Pharmazeutische Zeitung online
Infliximab

Gekommen, um zu bleiben

Der gegen den Tumornekrosefaktor-α gerichtete Antikörper Infliximab (Remicade®) kam 1999 zur Behandlung von Patienten mit chronisch-entzündlichen Darm­erkrankungen auf den Markt. Er wird bis heute breit eingesetzt und war der Wegbereiter einer ganzen Arzneistoffklasse, die vor allem die Therapie der rheumatoiden Arthritis revolutionierte.
Theo Dingermann
03.04.2019  08:00 Uhr

Zwei mögliche Ziele verfolgt eine moderne Arzneimittelforschung:

  1. Die Entwicklung neuer, gut wirksamer und sicherer Arzneistoffe beziehungsweise Arzneimittel.
  2. Gegebenenfalls die Identifizierung neuer Zielstrukturen, sogenannter druggable targets, die mittels speziell entwickelter Moleküle (Arzneimittel) so korrigiert werden können, dass ein positiver therapeutischer Effekt resultiert.

Eher selten ist es so, dass beide Ziele mit einem neuen Molekül erreicht werden. Ein prominentes Beispiel ist zweifelsohne der rekombinante mono­klonale Antikörper Infliximab, der Gewinner des PZ-Innovationspreises im Jahr 2000.

Infliximab war nach Abciximab, Basiliximab und Rituximab erst der vierte gentechnisch hergestellte Antikörper, der für die Therapie beim Menschen eine Zulassung erhielt. Wie alle rekombinanten Antikörper der damaligen Zeit war auch Infliximab ein chimärer Antikörper, das heißt ein in der Maus generierter Antikörper, bei dem alle konstanten Bereiche der schweren und leichten Ketten des Maus-Proteins mithilfe gentechnischer Methoden gegen humane Analog­sequenzen ausgetauscht waren. Erst durch diesen »Umbau« wurden Maus-Antikörper für den Menschen tolerierbar und somit therapeutisch einsetzbar.

Mindestens ebenso bemerkenswert war, dass Infliximab gegen ein bis dahin nicht adressiertes Biomolekül, den bedeutenden Entzündungsmediator TNF-α, gerichtet ist, und diesen durch Bildung eines Immunkomplexes inaktiviert. Dies war die Geburt einer Erfolgsgeschichte, die bis heute für viele Patienten Linderung ihrer schweren Symptome und das Anhalten eines zerstörerischen Prozesses bedeutet.

Noch heute schlagen Infliximab-Präparate bei der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland in einer Größenordnung von mehr als 500 Millionen Euro jährlich zu Buche. Dabei ist Infliximab längst nicht mehr der einzige Anti-TNF-α-Wirkstoff. Daneben stehen heute mit Adalimumab, Etanercept, Certolizumab und Golimumab Wirkstoffe zur Verfügung, die ebenfalls TNF-α inaktivieren.

Diese Wirkstoffredundanz verdeutlicht zwei Aspekte: Zum einen wurde schnell klar, dass der Tumornekrosefaktor α ein äußerst attraktives Target war und ist, und zum anderen boten sich clevere Molekülvariationen an, die die Patent­ansprüche der unterschiedlichen sich gegenseitig konkurrierenden Moleküle nicht verletzten. Adalimumab und Golimumab sind humane Antikörper, Certolizumab ist ein Fab-Fragment eines humanisierten Antikörpers mit einem optimierten Molekül­bereich, das zur Stabilisierung mit zwei circa 20 kDa großen Methoxypolyethylenglykol-Ketten modifiziert ist, und Etanercept ist ein gentechnisch hergestelltes, artifizielles Fusionsprotein aus zwei identischen Untereinheiten der extrazellulären Domäne des mensch­lichen TNF-α-Rezeptors und dem Fc-Bereich eines humanen IgG1-Antikörpers.

Erfolgreiches Prinzip

Wie erfolgreich das molekulare Prinzip ist, für das Infliximab den Proof of Concept lieferte, lässt sich auch daran erkennen, dass zum einen Adalimumab über Jahre das umsatzstärkste Arzneimittel war und dass zwischenzeitlich zehn verschiedene Anti-TNF-α-Bio­similars in Europa zugelassen sind.

TNF-α-Wirkstoffe haben heute neben der rheumatoiden Arthritis zusätzlich Zulassungen zur Behandlung von Psoriasis-Arthritis, axialer Spondylo­arthritis, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sowie teilweise von Uveitis und Hidradenitis suppurativa – ein bemerkenswertes Indikationsspektrum, das die Bedeutung dieser Substanz­klasse eindrücklich unterstreicht. 

Mehr von Avoxa