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Auch US-Botschafter Philip Murphy wurde schon von Tilo Jung interviewt.

© dpa

"Jung&Naiv" in Berlin: Tilo Jung revolutioniert den Journalismus auf Youtube

Der Berliner Tilo Jung kann vor allem eins: naiv nachhaken. Auf seinem Youtube-Kanal "Jung&Naiv" veröffentlicht er ungeschnittene Interviews. Obwohl er oft unvorbereitet wirkt, zeigen Politiker und Interviewpartner ungeahntes Interesse.

Wenn Tilo Jung zum Interview bittet, dann soll es stets so wirken, als ob man sich gerade zufällig trifft. Film nicht gesehen, Buch nicht gelesen, erklär doch mal: Worum geht es? Das ist seine Masche. Das orangerote Mikrofon in der Hand, die Stirn denkerisch in Falten gelegt. Doch Tilo Jung ist alles andere als unvorbereitet, er erfüllt nur, was sein Titel von ihm verlangt: „Jung&Naiv“ heißt das Format, das der Berliner über den gleichnamigen Youtube-Kanal verbreitet.

Betont unbedarft und unwissend stellt er dort Experten aus der Politik und Wirtschaft Fragen zu verschiedensten Themen. Die Auswahl, die von der Rettung Europas aus der Finanzkrise bis zu chemischen Waffen in Syrien reicht, ist ebenso wenig zufällig wie die gestellten Fragen. „Ich suche Themen aus, die falsch, gar nicht oder viel zu wenig besprochen werden“, sagt Jung, der mit seinen großen braunen Augen und den wallenden Haaren schon so aussieht wie einer, der früher „irgendwas mit Medien“ als Berufswunsch angegeben hat. Vor gut drei Monaten startete er das Format als Moderationsübung. Nachhaken müsse man dort, wo Situationen als alternativlos dargestellt werden. Eine glatte Lüge sei das, sagt er, „es gibt immer eine Alternative. Doch Medien reproduzieren die Meinung der Politiker meist einfach fraglos.“

Dass Jung es schafft, verschiedenste Persönlichkeiten vor die Kamera zu bitten, von Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht bis US-Botschafter Philip Murphy, liegt wohl im Untertitel der Sendung verborgen: Ungeschnitten. Keiner der Interviewten muss fürchten, dass Aussagen zurechtgestutzt oder aus dem Kontext gerissen werden. Solange die Chemie stimme, sagt Jung, werde auch das Interview gut. „Stellt man vorgefertigte Fragen, bekommt man natürlich auch nur vorgefertigte Antworten.“ Triezen müsse man die Leute, damit sie aus ihrem Sprachschema herauskommen.

Ein Frischling im Journalismus ist Jung keineswegs. Er volontierte beim Nordkurier, arbeitete für StudiVZ und Spreadshirt, studierte erst Jura, dann BWL, doch beides brach er ab. Wenn Tilo Jung heute nicht vor der Kamera steht, arbeitet er für das Magazin des RBB. Für seinen naiven Moderatoren-Charakter ließ sich der 27-Jährige vom Amerikaner Stephen Colbert inspirieren. Der Satiriker unterhält mit seinem rechtspopulistischen Charakter im amerikanischen Late-Night-Programm der „Daily Show“ und in seiner eigenen Serie, dem „Colbert Report“. Colberts Kniff ist dabei, dass er seine Rolle nie verlässt. Ein Kunstgriff, der Jung vielleicht zu gut gelingt, denn er erscheint häufig nicht nur naiv, sondern eben auch unvorbereitet – was es seinen Interviewpartnern schwierig macht, tiefer ins Thema einzusteigen.

Tilo Jung lockt mit unkonventionellen Fragen Politiker aus der Reserve.
Tilo Jung lockt mit unkonventionellen Fragen Politiker aus der Reserve.

© promo

Die 55. Folge hat Tilo Jung gerade online gestellt: Mit Ulrike Winkelmann von der taz hat er über Nichtwähler gesprochen. Um sein Projekt weiter auszubauen, sammelt Jung nun Geld über Krautreporter, eine Online-Plattform, wo Journalisten für die finanzielle Unterstützung ihrer Projekte werben können. Ziel waren 2500 Euro, gesammelt hat er fast das Doppelte. „Erst einmal brauche ich einen neuen Laptop“, sagt der Moderator, dann könne er sich die Videos vorher wenigstens einmal ansehen, bevor er sie hochlädt. Geschnitten werden sie trotzdem nicht.

Alle Videos: www.jungundnaiv.de

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