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Deutsche Gesellschaft für Neurologie

Placebos bei Rückenschmerzen bewusst einsetzen

Placebo können Patienten mit chronischen Rückenschmerzen helfen – selbst wenn sie wissen, dass sie nur ein Scheinmedikament einnehmen. Das bestätigt eine neue Studie aus Essen. Neurologen empfehlen, den Placeboeffekt bewusst bei Schmerzpatienten einzusetzen.
Daniela Hüttemann
06.02.2020  12:00 Uhr

An der Universitätsmedizin Essen wurden Patienten, die seit mindestens zwölf Wochen unter Rückenschmerzen litten, in zwei Gruppen eingeteilt: 60 erhielten weiterhin ihre bisherige Behandlung, 67 erhielten zusätzlich über 21 Tage zweimal täglich eine wirkstofffreie Kapsel. Alle Teilnehmer wurden vor Studienbeginn darüber aufgeklärt, dass es sich um ein Scheinmedikament handelt. Ihnen wurde aber auch ein Video über die neueste Studienlage zu möglichen positiven Effekten einer offenen Placebogabe gezeigt. Den Patienten der Vergleichsgruppe versicherten die Forscher darüber hinaus, dass sie nach Ablauf des Versuchszeitraums ebenfalls eine Placebo-Behandlung erhalten können.

Primärer Endpunkt der Studie war die von den Patienten empfundene Schmerzintensität. Als sekundäre Endpunkte wurden die schmerzbedingte Einschränkung sowie Depression, Angst und Stress mittels standardisierter Fragebögen erhoben. Als objektives Kriterium wurde zudem die Beweglichkeit der Wirbelsäule im Hinblick auf Bewegungsausmaß und -geschwindigkeit mit Sensoren erfasst.

Die im Fachjournal »Pain« veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass die Placebo-Behandlung in einigen Bereichen geholfen hat: Die subjektive Schmerzreduktion war signifikant größer als unter der alleinigen Standardtherapie. Die Patienten nutzten auch weniger Notfallmedikamente im Sinne zusätzlicher Schmerzmittel. Sie fühlten sich zudem weniger in ihrem Alltag eingeschränkt und zeigten weniger depressive Symptome. Auf Stress und Angst hatte das wirkstofffreie Medikament dagegen keinen Einfluss, ebenso wenig auf die objektiv bestimmte Beweglichkeit der Wirbelsäule.

Die Studienautoren um Erstautor Dr. Julian Kleine-Borgmann mutmaßen, dass schon das Informationsvideo unbewusst positive Erwartungen an das Placebo geweckt hätte, obwohl die gemessene Erwartung in der Placebogruppe in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Schmerzlinderung stand, heißt es in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Eine weitere Hypothese ist die Umdeutung sogenannter natürlicher Fluktuationen: Es ist bekannt, dass chronische Rückenschmerzen in ihrer Intensität über den Verlauf schwanken. Möglicherweise führten schmerzärmere Phasen dazu, dass positive Erwartungen im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung eintreten, wodurch der Glaube an einen positiven Effekt der Placebos weiter bestärkt wird.

Placeboeffekt bewusst nutzen

Die Studienautoren sprechen sich dafür aus, das therapeutische Potenzial von Placebos weiter zu untersuchen. Der Neurologe und DGN-Pressesprecher Professor Dr. Hans-Christoph Diener plädiert dafür, den Placeboeffekt jetzt schon stärker in bestehende Therapiekonzepte einzubeziehen. Dazu gehöre eine positive Darstellung des zu erwartenden Therapieerfolgs. 

Diener betont, dass die Psyche bei chronischen Schmerzerkrankungen eine wichtige Rolle spielt und auf das subjektive Schmerzempfinden Einfluss nehmen kann. »Wenn wir die subjektive Schmerzlast der Patienten – und sei es auch nur bei einem Teil der Patienten – durch ein Aufklärungsvideo und die Ergänzung des Placeboeffekts nennenswert senken können, sollten wir diese Option nutzen«, meint der Neurologe. »Chronische Schmerzpatienten haben einen enormen Leidensdruck, der sie körperlich und seelisch zermürbt – eine Therapie, die zu einer subjektiven Verbesserung führt, hat Berechtigung, auch wenn wir die dahinterliegenden Mechanismen noch nicht vollständig verstehen.«

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