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Neue Arzneistoffe 2017

Gut gefüllte Pipeline

21.12.2016  09:01 Uhr

Von Daniela Hüttemann / In diesem Jahr sind 32 neue Arzneistoffe auf den deutschen Markt gekommen und 2017 rechnen Pharma­unternehmen mit ähnlich vielen Neueinführungen. Vor allem für Krebsmedikamente, Arzneimittel gegen Autoimmunerkrankungen und Orphan Drugs könnte es ein starkes Jahr werden. Wir stellen einige Kandidaten im Zulassungsverfahren schon einmal kurz vor.

Das größte Segment bei den Neueinführungen könnten laut Informationen des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) wieder die Krebsmedikamente bilden. Vor allem Kinasehemmer und damit orale Therapieoptionen sind stark vertreten. Ixazomib (Ninlaro® von Takeda) ist bereits zugelassen und soll im Januar zur Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom in Deutschland auf den Markt kommen (lesen Sie dazu auch Seite 20).

 

Neues bei Brust- und Lungenkrebs

Nach der Markteinführung von Palbociclib (Ibrance® von Pfizer) im Dezember könnte mit Ribociclib von Novartis der zweite Vertreter dieser neuen Wirkstoffklasse gegen Brustkrebs folgen. Er hemmt die Cyclin-abhängigen Kinasen 4 und 6 (CDK4/6) und soll bei Frauen jenseits der Menopause mit fort­geschrittenem oder metastasiertem Hormonrezeptor-positivem und HER2-negativem Mammakarzinom eingesetzt werden. Ebenfalls gegen Brustkrebs wirkt der Multikinasehemmer Neratinib von Puma Biotechnology.

 

Bereits 2015 haben Astra-Zeneca und Roche die Zulassung für je einen Kinasehemmer gegen nicht kleinzelligen Lungenkrebs beantragt. Merelit-inib soll auch bei bestimmten resistenten Tumoren wirksam sein, Alectinib hemmt die Anaplastische Lymphom-Kinase (ALK). Binimetinib von Array Biopharma soll als MEK-Inhibitor Melanom-Patienten mit NRAS-Mutation helfen. Tivozanib wirkt als VEGF-1,2,3-Rezeptor-Tyrosin-Kinaseinhibitor antiangiogenetisch und soll bei Nierenkrebs helfen.

 

Vor allem für Leukämie-Patienten könnten sich 2017 neue Therapieoptionen ergeben: Frisch zugelassen ist Vene­toclax (Venclyxto® von Abbvie) für Hochrisiko-Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) mit bestimmten Mutationen. Vosaroxin (Qinprezo® von Sunesis Pharma) hemmt die Topoisomerase II und ist für Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) gedacht. Gegen Mastozytose und AML wirkt der Multikinaseinhibitor Midostaurin von Novartis. Eryaspase (Graspa® von Erytech Pharma) ist bio­logisch hergestellte L-Asparginase, die in Erythrozyten verkapselt ist. Das Enzym soll mehr Patienten mit Phila­delphia-Chromosom-negativer akuter lymphatischer Leukämie (ALL) zu einer kompletten Remission verhelfen.

 

Ein wahres Multitalent verspricht Masitinib zu sein, das bereits als Tierarzneimittel zur Behandlung von Mastzelltumoren zugelassen ist: Der Arzneistoff wirkt gegen FGFR3-, c-kit-, Lyn-, Fyn- und PDGF-Rezeptor-Tyrosinkinasen. AB Science hat die Zulassung für Menschen zunächst gegen gastro­intestinale Stromatumoren (GIST), Pankreaskrebs, Mastozytose und amyo­trophe Lateralsklerose (ALS) beantragt, testet den Wirkstoff aber auch gegen weitere Krebserkrankungen und sogar Morbus Alzheimer.

 

Psoriasis und Arthritis im Fokus

 

Neben Krebsmedikamenten sind Wirkstoffe, die das Immunsystem beeinflussen, stark vertreten: Im März 2017 ist die Markteinführung von Ixekizumab (Taltz® von Lilly) geplant. Der IL-17A-Antagonist erhielt bereits im April 2016 eine EU-Zulassung zur Behandlung erwachsener Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis (Schuppenflechte), die für eine systemische Therapie infrage kommen. Er soll das Hautbild der betroffenen Patienten deutlicher und schneller verbessern als Biologika mit anderem Wirkmechanismus bei vergleichbarem Sicherheitsprofil. Während Ixekizumab wie Secukinumab Inter­leukin-17A selektiv inhibiert, blockiert der Antikörper Brodalumab neben IL-17A auch IL-17F und IL-25. Hersteller Astra-Zeneca hat die Zulassung für Patienten mit Psoriasis und Psoriasis-Arthritis in der EU bereits im November 2015 beantragt. Guselkumab richtet sich gegen die p19 Untereinheit von IL-23. Die Hersteller Morphosys und Centocor haben den Antrag auf EU- Zulassung zur Psoriasis-Therapie im vergangenen Monat eingereicht.

 

Ebenfalls im Zulassungsverfahren befinden sich drei Arzneistoffe gegen rheumatoide Arthritis: Die monoklonalen Antikörper Sirukumab von Morphosys und Centocor sowie Sarilumab von Regeneron und Sanofi richten sich gegen Interleukin-6. Der oral verfügbare Arzneistoff Baricitinib von Lilly und Incyte hemmt selektiv die Janus-Kinasen 1, 2 und 3.

Der monoklonale Antikörper Ocrelizumab von Roche richtet sich gegen das CD20-Protein auf B-Zellen. Er soll das Immunsystem bei Multiple-Sklerose-Patienten dämpfen. In Phase-III-Studien konnte der Antikörper mit neuartigem Wirkmechanismus Hirnläsionen und die jährliche Schubrate im Vergleich zu Interferon β-1a signifikant reduzieren. Roche hat die Zulassung im Mai 2016 beantragt. Cladribin kennen Apotheker schon als Medikament zur Behandlung der Haarzell-Leukämie. Merck will die Tabletten auch zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose auf den Markt bringen.

 

Reslizumab (Cinqaero® von Teva) wirkt als Interleukin-5-Antagonist und wurde bereits im August zur Behandlung von Asthma zugelassen. Ebenfalls bereits zugelassen ist mit Eluxadolin (Truberzi® von Aptalis) ein neues Medikament gegen das Reizdarmsyndrom. Der Wirkstoff richtet sich gegen die Opioid-Rezeptoren µ1 und δ1.

 

Während es mit dem Antikörper Idarucizumab (Praxbind®) bereits ein Antidot gegen den Thrombin-Hemmer Dabigatran gibt, fehlt bislang ein Gegenspieler für die Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban. Das könnte sich 2017 ändern, denn Portola Pharmaceuticals hat die Zulassung des Faktor-Xa-Derivats Andexanet alfa in der EU beantragt. Das gentechnisch hergestellte Antidot bindet mit höherer Affinität als Faktor Xa irreversibel an die Gerinnungshemmer und soll so die volle Gerinnungsfähigkeit des Blutes wiederherstellen.

 

Orphan Drugs im Kommen

 

Beispiele für neue Orphan Drugs sind neben einigen der oben genannten Krebsmedikamente zum Beispiel Pa-critinib, ein Multikinasehemmer gegen Myelofibrose einschließlich Polycyth­aemia vera, das bereits als Wurmmittel verfügbare Levamisol gegen das nephrotische Syndrom, Cerliponase alfa gegen neuronale Ceroid-Lipofuszinose Typ 2. Obeticholsäure (Ocaliva® von Intercept) ist der erste Vertreter der Farnesoid-X-Rezeptor-Agonisten. Das Gallensäuren-Analogon wurde noch im Dezember zugelassen zur Therapie der primären biliären Cholangitis, wird aber auch bei nicht alkoholbedingter Fettleber-Hepatitis, alkoholbedingter Hepatitis und primär sklerotisierender Cholangitis getestet.

 

Welche der vorgestellten Arzneistoffe wirklich 2017 in Deutschland zur Verfügung stehen und wann, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Selbst nach erfolgreicher Zulassung schaffen es einige Medikamente nicht oder stark verzögert auf den Markt, was beispielsweise an den Produktionsbedingungen, aber auch an taktischen Über­legungen der Hersteller aufgrund der frühen Nutzenbewertung liegen kann. Es ist zu hoffen, dass 2017 ein gutes Jahr für bislang unterversorgte Patienten wird. /

Drei Impfstoffe im

2017 könnte in Europa der erste Impfstoff gegen Dengue-Fieber (Deng­vaxia® von Sanofi) auf den Markt kommen. Der tetravalente Impfstoff soll Kinder und Erwachsene zwischen 9 und 45 Jahren vor allen vier Serotypen des Dengue-Virus schützen. Sanofi hat die EU-Zulassung im März 2016 beantragt. In einigen Ländern mit hoher Krankheitslast wie Mexiko, Brasilien und den Philippinen ist Dengvaxia bereits zugelassen. Mit Shingrix® von Glaxo-Smith-Kline könnte ein weiterer Impfstoff gegen Gürtelrose (Herpes zoster) auf den Markt kommen. In zwei Phase-III-Studien mit mehr als 37 000 Probanden im Alter ab 50 Jahre zeigte der Impfstoff gegen das Varizella-Zoster-Virus eine hohe Wirksamkeit. GSK hat im November die EU-Zulassung beantragt. Pfizer will in Konkurrenz zu Bexsero® von Novartis einen zweiten Impfstoff gegen Meningokokken der Serogruppe B auf den Markt bringen – ein lohnendes Geschäft, sollte die MenB- Impfung doch noch für Kinder in den Impfkalender der Ständigen Impfkommission aufgenommen werden. Pfizer hat die Zulassung in der EU im Mai 2016 beantragt.

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