Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – Heute @ Vitra Design Museum

In Nachtclubs und Diskotheken geht es nicht nur um Unterhaltung und Reizüberflutung, sondern auch um die Bereitstellung von Ausdrucks- und Reflexionsmitteln für eine Gesellschaft. Mit der Ausstellung „Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“ erkundet das Vitra Design Museum in Weil am Rhein fünf Jahrzehnte Clubkultur.

Night Fever. Designing Club Culture 1960 - Today, Vitra Design Museum

„Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“, Vitra Design Museum

Eines unserer schlimmsten Disco-Erlebnisse aller Zeiten war tatsächlich in Weil am Rhein. Und dabei waren wir nicht mal dabei. Es war vor ein paar Jahren, als wir im Rahmen eines anderen Projektes in der Stadt waren und nach einem harten Tag in der Bibliothek geplant hatten einfach nur ins Bett zu fallen und zu schlafen. Am selben Abend plante eine Kneipe in der Nähe unserer Unterkunft einen Discoabend. Bis 5 Uhr morgens. Die Kneipe hat gewonnen und obwohl wir Daft Punk mögen, waren wir wach „‚Til the Sun“ – es war kein „Good Fun“ und auch von einem „Get Lucky“ kann keine Rede sein. „Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“ im Vitra Design Museum ist da ein deutlich befriedigenderes Disco-Erlebnis.

Night fever. DNight Fever. Designing Club Culture 1960 - Today, Vitra Design Museumesigning Club Culture 1960 - Today, Vitra Design Museum

„Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“, Vitra Design Museum

Obwohl es für eine Institution wie das Vitra Design Museum zunächst seltsam erscheinen mag, ein Thema wie die Clubkultur zu erforschen, gibt es laut Museumsdirektor Mateo Kreis drei Gründe, warum es ausgesprochen sinnvoll ist, dass das Vitra Design Museum ein solches Thema beleuchtet: Clubs repräsentieren herausragende, unvergessliche Erlebnisse im Leben vieler Menschen und sind somit ein Thema, mit dem sich die meisten von uns identifizieren können; Nachtclubs reflektieren Veränderungen in der Gesellschaft, präsentieren ein Bild einer bestimmten Gesellschaft und sind eng mit künstlerischen Avantgarde-Bewegungen verbunden. Somit helfen sie dabei zu erklären, dass es beim Design darum geht, einen Moment zu schaffen, die Gesellschaft zu gestalten und Erfahrung zu schaffen. In seinem Versuch, diese und andere Aspekte des Nachtclubs zu erklären, nimmt „Night Fever“ den Besucher mit auf eine chronologische Tour durch fünf Jahrzehnte Clubkultur – eine Tour, die nicht nur erklärt, wie sich Nachtclubs im Laufe der Jahre entwickelt haben, sondern auch, wie sie im Wesentlichen doch gleich geblieben sind.

„Night Fever“ beginnt mit den 1960er-Jahren und der Erforschung der Ursprünge dessen, was man heute unter einem Nachtclub versteht, darunter der „Electric Circus“ in New York, „Space Electronic“ in Florenz und „Piper“ in Turin, wobei die letzten beiden eng mit der damaligen italienischen Radical-Design-Bewegung verbunden waren. Im weiteren Verlauf der Ausstellung geht es in die Siebziger- und Achtzigerjahre und an Orte wie „Studio 54“ New York, „Area“ New York oder die „Hacienda“ Manchester, bevor der Rundgang in den 1990er- und 2000er-Jahren endet, repräsentiert durch „Tresor“ Berlin, „B018“ Beirut oder Bureau As „The Club“ in Genf, eines von mehreren mobilen, temporären Clubkonzepten, die in „Night Fever“ präsentiert werden.

Night Fever. Designing Club Culture 1960 - Today, Vitra Design Museum

„Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“, Vitra Design Museum

Clubkultur zu dokumentieren ist in vielerlei Hinsicht nicht so einfach wie die Dokumentation anderer Aspekte der Design- und Architekturgeschichte, nicht zuletzt weil es, wie Mateo Kreis betont, in Clubs weitgehend um die persönliche Erfahrung geht. Clubs existieren unabhängig von ihrer physischen Struktur und Ausstattung. Während die vergängliche Natur der Clubs, die Tatsache, dass viele nur im Moment existieren und somit mit alarmierender Geschwindigkeit kommen und gehen, bedeutet, dass in den meisten Fällen, nachdem der Club aufhört zu existieren, auch das physische Gewebe und die Einrichtung aufhören zu existieren. Wo zum Beispiel die „Hacienda“ in Manchester einst die Jugend Großbritanniens zum Tanzen einlud, als gäbe es kein Morgen, stehen jetzt Wohnungen, in denen Paare abends Seifenopern anschauen, bevor sie sich darüber streiten, wer den Müll rausbringen soll.

Was von Clubs physisch übrig bleibt, ist meistens wenig spannend: Flyer, Zeitschriftenartikel, Fotos verschiedener Schärfegrade, Beschilderung etc. Das ist genau das, was „Night Fever“ vor allem präsentiert, unterstützt durch technisches Equipment wie Scheinwerfer, Mischpulte und Discokugeln, durch Kleidung und einige seltene noch erhaltene Beispiele von Clubinterieurs wie Stühle, einen Teil des „Hacienda“-Bodens und den Plasmaball des „Tresors“ Berlin. Trotz dieser Einschränkungen schafft es das Ausstellungskonzept von Konstantin Grcic eine temporeiche, zugängliche Präsentation zu schaffen, die eine sehr ausgewogene Linie zwischen einer akademischen Auseinandersetzung mit dem Thema und einer Feier bildet. Für eine Ausstellung über Clubkultur ist „Night Fever“ sehr, sehr trocken, was nicht gerade unterhaltsam ist. „Night Fever“ ist an und für sich eine unterhaltsame Präsentation voller Leben, Leidenschaft und Atmosphäre. Schade nur, dass es das Leben, die Leidenschaft und die Atmosphäre Anderer ist, die in einem Museumskontext präsentiert werden. Einen Moment allerdings gibt es, in dem die Ausstellung das Leben, die Leidenschaft und die Atmosphäre anderer beiseite lässt und dem Besucher ermöglicht, selbst etwas zu erleben. Der zweite Raum ist einer Installation von Konstantin Grcic in Zusammenarbeit mit dem Lichtdesigner Matthias Singer und dem Kölner DJ und Musiker Steffen Irlinger gewidmet: eine Installation, die den Besucher aus dem Museum herausführt, die Ausstellung verlässt und in das beständige Symbol der Nachtclubs eintritt: Die Discokugel! Umgeben von Spiegeln und Licht und eine von vier Playlists über Kopfhörer hörend, betritt der Besucher das Kernstück des Nachtclubs, und damit eine Installation, die durch ihre abstrakte Reduktion unterstreicht, dass ein Nachtclub im Wesentlichen nicht existent, sondern immer eine persönliche Erfahrung ist.

Inside the glitter ball, as seen at Night Fever. Designing Club Culture 1960 - Today, Vitra Design Museum

„Im Bann der Discokugel“, gesehen bei „Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“, Vitra Design Museum

Die persönliche Natur der Nachtclub-Erfahrung hängt für den Einzelnen nicht nur damit zusammen, wie gut oder schlecht der letzte Abend oder das letzte Wochenende war, sondern auch, was der Club für ihn darstellt, denn Nachtclubs sind nicht nur Paläste der Unterhaltung, sondern auch Orte der Flucht und der Bestätigung; Orte, an denen man seinen Status, seine Zugehörigkeit, seine sexuelle oder geschlechtsspezifische Orientierung bestätigen kann, aber auch Orte, an denen man in ein anderes Leben schlüpfen kann, zu jener Person werden kann, die man im täglichen Leben nicht ist, die es erlaubt, den Realitäten einer hoffnungslosen Existenz für ein paar kurze Stunden zu entkommen. Ähnlich wie John Travolta a. k. a. Tony Manero in „Saturday Night Fever“, wovon in Raum 3 ein Clip in Dauerschleife läuft.

„Night Fever“ macht sehr deutlich, dass Nachtclubs seit jeher diese doppelte Funktion haben. Sie existieren schon immer am Rande der Gesellschaft, gerade weit genug von Konventionen entfernt, um die notwendige Freiheit und Sicherheit zu garantieren. Dazu kommt ihre doppelte Funktionalität, die für die Entwicklung der Gesellschaft wichtig ist, da sich Positionen, Ideen und Bewegungen oftmals aus dem Untergrund des Clubs in den Mainstream der Gesellschaft verschieben. „Night Fever“ macht außerdem deutlich, dass Clubbing trotz Assoziationen mit dem Untergrund, die beim Gedanken an Clubs bei den meisten aufkommen, am Ende doch stets ein kommerzielles Geschäft war – auch und gerade bei den in „Night Fever“ vorgestellten Clubs, die trotz ihres Kultstatus‘ durchaus Beispiele für die Entwicklung sehr erfolgreicher Geschäftsmodelle sind. Geschäftsmodelle, die die Zeit und kulturelle Trends überdauern: Es geht darum Erfahrungen, Zugehörigkeit und Fantasie zu verkaufen, einen angemessenen Raum für kulturelle Phänomene zu schaffen, sich zu entfalten und auszudrücken – kurz: Geld mit Menschen zu verdienen, die tanzen und miteinander in Kontakt treten. Mit Tanzen und Geselligkeit lässt sich viel Geld verdienen. Und es gibt eine Menge Leute, die dieses Geld verdienen wollen.

Eine weitere Konstante in der Geschichte der Clubkultur, die jedoch nicht in „Night Fever“ enthalten ist, sind Aufputschmittel. In den Ausstellungstexten kann man lesen, dass „die Wirkung der ‚Allatonceness‘ der technologischen Reizüberflutung in den Clubs bewusst hervorgerufen und gelegentlich durch Drogenkonsum verstärkt wurde“. Während „immer“ oder „universell“ gleichermaßen falsch wäre, lässt sich die zentrale Rolle von Drogen in der Clubkultur nicht leugnen. In der Regel kommentieren wir nicht das, was wir in Ausstellungen als „fehlend“ betrachten, da wir es als unnötig und subjektiv empfinden, unsere Gedanken den objektiven Überlegungen eines Kurators aufzuzwingen. Trotzdem finden wir es schade, dass „Night Fever“ das Thema Drogen so gar nicht erforscht, ist es doch nicht nur für die Clubkultur von zentraler Bedeutung, sondern auch für viele der persönlichen Erfahrungen mit Clubbing, Erfahrungen, die letztlich oft auch der Grund dafür sind, dass einige derer, die die in der Ausstellung vorgestellten Clubs als Zuhause bezeichnet haben, nicht mehr unter uns weilen und ihre Erinnerungen nicht mit uns teilen können.

Brings back memories! Club clothing by Walter Van Beirendonck, as seen at Night Fever. Designing Club Culture 1960 - Today, Vitra Design Museum

Da werden Erinnerungen wach! Club-Outfits von Walter Van Beirendonck, gesehen bei „Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“, Vitra Design Museum

Es versteht sich von selbst, dass nicht nur eine Mehrheit von uns die in der Ausstellung „Night Fever“ erwähnten Clubs nie besucht hat, sondern auch, dass eine noch größere Mehrheit kein Interesse daran gehabt hätte, sie zu besuchen. Macht das die Clubs und damit die Ausstellung dann nicht irrelevant? Weit gefehlt! Auf der einen Seite sind Nachtclubs und Clubkultur nicht nur die vorgestellten Clubs, sondern auch kleine spezialisierte Musikzentren oder die lokale Dorfdisco. Auf der anderen Seite gibt es Gründe, warum die vorgestellten Clubs solche Inbegriffe für ihr Zeitalter wurden. Sie waren kulturell und sozial relevant, spiegelten eine Gesellschaft oder zumindest einen Aspekt einer Gesellschaft in einem Zeitraum wider: zum Beispiel die Artikel in den italienischen Architekturzeitschriften „Casabella“ und „Domus“, in denen die Innenräume der Clubs der 1960er-Jahre ausführlich beschrieben werden und die zeigen, wie ernst sie einst genommen wurden, damals, als Italien langsam aus seinem Nachkriegstrauma erwachte. „Studio 54“ mag ein Synonym für die Ausschweifungen der 70er-Jahre sein, aber die Discokultur, die sie populär gemacht hat, hat dazu beigetragen, die Einstellung zur sexuellen Gleichstellung und Gleichbehandlung der Menschen zu verändern, wenn sie auch nicht unbedingt vollständig erreicht wurde. Demgegenüber handelten Clubs wie der „Tresor“ oder die „Hacienda“ in gewisser Hinsicht von einer von vielen Dingen losgelösten Jugend, die einen Teil einer zerfallenden Gesellschaft für sich beanspruchte, was die Behörden nicht hinnehmen konnten, weil sie keinen Zugang dazu hatten.

Die Ausstellung „Night Fever“ kann die sozialen und kulturellen Auswirkungen und Einflüsse der globalen Clubkultur über fünf Jahrzehnte hinweg nicht vollständig erklären; und wenn sie es versuchen würde, wäre sie etwas sperrig und langweilig. Vielmehr ist „Night Fever“ eine Ausstellung, die dem Besucher eine Einführung und den Anstoß gibt, das Thema tiefer zu erforschen. Und die Lust und Motivation, öfter tanzen zu gehen.

Night Fever. Designing Club Culture 1960 - Today, Vitra Design Museum

„Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“, Vitra Design Museum

Im Rahmen der Ausstellung „British Design 1948-2012. Innovation in the Modern Age“* im V&A Museum in London im Jahr 2012 stellten wir bereits fest, dass alle Entwicklungen britischen Designs nach dem Zweiten Weltkrieg mit Subkulturen Jugendlicher in Zusammenhang standen – zumindest bis Mitte der 90er-Jahre, als dank des Internets jugendliche Subkulturen schier unmöglich wurden. Die Geschwindigkeit, mit der Ideen seither transportiert werden, bedeutet auch, dass ebenjene Ideen abgeschmettert werden, bevor sie überhaupt richtig greifbar werden; so greifbar wie es die Idee des Raves wurde, was unserer Ansicht nach die letzte richtige jugendliche Subkultur war. Unabhängig davon, wo man die Grenze zieht, gibt es kein Argument dafür, dass sich die Dynamik kultureller Entwicklung verändert hat, seit das Internet allgegenwärtig geworden ist. Und während die Clubkultur vielleicht nicht genau der Subkultur der Jugend entspricht, gibt es Parallelen, welche natürlich Fragen über die Zukunft von Nachtclubs und Clubkultur aufwerfen.

So sehr wie „Night Fever“ eine Erforschung der Geschichte der Clubkultur ist, so ist die Ausstellung auch, wenn es auch nicht explizit geplant gewesen zu sein scheint, ein Blick in die Zukunft – eine Zukunft in der trotz des Aufkommens von Alternativen eine Reihe von Superclubs auch Superprofite erwirtschaften wird, weil es eben immer diejenigen geben wird, die auf der Gästeliste stehen und lässig an den Türstehern vorbeikommen wollen. Oder die eben einfach über das nötige Kleingeld verfügen. Und eine Zukunft, in der sehr kleine Clubs, die Avantgarde, die experimentellen Clubs, weiterhin eine entscheidende Rolle spielen werden. Eine Zukunft in der das Clubbing-Erlebnis genau wie auf den Feldern oder in den verlassenen Lagerhäusern früherer Raves weniger von der Lage des Clubs als von dem mit ihm verbundenen Abenteuer abhängen wird. Es wird immer diejenigen geben, die die Flucht und Bestätigung brauchen, die nur ein Club bieten kann; und auch in unserer zunehmend digitalen, algorithmisch definierten Welt wird es diejenigen geben, die Musik hören wollen, die von einem Spezialisten ausgewählt wurde, der sich so sehr dafür interessiert wie sie selbst, die etwas Besonderes hören wollen. Und wenn das mit den gegenwärtigen Missständen und Leidenschaften der Gesellschaft verbunden ist, kann und wird etwas Einzigartiges und Temporäres entstehen. Und wer weiß, vielleicht können wir uns, wenn das Vitra Design Museum in 20 Jahren ein Update der Ausstellung „Night Fever“ veranstaltet, damit brüsten, dass wir zwei Jahrzehnte zuvor am Beginn einer radikal neuen Clubkultur in den Hinterhöfen von Weil am Rhein beteiligt waren.

„Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“ läuft bis Sonntag, 9. September im Vitra Design Museum, Charles-Eames-Straße 2, 79576 Weil am Rhein.

Details und Informationen zum Rahmenprogramm unter www.design-museum.de

*Wenn wir uns diesen Post noch einmal durchlesen, realisieren wir erschrocken, dass wir hier einige Male Design und Stil verwechseln. Was peinlich ist, aber hey, wir waren jung, damals, als wir noch unsere eigenen Zähne hatten…

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