Gekommen, um zu bleiben |
Theo Dingermann |
03.04.2019 08:00 Uhr |
Zwei mögliche Ziele verfolgt eine moderne Arzneimittelforschung:
Eher selten ist es so, dass beide Ziele mit einem neuen Molekül erreicht werden. Ein prominentes Beispiel ist zweifelsohne der rekombinante monoklonale Antikörper Infliximab, der Gewinner des PZ-Innovationspreises im Jahr 2000.
Infliximab war nach Abciximab, Basiliximab und Rituximab erst der vierte gentechnisch hergestellte Antikörper, der für die Therapie beim Menschen eine Zulassung erhielt. Wie alle rekombinanten Antikörper der damaligen Zeit war auch Infliximab ein chimärer Antikörper, das heißt ein in der Maus generierter Antikörper, bei dem alle konstanten Bereiche der schweren und leichten Ketten des Maus-Proteins mithilfe gentechnischer Methoden gegen humane Analogsequenzen ausgetauscht waren. Erst durch diesen »Umbau« wurden Maus-Antikörper für den Menschen tolerierbar und somit therapeutisch einsetzbar.
Mindestens ebenso bemerkenswert war, dass Infliximab gegen ein bis dahin nicht adressiertes Biomolekül, den bedeutenden Entzündungsmediator TNF-α, gerichtet ist, und diesen durch Bildung eines Immunkomplexes inaktiviert. Dies war die Geburt einer Erfolgsgeschichte, die bis heute für viele Patienten Linderung ihrer schweren Symptome und das Anhalten eines zerstörerischen Prozesses bedeutet.
Noch heute schlagen Infliximab-Präparate bei der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland in einer Größenordnung von mehr als 500 Millionen Euro jährlich zu Buche. Dabei ist Infliximab längst nicht mehr der einzige Anti-TNF-α-Wirkstoff. Daneben stehen heute mit Adalimumab, Etanercept, Certolizumab und Golimumab Wirkstoffe zur Verfügung, die ebenfalls TNF-α inaktivieren.
Diese Wirkstoffredundanz verdeutlicht zwei Aspekte: Zum einen wurde schnell klar, dass der Tumornekrosefaktor α ein äußerst attraktives Target war und ist, und zum anderen boten sich clevere Molekülvariationen an, die die Patentansprüche der unterschiedlichen sich gegenseitig konkurrierenden Moleküle nicht verletzten. Adalimumab und Golimumab sind humane Antikörper, Certolizumab ist ein Fab-Fragment eines humanisierten Antikörpers mit einem optimierten Molekülbereich, das zur Stabilisierung mit zwei circa 20 kDa großen Methoxypolyethylenglykol-Ketten modifiziert ist, und Etanercept ist ein gentechnisch hergestelltes, artifizielles Fusionsprotein aus zwei identischen Untereinheiten der extrazellulären Domäne des menschlichen TNF-α-Rezeptors und dem Fc-Bereich eines humanen IgG1-Antikörpers.
Wie erfolgreich das molekulare Prinzip ist, für das Infliximab den Proof of Concept lieferte, lässt sich auch daran erkennen, dass zum einen Adalimumab über Jahre das umsatzstärkste Arzneimittel war und dass zwischenzeitlich zehn verschiedene Anti-TNF-α-Biosimilars in Europa zugelassen sind.
TNF-α-Wirkstoffe haben heute neben der rheumatoiden Arthritis zusätzlich Zulassungen zur Behandlung von Psoriasis-Arthritis, axialer Spondyloarthritis, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sowie teilweise von Uveitis und Hidradenitis suppurativa – ein bemerkenswertes Indikationsspektrum, das die Bedeutung dieser Substanzklasse eindrücklich unterstreicht.
Seit fast einem Vierteljahrhundert vergibt die Pharmazeutische Zeitung den PZ-Innovationspreis und würdigt damit das jeweils innovativste Arzneimittel eines Jahres. Beim diesjährigen Pharmacon-Kongress in Meran wird der Preis zum 25. Mal verliehen. Das Jubiläum nimmt die PZ zum Anlass, alle bisherigen Preisträger Revue passieren zu lassen und sie kritisch zu beleuchten. Ließen sie sich in den Therapiealltag integrieren? Haben sie neue Therapierichtungen induziert? Als Autoren fungieren die Professoren Dr. Theo Dingermann und Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Mitglieder der externen PZ-Chefredaktion, sowie der stellvertretende PZ-Chefredakteur Sven Siebenand.