Ältere Kollegen: Plädoyer für mehr Karrieren jenseits der fünfzig.

Ältere Kollegen, das sind immer die anderen. Nämlich diejenigen, die einem in den ersten Berufsjahren oft so fremd vorgekommen sind. Nicht feindlich, nicht unangenehm, nur eben so anders, so fern der eigenen Lebenswelt. Wenn Kinder grausam sein können, dann können junge Menschen hartherzig sein. Zum Beispiel, indem sie ältere Kollegen in die Schubladen der Gestrigen mit längst abgelaufenem Verfallsdatum stopfen. Da gehören die Alten nicht hin. Jeder junge Mitarbeiter von heute ist der alte Kollege von morgen. Älterwerden birgt durchaus Vorteile, die es lohnen, sich in bewegten Zeiten demographischen Wandels einmal genauer anzuschauen. Das Posten-Geschacher ebbt ab Wer nach Ausbildung und Studium eine Stelle ergattert hat, der ist zunächst einmal gut bedient. Aber je nach Temperament und persönlichem Ehrgeiz ist nach dem Spiel eben auch vor dem Spiel. Die Karriereleiter hat viele Sprossen, auch in flachen Hierarchien gibt es Menschen, die eher bestimmen, wo alle langlaufen. Kurzum, der Gedanke an den Aufstieg ist präsent. Dafür muss man Leistung bringen, strampeln und die Konkurrenz beobachten. All das ist anstrengend. Und all das muss der mittelalte bis alte Arbeitnehmer sich nicht mehr geben. Vor allem, weil er erkannt hat, dass Karrieremachen mit Können, Einsatz, Fleiß und viel Selbstvermarktung zu tun hat. Und mit Glück und dem, was immer beschrieben wird als das Zur-richtigen-Zeit-am-richtigen-Ort-bei-handlungsbefugten-Förderern-Sein. Das lässt sich nicht erzwingen. Das alles zu erkennen und zu akzeptieren sorgt für eine gewisse Lässigkeit. Ganz Souveräne akzeptieren sogar jüngere Chefs. Dass die ihre Arbeit auch gut machen, hat der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning in einem Assessment-Center mit 800 Angestellten herausgefunden: Weder Alter noch Dienstjahre sind für erfolgreiche Führungskräfte von Bedeutung, sondern die Fähigkeit, sich und seine Entscheidungen immer wieder kritisch zu hinterfragen. Dies beherrschen gute Vorgesetzte auch ohne Erfahrung oder lernen es schnell in der Praxis. Alte Hasen erkennen das. Große Lebensthemen sind geregelt Wenn es kommt, dann kommt es dicke - das zeitfressende Kinder-Karriere-Eigenheim-Umzugsthema. Das heißt verniedlichend Rush-Hour des Lebens und bedeutet, dass junge und mitteljunge Eltern große Lebensthemen parallel zu bewältigen haben. Das ist kräftezehrend und führt bei unkluger Handhabung zielgenau zur Trennung oder ins Burnout, dem gestressten Überfordertsein. Das bedrückende Gefühl, nichts wirklich richtig und gründlich erledigen zu können, ist im durchgetakteten Alltag allgegenwärtig. Sind die Kinder groß oder aus dem Gröbsten heraus, ist die Wohnung fast abbezahlt, dann bleibt viel Zeit für den Beruf. Bis dann wieder die alten Eltern mehr Zeit und Fürsorge fordern. Krisen vergehen schneller Blaffte der Chef einen vor versammelter Mannschaft an, kanzelte der Kollege einen öffentlich ab, drohte der verärgerte Kunde mit einer Rundumbeschwerde, dann ging die Arbeitswelt unter, und der Tag war gelaufen. Was für eine Blamage, was für schreckliche Stunden, was für ein verkorkster Feierabend. Und daheim in der fremden Stadt saßen keine mitfühlenden Eltern oder solidarischen Mitbewohner, die Trost spendeten und Aufbauarbeit leisteten. Ein deprimierender Gefühlsmix aus Einsamkeit und Verlorensein übermannte den Berufseinsteiger. Nach gelegentlichen Krisen und kleinen Katastrophen am Arbeitsplatz weiß irgendwann auch der sensibelste Arbeitnehmer: Morgen ist ein neuer Tag. Zwar ist die Tür gestern zugefallen, aber morgen öffnet sich ein neues Fenster. Irgendwann ist der Zorn verraucht und Gras über die Sache gewachsen. Alles halb so wild. Nur wer nichts schafft, macht keine Fehler, und irren ist menschlich. In der Hektik den Überblick halten Im Großraumbüro eines Berliner Medienunternehmens ist kurz vor Redaktionsschluss Hektik ausgebrochen. Aktuelle Ereignisse machen die Themenplanung hinfällig, der Andruck drängt, es pressiert. Die jungen Kollegen lassen sich von der Aufregung überrollen, der Ton wird ruppiger, das Tempo höher, was der Qualität nicht zuträglich ist. Mittendrin sitzt der ergraute Ressortleiter, ganz Fels in der Brandung, begibt sich im größten Tohuwabohu raus auf die Dachterrasse und raucht in aller Seelenruhe eine Zigarette, kehrt zurück in das adrenalinverseuchte Team und verkündet: „So, wir machen jetzt ein Weltblatt! Du übernimmst den Aufmacher. Kollege X arbeitet mir zu. Ihr habt die letzte Seite im Blick.“ Ruhig lenkt er die Geschicke mit einer Mischung aus Erfahrung, Gelassenheit und Charisma. Nach Redaktionsschluss ist er so souverän zu sagen: „Als Jungredakteur galt ich als Nervenbündel.“ Erfahrung beflügelt Nachlassende Schnelligkeit wird durch langjährige Erfahrung ersetzt. „You can’t beat experience“, heißt es windschnittig auf Hochglanzprospekten internationaler Anwaltskanzleien, die Argumente für horrende Honorare liefern müssen. Und jedes Wort ist wahr. Erfahrung ist unschlagbar. Das sollten sich die Älteren ab und zu selbstbewusst sagen, wenn sie mal wieder von aufgescheuchten Digital Natives überrannt zu werden drohen, bei denen nicht nur das Überstundenkonto reichlich strapaziert ist. Keine Macht den Vorurteilen Vorurteile trüben nicht den Blick, vorausgesetzt, der Mensch ist offen und erhält sich seine Lernfähigkeit. Wer jung ist, braucht den Rückhalt einer Gruppe und ist immens abhängig von seiner sogenannten Peergroup, deren Bedeutung die Sozialpsychologie hoch bewertet. Wer älter ist, wird unabhängiger von solchen Anfängerfehlern, man muss nicht jeden mögen und von jedem gemocht werden. Wer älter ist, hat brillante, gleichwohl farbstark tätowierte Menschen erlebt und Nieten in maßgeschneiderten Nadelstreifen, bei denen nur das goldfarben Eingenähte glänzte. Er hat gelernt, sich nicht vom ersten, äußeren Erscheinungsbild blenden zu lassen. Er gibt dem ersten Eindruck eine dritte oder vierte Chance. Das macht die Welt freundlicher und toleranter. Manchmal beschert das Freunde fürs Leben. Nicht nur Situationen, auch Charaktere lassen sich leichter einschätzen. Das Netzwerk ist schon da Ohne Netzwerk, so suggeriert die Ratgeberliteratur, läuft im Berufsleben gar nichts, vor allem läuft nichts rund. Mit diesem Thema werden ganze Seminareinheiten bestritten. Der Anspruch, Teil eines funktionierenden Netzwerks zu sein, liefert Online-Gemeinschaften die Existenzberechtigung. Dort tummeln sich Millionen Erwerbstätige und sammeln neue Kontakte wie Grundschüler Fleißpunkte fürs Gummibärchen. Dabei sind Netzwerke nicht jedermanns Sache. Wer sich ihnen verweigert und schon einige Jahre Berufstätigkeit hinter sich hat, der kann sich entspannt zurücklehnen. Denn sein Netzwerk ist schon da - auch offline. Einfach durch die Jahre der Berufstätigkeit, vielleicht den ein oder anderen Orts-, Stellen- oder auch nur Abteilungswechsel gewachsen. Irgendwer ist immer präsent, den man um eine Hintergrundinformation bitten kann. Lang gewachsene Netzwerke sind stabiler, gründen auf Klasse statt Masse. Stichproben im Umfeld stützen dieses positive Vorurteil. Es macht Spaß, Mentor zu sein Wer eine pädagogische Ader hat, dem stehen viele schöne Berufsfelder offen. Wer keine pädagogische Ader hat, der entdeckt sie möglicherweise noch spät und per Zufall. Früher nannte man das einfach Anlernen, heute wird diese Tätigkeit mit einem anderen Begriff geadelt. Für Berufseinsteiger gibt es Mentoren. Das ist eine sinnvolle Sache, auch wenn man sie begrifflich nicht so hoch hängen muss: Ältere nehmen Neulinge an die Hand und erklären, wie das in der Praxis so läuft. Das macht Spaß, denn Mentor sein ist alles andere als eine Einbahnstraße: Alt und Jung setzen sich zusammen und sprechen über Probleme. Es schmeichelt, um Rat gefragt zu werden. Andererseits sorgt es für einen satten Informationsschub, das Altvertraute aus frischer Sicht gespiegelt und hinterfragt zu bekommen. Auf Neudeutsch nennt sich dieses Geben und Nehmen eine „Win-win-Situation“. Ein Wechsel ist möglich Das neue 50 ist das alte 40. Pensionäre lassen sich nicht mehr mit dem fad gewürzten Seniorenteller abspeisen, sondern ordern nach der E-Bike-Tour lieber den Fitnessteller. Dieses fleischgewordene Klischee ist am Wochenende im ganzen Land zu besichtigen. Im fortgeschrittenen Alter ist vieles möglich. Zum Beispiel ein Karrieresprung nach einer Teilzeit-Phase. Und die Möglichkeit, sich beruflich noch einmal neu zu erfinden. In der Lebensmitte wissen die meisten Menschen klarer, was ihnen guttut, ihrer Begabung entspricht, und was nicht. Jetzt ist die Zeit reif, noch einmal die Tätigkeit zu wechseln, sei es die Abteilung, sei es den Beruf. Was früher fassungsloses Kopfschütteln und Das-willst-du-alles-Aufgeben-Entsetzen auslöste, erntet heutzutage Bewunderung: Toll, dass du dich das traust. Wechseljahre lassen sich auch anders definieren. Junge bitte draußen bleiben! Für manche Positionen ist ein höheres Alter sogar Voraussetzung. So für das höchste Staatsamt: Bundespräsident kann laut Grundgesetz nur werden, wer das 40. Lebensjahr vollendet hat. Und bislang war noch kein Bundeskanzler bei Amtsantritt jünger als 50 Jahre.