ZEIT ONLINE: Herr Ströbele, Sie haben sich kritisch zu den Möglichkeiten eines Untersuchungsausschusses zur NSA-Affäre geäußert. Ist ein solcher Ausschuss trotzdem sinnvoll und notwendig?

Hans-Christian Ströbele: Ja, unbedingt. In einem solchen Ausschuss können wir die deutsche Verwicklung und Beteiligung am Abhörskandal aufklären. Wir könnten von der Spitze des deutschen Nachrichtendienstes BND und auch von der Ebene darunter erfahren, welche Informationen sie aus den USA erhalten haben. Und es müsste der Verdacht geprüft werden, ob das Innenministerium oder das Kanzleramt nicht durchaus mehr wussten, als sie jetzt sagen. Vielleicht wusste da niemand, dass Frau Merkel abgehört wird. Aber komplett verborgen kann die Abhöraffäre dem deutschen Nachrichtendienst auch nicht geblieben sein, da dieser ja dieselben Systeme der Ausforschung und Analyse benutzt wie die Amerikaner.

ZEIT ONLINE: Inwiefern würde ein solcher Ausschuss an seine Grenzen stoßen?

Ströbele: Der Schlüssel zum eigentlich Kernbereich der Affäre, nämlich der Frage, in welchem Umfang, von wem und zu welchem Zweck Daten abgesaugt, gespeichert und ausgewertet wurden, liegt natürlich in den USA. Und das zu erforschen wird sehr schwierig. Dazu bräuchten wir Akten und Dateien, solche wie die, die US-Whistleblower Edward Snowden ja offenbar hat. Und natürlich müssten wir Zeugen aus den USA befragen. NSA-Chef Keith Alexander etwa,oder andere Leute, die Ausspähaktionen durchgeführt oder angeordnet haben oder den Sonderkommandos angehört haben, die offenbar in Auslandsvertretungen der USA tätig geworden sind.

ZEIT ONLINE: Und da hätte man keine Chance, die zu bekommen?

Ströbele: Ich war ja auch in dem BND-Untersuchungsausschuss, in dem es zum Beispiel um deutsche Agenten ging, die während des Irakkrieges in Bagdad waren, und den USA Ziele lieferten für Bombenangriffe und Ähnliches. Damals haben wir uns immer bemüht, amerikanische Zeugen zu bekommen. Doch die militärischen Stellen, die wir anschrieben, reagierten nicht einmal. Da kann man dann einen Brief hinschicken, dass man gern diesen oder jenen Zeugen vernehmen würde, aber da kommt nichts zurück.

Ähnlich sind ja auch die Erfahrungen deutscher Strafermittlungsbehörden gewesen. Im Fall des CIA-Entführungsopfers Khaled El-Masri etwa hatte die Staatsanwaltschaft München ein Verfahren eingeleitet, doch weder die Beschuldigten noch die Zeugen sagten einen Mucks. Die Amerikaner antworten ja nicht einmal der Bundesregierung, wie man an dem Fragenkatalog zur NSA-Affäre sieht, den die Bundesregierung im Sommer in die USA geschickt hat. Und das, obwohl es eine Zusage von Präsident Barack Obama und von der NSA gibt, die Herabstufung der Geheimhaltungsanforderungen zu prüfen.

ZEIT ONLINE: Wie müsste der Auftrag für einen Untersuchungsausschuss aussehen? Sollte man sich nicht lieber gleich auf das konzentrieren, was man in Deutschland erforschen kann?

Ströbele: Nein, der Untersuchungsauftrag müsste schon den ganzen Komplex umfassen, sollte aber auch nicht zu uferlos sein. Man muss halt probieren, ob doch mal eine Ausnahme gemacht wird. Außerdem gibt es ja den Kronzeugen Edward Snowden, den man in unterschiedlicher Weise in die Ermittlungen einbeziehen könnte. Man könnte ihn laden oder auch in Moskau anhören. Wir haben ja schon mit Untersuchungsausschüssen Zeugen im Ausland befragt, etwa damals den Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber in Kanada. Ob das in Moskau möglich ist, hängt an den russischen Behörden. Außerdem hängt es natürlich davon ab, ob Snowden selbst dazu bereit ist. 

ZEIT ONLINE: Für wie realistisch halten Sie es, dass ein deutscher Untersuchungsausschuss Edward Snowden befragt?

Ströbele: Das hängt von vielen Faktoren ab. Vor allem auch davon, ob, unter welchen Umständen und in welchem Umfang er selbst das wollte. Er hat natürlich das Recht, gar nichts zu sagen. Das müsste von jedem deutschen Gericht und auch vom Untersuchungsausschuss akzeptiert werden, weil er ja selber sehr stark betroffen ist.

ZEIT ONLINE: Die deutsche Regierung würde ihm wohl auch kaum die Einreise gestatten?

Ströbele: Natürlich, sich einfach ins Flugzeug setzen und hierher kommen, das wird er sich nicht trauen können. Schließlich wird er von den USA als "Schwerverbrecher" gesucht, und die sind da ja sehr schnell mit Zwangsmaßnahmen bei der Hand.

Aber es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wenn etwa die Bundesanwaltschaft tatsächlich ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einleitet, könnte er beispielsweise von einem Bundesanwalt oder dem Bundeskriminalamt vernommen werden.

ZEIT ONLIE: Aus grünen Reihen gab es ja auch schon die Forderung, Präsident Obama als Zeugen zu vernehmen.

Ströbele: Das ist leider wohl eher Realsatire. Kaum vorstellbar, dass er seine Airforce Number One sattelt und herüberreitet. Nach deutschem Recht wäre er nicht verpflichtet zu kommen. Aber man sollte immer alles versuchen.

Richtig wäre es aber, wenn ein Untersuchungsausschuss oder das Parlamentarische Kontrollgremium zu den Kollegen im Kongress Kontakt aufnehmen und mit denen erörtern würde, wie man Licht in das Dunkel bringen kann. Wir wissen, dass es eine Reihe US-Abgeordnete gibt, die die Umtriebe der NSA ebenfalls sehr kritisch sehen. Es käme darauf an, den Unmut der hier und in anderen Ländern entstanden ist, zu bündeln. Die Amerikaner haben eine Reihe Kontrollgremien für ihre Geheimdienste, die sehr viel weitergehende Rechte haben und besser informiert sind, als wir. Mit denen müsste man ins Gespräch kommen. 

ZEIT ONLINE: Wann könnte ein Untersuchungsausschuss starten?

Ströbele: Theoretisch übermorgen, aber es ist fraglich, ob das viel Sinn macht. Schließlich weiß man im Moment ja noch nicht, wer künftig im Kanzleramt oder im Innenministerium für Geheimdienste zuständig ist.