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Chirurgie Zahl der Operationen ist drastisch gestiegen

Mehr als 15 Millionen Operationen führten deutsche Ärzte 2011 durch - ein Viertel mehr als 2005. Vor allem die Zahl der Wirbelsäulen-OPs ist drastisch gestiegen. Die Linke moniert Fehlanreize zum Schneiden.
Chirurgen im OP-Saal: "Tausendfach operiert, nur weil es mehr Geld bringt"

Chirurgen im OP-Saal: "Tausendfach operiert, nur weil es mehr Geld bringt"

Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpa

Berlin - Wirbelsäule, Knie, Hüfte: Viele Körperbereiche sind anfällig für Beschwerden und Schmerzen. Wenn Physiotherapie und andere Heilmethoden keinen Erfolg bringen, werden Patienten häufig unters Messer gelegt, Tendenz steigend: Seit 2005 ist die Zahl der Operationen in Deutschland um mehr als ein Viertel gestiegen.

Dieser Trend geht aus der Antwort der Bundesregierung (PDF hier ) auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion (PDF hier ) hervor. Demnach gab es im Jahr 2005 rund 12,13 Millionen Operationen. 2011 waren es bereits 15,37 Millionen.

Besonders sticht die Zahl der Wirbelsäulen-OPs hervor: Dem Bericht zufolge hat sie sich in dem Zeitraum mehr als verdoppelt - von 326.962 auf 734.644. Ähnliche Statistiken hatte der AOK-Krankenhausreport Ende 2012 enthalten. Der AOK-Bericht war zu dem Fazit gekommen, dass ein großer Teil der Operationen offenbar ohne medizinische Notwendigkeit durchgeführt wird.

Der aktuellen Antwort der Regierung zufolge gab es 2010 in Deutschland mit 295 Hüftoperationen pro 100.000 Einwohner so viele Eingriffe wie nirgendwo sonst in Europa. In Österreich waren es demnach 249, in Frankreich 223 und in den Niederlanden 213. Auch bei Knie-OPs liege Deutschland mit 213 Eingriffen pro 100.000 Einwohner im europäischen Vergleich vorne.

Operationszahlen in Deutschland

Jahr Operationen
2005 12.129.075
2006 12.617.955
2007 13.288.291
2008 13.677.709
2009 14.360.493
2010 14.937.120
2011 15.373.497
Quelle: Statistisches Bundesamt, DRG-Statistik. Anzahl der Operationen nach Kapitel 5 des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) bei vollstationären Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern; nach: Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE (PDF).

Laut dem Bericht ist Deutschland weltweit zudem eines der Länder mit den meisten Kaiserschnitten. Von 1000 Babys im Jahr 2010 seien 213 per Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Im OECD-Vergleich sei der Kaiserschnitt-Anteil mit 447 je 1000 Geburten lediglich in Mexiko höher gewesen.

Die Linke führt die Entwicklung auf das deutsche Fallpauschalensystem und eine chronische Unterfinanzierung der Krankenhäuser zurück. "Da werden sinnlose Anreize zum Schneiden gesetzt, während die Mittel bei Heilung und Prävention fehlen."

Die Fallpauschalen seien ein riesiger Fehlanreiz zum Schneiden, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Klaus Ernst. "Da wird tausendfach operiert, nur weil es mehr Geld bringt. Wir brauchen eine Rückkehr zu zwei einfachen Prinzipien: Einzelfallprüfung und Gesundheitsleistung nach Bedarf statt nach Kassenlage."

Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitiker Jens Spahn erklärte: "Ohne Zweifel wird in Deutschland mehr operiert als in anderen europäischen Ländern." Bis Jahresende wolle man aus einer Studie wissen, ob hierzulande zu viel operiert werde und, falls ja, warum. "Klar ist jedenfalls", so Spahn, "jeder muss sich darauf verlassen können, dass er nur operiert wird, weil es medizinisch nötig ist, und nicht, um den Umsatz zu steigern. Denn jede OP zu viel ist ein unnötiges Risiko für den Patienten."

Karl Lauterbach sieht zwei Möglichkeiten, um die steigenden OP-Zahlen in den Griff zu bekommen: Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD plädiert für eine verbindliche Zweitmeinung. Der Patient sollte in jedem Fall darüber informiert werden, dass er sich die Meinung eines zweiten Arztes einholen kann, ob die vorgeschlagene Operation wirklich sinnvoll ist. Diese Zweitmeinung soll es bei planbaren Eingriffen geben, etwa an Hüftgelenk, Knie oder Bandscheibe.

"Viele Ärzte haben Angst vor diesem Schritt", sagt Lauterbach, "sie argumentieren, es gebe nicht genug Mediziner, die das tun könnten." Das sei aber nicht der Fall. Ausschreiben könnte diese Leistung die jeweilige Krankenkasse. Jene Ärzte, die das zweite Gutachten erstellen, bekämen es vergütet. Unter dem Strich könnten so unnötige Eingriffe vermieden und Kosten eingespart werden.

Zudem sollten sich die Planungen der einzelnen Krankenhäuser stärker am Faktor Qualität orientieren, sagt Lauterbach. Die Praxis der Mengendeckelung mache dies unmöglich. Jede Klinik verhandelt mit den Krankenkassen ein Budget, das die Zahl der Operationen indirekt festlegt. Für mehr geleistete OPs erhält die Klinik nicht mehr den vollen Erlös.

"Bei Krankenhäusern, bei denen eine gute Qualität belegt ist, müsste diese Deckelung aufgehoben oder gelockert werden", so Lauterbach. Bei Häusern, die weniger gute Ergebnisse mit ihren Operationen erzielen, sollte die Deckelung strenger reguliert werden.

cib/nik/dpa