Günther Jauch versuchte sich trotzdem daran - und machte das Sujet mit zickigen Talkgästen und allerlei kleinen Aufregern fernsehtauglich.
Mietenrunde bei Günter Jauch (von links): Stadtsoziologe Andrej Holm, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, Mieterhelferin Sylvia Sonnemann, der Moderator, Jürgen Michael Schick vom Immobilienverband und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner

Mietenrunde bei Günter Jauch (von links): Stadtsoziologe Andrej Holm, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, Mieterhelferin Sylvia Sonnemann, der Moderator, Jürgen Michael Schick vom Immobilienverband und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner

Foto: imago/ Müller-Stauffenberg

Oha, die großen sozialen Themen! Die gelten den Talkshow-Redaktionen dieser Republik gemeinhin als Quotengift. Die Deutschen entspannen lieber beim Talk über Hoeneß' Steuerschulden oder Brüderles Altherrensprüche, als sich mit Dingen zu befassen, die sie selbst betreffen. Wie zum Beispiel die hohen Mieten, die man sich nicht mehr leisten kann. Das ist zwar einerseits verständlich. Andererseits aber auch fahrlässig, denn Mieter sind die meisten von uns - in Hamburg rund 76 Prozent der Haushalte, in Berlin sogar 85 Prozent. Daher sollte es eigentlich Pflicht sein, am Sonntagabend Jauch geschaut zu haben - allein um den Mann darin zu bestärken, dass soziale Schieflagen, die sehr viele Menschen in diesem Land quälen, durchaus ein Thema für Talkshows sein können.

Was haben wir gelernt? Zuvörderst, dass die Spitzenvertreter jener Splitterpartei namens FDP derzeit durch besonders laute Überambitioniertheit zurück ins Talkshow-Geschäft drängen. Außerdem: Olaf Scholz kann zickig werden. "Jetzt plappern Sie mal nicht dazwischen", fauchte Hamburgs Erster Bürgermeister den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner an. Lindner hatte Scholz' Erfolgssuada in Sachen Wohnungsneubau - "am Ende dieses Jahres werden es 35.000 Baugenehmigungen werden" - immer wieder mit Attacken auf die Mietpreisbremse unterbrochen: "Da wird gemauschelt werden! Dann verlangen die Vermieter einen Irrsinns-Abstand für uralte Küchen."

Womit wir dem Problem des Talks schon ein wenig näherkommen: Die einen redeten über ditt und die anderen über datt. Scholz war gekommen, um die Neubautätigkeit seines Hamburger Senats als Problemlösung anzupreisen. Lindner und Jürgen Michael Schick vom Immobilienverband Deutschland waren angetreten, um die Mietpreisbremse als "Bürokratiemonster" zu geißeln, das eine "Prozesslawine" ins Rollen bringe (Schick).

Die einzige Frau in der Runde - Sylvia Sonnemann von "Mieter Helfen Mieter" - stand dafür gerade, dass es das Problem der hohen Mieten tatsächlich gibt. Von diesem nämlich behauptete Immobilienwirtschaftsvertreter Schick, es handele sich a) sowieso nur um einen "Nachholeffekt" nach langer Flaute auf dem Immobilienmarkt, und b) seien eigentlich die Nebenkosten schuld. Auf die These Schicks, dass 99 Prozent der Mietverhältnisse weitgehend "konfliktfrei" verliefen, konterte Sonnemann, das fehlende Prozent lande "dann wohl bei mir in der Beratung".

Aufregerlein für mehr Talkshow-Kompatibilität

Günther Jauch wiederum mühte sich redlich, immer wieder die Aufregerlein ins Spiel zu bringen, die das betongraue Wohnwirtschaftsthema überhaupt talkshow-kompatibel machen: Der Fall eines Berliner Hauses, in dem die Miete wegen "energetischer Sanierung" mehr als verdreifacht werden kann - ein Mietrechtslockerungsgeschenk der schwarzgelben Koalition an Spekulanten. Oder der "Milieuschutz", demzufolge etwa in Friedrichshain-Kreuzberg keine Fußbodenheizungen oder zweite Bäder mehr eingebaut werden dürfen, um Luxussanierungen zu verhindern. "Ich darf die eigene Wohnung nicht aufwerten mit meinem eigenen Geld!", bellte FDP-Lindner in effektvoll platzierter Empörung. "Das ist ja Blockwartmentalität! So will ich nicht leben!"

Nun ist zwar das behördliche Verhindern von Zweitbädern und Fußbodenheizungen ein abscheuliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber den Kern der Wohnproblematik in diesem Lande trifft es nicht unbedingt, wie der Berliner Soziologe und Gentrifizierungskritiker Andrej Holm immer mal, aber leider etwas zu selten einwerfen durfte. Die Mietpreisbremse sei ein "Mittelschichtsbefriedigungsprogramm", insofern sei die soziale Rhetorik unangebracht, mit der sie angepriesen werde. Er sehe auch nicht, wie der Neubau das Problem regeln sollte, wenn etwa in Hamburg deutlich mehr Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung fielen als neugebaut würden.

"Wir haben vor allem zu wenig leistbare Wohnungen für Leute mit wenig Geld", sagte Holm. Von den 4,3 Millionen Sozialwohnungen, die in Deutschland gebaut worden sind, existierten noch 1,4 Millionen. Daher müsse die Wohnungswirtschaft auch Aufgabe der öffentlichen Hand sein: "Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen brauchen unterdurchschnittliche Mieten - die werden die Privaten nie und nimmer bauen." Darüber hätte man noch ein wenig länger reden müssen.

Zum halbwegs versöhnlichen Ende konnte es Olaf Scholz Christian Lindner wenigstens ein bisschen recht machen: Lindner zeterte über die erhöhte Grunderwerbssteuer, die jungen Familien beim Hauserwerb das Leben schwermachten. In Hamburg, so konnte der SPD-Bürgermeister dem FDP-Vorsitzenden versichern, habe man jene Steuer jedenfalls nicht erhöht.