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Antidepressiva-Forschung

Wie erreicht man eine dauerhafte Remission?

Die Depression ist eigentlich eine gut erforschte psychische Erkrankung. Allerdings sind die Mechanismen, die zur Induktion, Remission und zum Wiederauftreten von depressiven Episoden führen, immer noch nicht voll verstanden. Ketamin hat Forscher nun auf eine Spur gebracht, die zur Entwicklung besserer Antidepressiva führen könnte.
Theo Dingermann
18.04.2019  08:00 Uhr

Die über 100 Milliarden Nervenzellen unseres Gehirns sind unglaublich stark vernetzt. Dabei ist die Verschaltung der Nervenzellen untereinander keineswegs statisch. Ein Leben lang kann die Verschaltungsarchitektur auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren.

Zu den synaptischen Grundbausteinen gehören die sogenannte Dornen (Spines), an denen man die Plastizität des zentralen Nervensystems recht gut studieren kann. Denn auch das morphologische Muster der Spine-Architektur ist hochgradig dynamisch. Diesen Marker benutzte nun ein internationales Forscherkonsortium, um primär die antidepressiven Funktionen von Ketamin im Tierversuch zu erforschen. Diese Arbeiten wurden jetzt in »Science« publiziert.

Ketamin ist ein eher alter Wirkstoff, der aber aktuell als Antidepressivum viel Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Erst kürzlich hat die US-Arzneimittelbehörde ein Esketamin-haltiges Nasenspray zur Behandlung von schweren Depressionen zugelassen. Ketamin ist in der Lage, depressive Symptome besonders schnell zu lindern. Dies ist nicht nur therapeutisch interessant. Die schnelle pharmakologische Reaktion bietet auch die Möglichkeit, offene Fragen zu den neurobiologischen Mechanismen beispielsweise beim Übergang von einer depressiven Phase in die Remission zu untersuchen.

In aufwendigen Experimenten konnten die Forscher demonstrieren, dass Ketamin den stressinduzierten Verlust von Dornenfortsätzen an Dendriten, wie er typischerweise bei Depressiven auftritt, selektiv aufheben kann. Zudem kann der Arzneistoff offenbar Synapsen im präfrontalen Cortex wiederherstellen. Allerdings setzt die Linderung der depressiven Symptome deutlich früher ein als die Modifikation des Musters der Dendriten-Dornenfortsätze. Dies deutet darauf hin, dass die morphologischen Anpassungen zunächst nicht erforderlich sind, um den antidepressiven Effekt akut auszulösen.

Eine langfristige Aufrechterhaltung der antidepressiven Effekte scheint dabei mit der Wiederherstellung der Dendriten-Morphologie zu korrelieren. Diese Hypothese konnten nun Wissenschaftler von der Weill-Cornell-Universität in New York tatsächlich mit Hilfe photoaktivierbarer Sonden experimentell erhärten. Es stellte sich heraus, dass die Neubildung von Dornenfortsätzen eine notwendige und spezifische Rolle bei der längerfristigen Aufrechterhaltung der antidepressiven Wirkung von Ketamin spielt. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass die Bildung von Dornenfortsätzen im präfrontalen Cortex durch Ketamin-Behandlung die Remission unterstützt.

Dieses Modell könnte sich als ein wichtiges Entwicklungswerkzeug bei der Suche nach neuen Substanzen erweisen, die in der Lage sind, den Verlust von Synapsen zu stoppen, um bei der Behandlung schwerer Depressionen eine nachhaltige Remission zu erreichen.

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