Zum Inhalt springen

Altersarmut "An Urlaub ist seit Jahren nicht zu denken"

65 Jahre alt, Rentnerin, ein Leben lang gearbeitet - und trotzdem auf die Hilfe der Tafeln angewiesen. Wie fühlt es sich an, wenn man im Alter kaum über die Runden kommt? Eine Betroffene erzählt.
Ausgabetheke einer Tafel in Mainz

Ausgabetheke einer Tafel in Mainz

Foto: Andreas Arnold/ picture alliance / Andreas Arnol

Der Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel hat eine Debatte über Armut in Deutschland ausgelöst. Überall im Land müssen die Ehrenamtlichen Mangel verwalten und Lösungen finden für die steigende Zahl der Menschen, die bei ihnen Lebensmittel bekommen wollen.

Zuletzt hatte der Bundesverband der Tafeln eine bessere Bekämpfung der Armut in Deutschland gefordert. Tatsächlich ist schwer zu erfassen, wer die Bedürftigen sind, die zu den Essensausgabestellen gehen, Motive und finanzielle Situation können sehr unterschiedlich sein.

Von Armut sind in Deutschland öfter Frauen als Männer betroffen, das gilt auch für die Altersarmut, wie eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes  belegt. Viele leiden unter Geldsorgen, weil sie alleinerziehend sind oder waren, für die Familie ihre Berufstätigkeit eingeschränkt haben und nach einer Trennung oder dem Tod des Partners von einer kleinen Rente leben müssen.

Einer Betroffenen begegnen wir vergangene Woche bei der Essensausgabe einer Hamburger Tafel. Sie erzählt:

"Ich bin 65 Jahre alt, Rentnerin, und stecke in einer Situation, die viele Mütter betrifft. Mein Einkommen reicht nur gerade so, dass ich die nötigsten Ausgaben decken kann - obwohl ich mein Leben lang gearbeitet habe.

Ich bin gelernte Friseurin, habe aber auch in verschiedenen anderen Berufen gearbeitet und mich zusätzlich oft ehrenamtlich engagiert, unter anderem in der Hospizbewegung. Es macht mir Spaß, Neues zu machen. Das Problem ist, dass ich viele Jahre nur Teilzeit gearbeitet habe, als ich mich um meinen kleinen Sohn kümmern musste. Außerdem habe ich meist wenig verdient und hatte oft so wenig Geld, dass ich neben meiner festen Stelle noch einen Nebenjob hatte.

Als mein Sohn erwachsen war, hatte er einen schweren Verkehrsunfall. Da musste ich ihn einige Jahre pflegen und habe gar nicht gearbeitet. Anschließend bin ich Vollzeit eingestiegen, bis ich vor einigen Jahren krank wurde und in Frührente gehen musste.

Damit bekomme ich nun rund 600 Euro Rente im Monat. Weil ich geschieden bin, habe ich keinen Anspruch auf Witwenrente. Deshalb musste ich zum Sozialamt gehen und Aufstockung beantragen. Das ist mir unglaublich schwergefallen. Aber ohne die zusätzlichen rund 200 Euro ginge es einfach nicht.

Kleider aus der Kleiderkammer

Ich habe eine Genossenschaftswohnung, zwei Zimmer, 51 Quadratmeter. Dafür zahle ich 560 Euro Miete, es gab aber gerade eine Mieterhöhung um 30 Euro. Dazu kommen Stromkosten von rund 30 Euro und rund 50 Euro für die Seniorenkarte in Bus und Bahn. Damit bleiben mir nicht einmal 200 Euro pro Monat zum Leben.

Das reicht nicht, wenn zum Beispiel meine Waschmaschine kaputtgeht und repariert werden muss. Ich versuche, am Essen zu sparen, damit ich für solche Fälle Geld zurücklegen kann. Deshalb gehe ich einmal pro Woche zur Tafel, auch wenn mir das sehr unangenehm ist. Meine Kleider bekomme ich fast alle aus der Kleiderkammer. Irgendwie geht es, aber ich gebe zu, manchmal habe ich auch keine Lust mehr.

Erklärt: Wie sich Armut messen lässt
Foto: DER SPIEGEL

Ich habe neulich etwas verkauft, weil ich auf ein neues Sofa spare. Aber nun brauche ich eine Zahnbehandlung, und dann geht das Geld vermutlich dafür drauf. An Urlaub ist seit Jahren nicht zu denken. Ausflüge innerhalb von Hamburg, zum Beispiel auf die andere Seite der Elbe - so etwas ist für mich Urlaub.

Mal ins Museum, Theater oder eine Ausstellung gehen - das fehlt mir sehr. Das kann ich mir einfach nicht leisten. Manchmal helfe ich Freunden oder tue Bekannten einen Gefallen, dafür schenken sie mir zum Beispiel eine Kinokarte. Ein Tauschgeschäft. Das ist mein Reichtum.

Manchmal laden mich Freundinnen ein. Aber ich fühle mich meist sehr unwohl, wenn andere für mich bezahlen. Manchmal sage ich deshalb Einladungen ab und behaupte, ich hätte Bauchweh. Deshalb möchte ich hier auch nicht meinen Namen sagen und mich nicht fotografieren lassen."

Im Video: Reicht die Rente zum Leben? - Die Alten-Republik

SPIEGEL TV
Aufgezeichnet von Silke Fokken