Bürokratie auf Europas Pisten:Krieg der Skilehrer

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Konkurrenz und Bürokratie machen den Skilehreren in Europa zu schaffen.

(Foto: kristen-images.com / Michael Kristen)

Morgens lächelnd in den Hang, abends lächelnd ins Bett der Schülerinnen? Das war einmal. Europas Skilehrer kämpfen mit steigender Konkurrenz und einer verrückt gewordenen Bürokratie. Im schlimmsten Fall kann das schnurstracks ins Gefängnis führen.

Von Ines Alwardt

"Sie behandeln mich wie einen Mörder", sagt Simon Butler, "dabei bin ich doch einfach nur ein Skilehrer."

Megève, ein beliebter Wintersportort in den Savoyer Alpen, 18. Februar. Simon Butler sitzt im Sessellift, als eine Gruppe Polizisten ihn anhält. Sie nehmen ihn fest, verhören den 51-Jährigen neun Stunden lang auf dem Präsidium und stecken ihn in eine eiskalte Zelle. Erst am Morgen lassen sie ihn wieder frei. Jetzt muss Butler vor Gericht, am 7. April beginnt sein Prozess im französischen Bonneville. Verliert er ihn, droht ein Jahr Gefängnis. Der Vorwurf: Er soll Ski-Unterricht gegeben haben - ohne eine gültige französische Lizenz.

Kein Scherz.

Die Geschichte des Briten, der seit mehr als 30 Jahren als niedergelassener Skilehrer zwei Chalet-Hotels im französischen Megève betreibt, wirft einen bedenklichen Schatten auf die nach außen so freundlich erscheinende Branche der Skilehrer. Um den einstigen Kultberuf hat sich ein System etabliert, in dem das Gesetz des Stärkeren die Regeln diktiert. Gnadenloser Wettbewerb, harte Ausbildungskurse, Missgunst und ein länderspezifischer Protektionismus: Das sind die Hürden, die ein Skilehrer im Jahr 2014 überwinden muss.

"Früher", sagt Wolfgang Debrunner, 64, in reinstem Schweizer Akzent, "war der Skilehrer ein Gott. Die Leute waren stolz, wenn sie hinter ihm den Abhang runterfahren durften." Der Gott war sonnengebräunt, trug sein längeres Haar wie Hansi Hinterseer mit hellen Strähnen durchsetzt und war: der Mann für die Frauen. Nicht nur auf der Piste. "Die Damen haben sich reihenweise in die Skilehrer verliebt", erzählt Debrunner. Der gebürtige Zürcher arbeitet seit Jahrzehnten als Privatskilehrer in St. Moritz. Zwischen Champagner trinkenden Gästen und Chihuahuas in Designer-Mäntelchen bringt er den Gutbetuchten bei, wie sie unversehrt die Abhänge runterkommen. Aber die Branche sei kurzlebig geworden: "Wie eine Jobbörse. Komm' ich heut' nicht, komm' ich morgen. Man kann sich auf nichts mehr verlassen."

Debrunner hat recht. Seit Jahren steigt die Zahl der Schneesportlehrer, allein in Deutschland gibt es heute etwa 14.500 von ihnen, fast sieben Mal so viele wie noch im Jahr 1977. International geht der Deutsche Skilehrerverband (DSLV) von einer ähnlichen Entwicklung aus, genaue Zahlen gibt es nicht. Aber trotz dieser Entwicklung reißen sich die Skischulen um jeden guten Lehrer. "Wir können den Bedarf längst nicht mehr decken", sagt Peter Hennekes, Hauptgeschäftsführer des DSLV.

Dreisprachige Pädagogen gesucht

Die Konkurrenz hat den Job verändert. Vor allem seit die EU-Freizügigkeit gilt, werben viele Skischulen Lehrer aus anderen Ländern an, um ihren internationalen Touristen Muttersprachler an die Seite zu stellen. Glaubt man Norbert Henner, braucht der erfolgreiche Skilehrer heute fast ein Studium: "Er kann im besten Fall drei Sprachen, ist eloquent, kann die Leute begeistern und hat auch noch pädagogisch was drauf."

Dazu kommen: ein hervorragender Fahrstil, eine möglichst hohe Berufslizenz und viel praktische Erfahrung. Henner, 42 Jahre alt, gebürtiger Bayer und Gymnasiallehrer, ist im Nebenberuf Skilehrer in Garmisch-Partenkirchen. 120 Euro verdient er am Tag. Reich wird man davon nicht. Henner sagt: "Wer etwas verdienen will, muss nach St. Moritz." Sein Schweizer Kollege Debrunner kommt umgerechnet auf 320 Euro am Tag. "Ich fahre Motorrad und habe einen Rolls Royce, da brauch' ich auch ein bisschen was", erzählt er. Aber die Ansprüche der Kunden würden immer höher. Eine berühmte griechische Frau bucht ihn jedes Jahr, zweimal für zwei Wochen, ganztags, exklusiv. Er sei dann auch "Gesellschafter", erklärt Debrunner. Solche Aufträge sichern die Existenz.

"Es gibt viele, die sich hier hassen"

Die Schweiz ist ein Skilehrer-freundliches Land. Sie zahlt gut. Und sie erkennt Lizenzen ausländischer Lehrer meist ohne Probleme an. Für heimische freiberufliche Lehrer wie Debrunner ist das Fluch und Segen zugleich. Auf der Piste herrschen Neid und Missgunst. "Es gibt viele, die sich hier hassen", sagt er. Für die Lehrer aus dem Ausland ist es trotzdem ein Paradies.

In vielen EU-Ländern erschweren bürokratische Vorschriften die Arbeit. Frankreich gilt in der Hinsicht als besonders eigen. "Manche Länder wollen ihren Markt abschotten, ihn schützen, indem sie komplizierte Regularien schaffen", sagt Peter Hennekes vom DSLV. Besonders in beliebten Gebieten wie Südtirol und Vorarlberg hätten die Skilehrer zu kämpfen. Der deutsche Verbandsvertreter hat dafür kein Verständnis. "Dass innerhalb eines grenzüberschreitenden Binnenmarktes in Europa Länder Gesetze aufstellen, die den Markt für andere behindern, ist ein unerträglicher Zustand", sagt er.

Ein Beispiel, wie dieser Protektionismus funktioniert, ist das Tiroler Skischulgesetz; ausländische Skilehrer könnten es auch als Schikane werten. Will etwa eine deutsche Schule mit einer Gruppe für den Unterricht nach Österreich reisen, muss sie erst einen Haufen Papierkram erledigen: Haftpflichtversicherung nachweisen, Personalweise mitschicken und Gebühren zahlen - 150 Euro pro Lehrer, sagt Hennekes. "Die Inländer versuchen, den Ausflugsverkehr möglichst gering zu halten", erklärt er trocken.

Simon Butler, der Brite, der nun wegen einer fehlenden Lizenz in Frankreich vor Gericht muss, sagt, dass das Geschäft vor seiner Festnahme immer gut gelaufen sei. Jede Saison hätte er als Hotelier etwa 1800 Touristen beherbergt. Jetzt ist niemand da. Butler und seine Skilehrer dürfen nicht mehr arbeiten. Die Behörden werfen ihm vor, gegen französisches Recht verstoßen zu haben. "Herr Butler erfüllt einfach nicht die Voraussetzungen, um in Frankreich zu unterrichten", erklärte die Staatsanwaltschaft der Stadt Bonneville vor ein paar Tagen. "Ich darf unterrichten, auch ohne französische Lizenz", erwidert Simon Butler. Er beruft sich auf EU-Recht.

Deutscher bekam Recht von EU-Kommission

Der Brite ist nicht der erste Schneesportlehrer, der in Frankreich vor Gericht zieht. Der Fall von Mathias Prinz schaffte es vor mehr als zehn Jahren sogar bis nach Brüssel. Der Deutsche wollte sich in Frankreich eine Lizenz als Snowboardlehrer erstreiten. Aber die Franzosen waren nicht bereit, Snowboarden als Sportart anzuerkennen. Sie sagten sinngemäß: Snowboarden ist Skifahren, und wer nicht Skifahren kann, kriegt keine Lizenz, schon gar nicht für eine Sportart, die gar nicht existiert. Es folgte ein langer Rechtsstreit. Irgendwann wandte Prinz sich an die EU-Kommission, es kam zu einem Vertragsverletzungsverfahren. Und der Deutsche bekam Recht.

Simon Butler ist noch nicht so weit. Vergangene Woche wollte er nach England reisen, zur Beerdigung eines Freundes. Aber er durfte Frankreich nicht verlassen. "Ich muss mich immer wieder an mein Verbrechen erinnern", sagt er: "Ich habe Ski-Unterricht gegeben."

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