Kassenärztliche Bundesvereinigung:Ärztechef knallhart

Andreas Gassen

"Wir wollen stärker als Interessenvertretung sichtbar werden": Andreas Gassen, neuer KBV-Chef

(Foto: dpa)

Die niedergelassenen Mediziner und Psychotherapeuten proben den Aufstand. Sie fühlen sich von Politik und Krankenkassen gegängelt. Der neue Verbandschef Andreas Gassen kündigt heftige Reaktionen an

Von Guido Bohsem, Berlin

153 000 niedergelassene Mediziner und Psychotherapeuten gibt es in Deutschland, und in ihren Reihen rumort es. Und wie. Von den Krankenkassen fühlen sie sich diffamiert, von der Politik gegängelt und ausgebeutet. Intern sieht es kaum besser aus. Haus- und Fachärzte stritten sich in den letzten Wochen so heftig, dass die Organisation fast daran zerbrochen wäre.

Keine vier Wochen ist Andreas Gassen im Amt und weiß seine Truppe in Aufruhr. Der neue Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) setzt deshalb auf Angriff. Weil die Ärzte eine mächtige Lobbygruppe sind und heftige Proteste organisieren können, drohen der Gesundheitspolitik ungemütliche Zeiten.

Knallhart werde er für die Belange seiner Berufsgruppe eintreten, sagt Gassen im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Wir wollen stärker als Interessensvertretung sichtbar werden"; es klingt wie eine Drohung.

Die Politik sei immer dann mit der KV zufrieden, wenn diese die gestellten Aufgaben geräuschlos erledige, klagt der neue Chef. "Ungehalten wird man, wenn wir auch unsere Anliegen durchsetzen wollen. Doch das sollte uns nicht schrecken."

Wachsendes Maß an Bevormundung und Gängelung

Selbstverständlich sei die Ärzteschaft bereit, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen und die medizinische Versorgung sicherzustellen. Doch habe die Aufgabenteilung in diesem System für die Ärzteschaft inzwischen deutlich an Reiz verloren. Vor allem das immer weiter wachsende Maß an Bevormundung und Gängelung frustriere die Kollegen, so der Düsseldorfer Orthopäde. "Unsere Freiheit bemisst sich an der Länge der Kette, an der wir durch den Gefängnishof geführt werden." Das sehe er wie sein Vorgänger.

Als typisches Beispiel für einen Angriff auf die Ärzteschaft bezeichnete Gassen das Vorhaben der Koalition, die Vergabe von Facharztterminen auf maximal vier Wochen zu begrenzen. SPD und Union wollen durchsetzen, dass jeder Patient innerhalb dieser Zeit einen Termin bekommt. Klappt das nicht auf dem herkömmlichen Weg, soll die Kassenärztliche Vereinigung einen Termin vermitteln. An diesem Vorhaben sehe man, dass die Politik im Bereich der Gesundheitspolitik zu einer kolossalen Überregulierung neige und auch vor dirigistischen Eingriffen nicht zurückschrecke, sagte Gassen. "Die Politik regiert damit in die Geschäftsführung von freien und unabhängigen Unternehmern rein. Das ist ein Unding", betonte der KBV-Chef.

Ohnehin wird aus Sicht der Ärzte bei diesem Thema maßlos übertrieben. "Ich halte das Thema Wartezeiten für ein Scheinriesen-Problem - je näher man es anschaut, desto kleiner wird es", so Gassen. Viel spreche dafür, dass damit der letzte Rest, der von der sozialdemokratischen Idee einer Bürgerversicherung geblieben sei, "wie eine Monstranz durchs politische Dorf getragen wird".

Wartezeiten? "Das ist eine völlig überblähte Diskussion"

Mit der Bürgerversicherung will die SPD die Unterschiede zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung einebnen. Sie konnte dies in den Koalitionsverhandlungen aber gegen die Union nicht durchsetzen. Das zweigeteilte Versicherungssystem führt nach Meinung der SPD zu einer Bevorzugung von Privatpatienten beim Arzt, weshalb sich die Wartezeiten auf einen Termin für gesetzlich Versicherte verlängerten. "Das ist eine völlig überblähte Diskussion", sagt der Ärztechef.

Nach der jüngsten Patientenbefragung der KBV sei das Problem erheblich kleiner, als immer wieder gesagt werde. "Oft wird es auch durch die Patienten selbst befördert, die wegen Bagatellerkrankungen den Facharzt aufsuchen oder Termine nicht einhalten." Schon jetzt würden die dringlichen Fälle sofort vom Hausarzt an den Facharzt vermittelt. "Die Patienten erhalten dann in der Regel am nächsten, womöglich noch am gleichen Tag einen Termin." Es könne ja auch nicht darum gehen, den Termin bei seinem Wunscharzt zu kriegen.

Gassen kündigte dennoch Vorschläge an, mit denen sich das Vorhaben der Koalition umsetzen ließe. Es werde aber voraussichtlich keine bundesweite Regelung geben, sondern regional unterschiedliche Lösungen. "Die Ideen reichen derzeit von einer App fürs Smartphone bis hin zu der Einrichtung einer Telefonstelle."

Jobs attraktiver ausgestalten

Die Ärzte würden natürlich von solchen Dingen belastet, klagte Gassen. Da sei es kein Wunder, wenn der ärztliche Nachwuchs nicht mehr ausreiche, obwohl so viele junge Menschen wie nie zuvor Medizin studierten. Es müsse darum gehen, die Jobs attraktiv auszugestalten. "Dazu ist es zwingend notwendig, der Ärzteschaft wieder mehr Freiheiten einzuräumen."

Nötig sei auch mehr Anerkennung für niedergelassene Ärzte. "Wenn der Spitzenverband der Krankenkassen auch in der anstehenden Verhandlungsrunde über die Honorare wieder die Litanei der faulen und korrupten Ärzte runter betet, wird es brenzlig." Auch werde der Ärztemangel Einschränkungen erzwingen.

Die Konsequenz: Es könnten dann eben nicht mehr alle alles haben.

Die Leistungen müssten besser verteilt werden, etwa durch Wahltarife der gesetzlichen Kassen. "Wir sollten eine Art Grundversorgung definieren, damit jeder unabhängig von Alter, Geschlecht und Vermögen alle wichtigen Leistungen erhält", sagte Gassen. "Wenn jemand einen Tumor hat, muss er so behandelt werden, als gehörte ihm die Klinik. Wir sollten aber nicht mehr jede Kleinigkeit in diesem Katalog abbilden." Das könnten die Ärzte nicht mehr leisten. "Wir sollten Kranke behandeln und nicht die Bagatellen von Gesunden."

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