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Rx-Versandhandel

Polen zieht Gesetzesplan zurück

Warschau / Der Konflikt um Rabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente durch ausländische Versender in Deutschland spitzt sich zu. Die EU-Kommission hat gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Auch in Polen gibt es Streit um das Thema. Jetzt will die Regierung überraschend den Versandhandel doch nicht erlauben -aus Angst vor ähnlichen Konflikten mit Brüssel.
Sebastian Becker
05.04.2019  13:34 Uhr

Mitte Februar sah beim deutschen Nachbarn Polen alles noch ganz klar aus: Die nationalkonservative Regierung hatte vor, den Internet-Handel für verschreibungspflichtige und vom Staat bezuschusste Medikamente zu erlauben. Denn bisher war nur der Verkauf von OTC-Mitteln über das Netz möglich. Das neue Gesetzesprojekt sah nun vor, dass künftig auch Medikamente verschickt werden dürfen, die auf der Grundlage eines elektronischen Rezeptes verordnet worden sind.

Eine zusätzliche Verordnung sollte noch regeln, welche Medikamente vom Versand ausgeschlossen sein würden. So sollte es etwa laut Regierungsentwurf verboten sein, psychotrope Substanzen zu versenden. Auch sollten keine Arzneien verschickt werden dürfen, bei denen Versorgungsengpässe drohen. Das Gesetz sollte bereits ab 1. Juli 2019 in Kraft treten. »Ein sehr wichtiges Projekt«, lobte damals Justizminister Zbigniew Ziobro.

Doch nun macht die Regierungspartei PiS einen Rückzieher – und das für alle völlig überraschend: Das polnische Parlament Sejm hat am 4. April mit fast absoluter Mehrheit ohne Gegenstimmen beschlossen, den Passus aus dem Projekt herauszustreichen, der den Versand von verschreibungspflichtigen Medikamenten ermöglichen sollte.

Die Regierung begründete diese Entscheidung mit dem Streit in Deutschland, den es derzeit um den Rx-Versandhandel gibt. So sind den Polen die Proteste der deutschen Apotheker nicht verborgen geblieben. Dabei bereitet ihnen insbesondere der schwelende Konflikt Deutschlands mit der EU große Sorgen.. Brüssel hatte Berlin Anfang März im Zuge eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens gemahnt, die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten für Versender aus der Gemeinschaft gesetzlich aufzuheben. Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, um die Regelung zu streichen. Ansonsten droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Denn aus der Sicht der EU-Kommission verstößt die Preisbindung gegen den freien Warenverkehr.

»Die internationale Lage lässt uns handeln«, begründete jetzt der stellvertretende polnische Gesundheitsminister Janusz Cieszyński den Schritt der polnischen Regierung. »Es gab diese kontroverse Entscheidung der EU gegen Deutschland«, sagte das Regierungsmitglied. »Dies ist auch für uns ein Warnsignal«, so Cieszyński. »Deshalb haben wir unser Projekt in seiner bisherigen Form gestoppt«, zitiert die polnische Fachpublikation »Polityka Zdrowotna« (deutsch: »Die Gesundheitspolitik«) den Politiker.

Die polnische Regierung fürchtet, dass auch in ihrem Land ein juristischer Streit um den Arzneimittel-Versand mit der EU entstehen könnte – ähnlich wie in Deutschland. Brüssel könnte beim Streit mit Polen erst die festen Preise kippen, die im Internethandel gelten soll. Und damit auch das Gesetz in Frage stellen, das grundsätzlich diese Preisbindung für alle Medikamente regelt. Damit käme das gesamte System der Preisbindung in Polen ins Wanken, das hier eine enorme Bedeutung hat.

Fielen die Festpreise weg, würde das den gesamten Markt erschüttern. »Die Preisbindung gilt insbesondere bei den bezuschussten Medikamenten, mit denen die Händler jährliche Umsätze von 20 Milliarden Zloty (rund 4,7 Milliarden Euro) erzielen«, erklärte der Abgeordnete Jan Łopata von der Bauernpartei PSL. »Das sind fast zwei Drittel des gesamten Pharmamarkts«, so der Mann aus der Opposition. „Ohne Streit können wir uns riesige Kosten ersparen«, erklärte der Politiker.

»Es ist gut, dass die Regierung einen Rückzieher gemacht hat, weil das Gesetz in dieser Form nur unzureichend war«, kommentierte der Abgeordnete von der liberalen Partei PO Rajmund Miller. »Es hat für die Patienten keine Sicherheit garantiert, weil es beispielsweise keine Regelung getroffen hat, wie der Kurier die Medikamente zu den Kunden liefern soll«, erklärte der Politiker.

»Das Projekt der Regierung, den Versandhandel zuzulassen, war eine tickende Zeitbombe«, zeigte sich auch Marcin Wiśniewski von der polnischen Arbeitgeber-Vereinigung für die Apotheker, Związek Aptekarzy Pracodawców Polskich Aptek (ZAPP), erleichtert. »Glücklicherweise ist sie kurz vor der Explosion entschärft worden«, freute sich der Funktionär. »Hoffentlich kommt niemand mehr auf die Idee, sie wieder anzuzünden«, sagte er. »Deutschland ist gerade dabei, die Schäden nach der Explosion beiseite zu räumen«, so Wiśniewski mit Blick auf den Nachbarn.

 

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