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Hormonersatztherapie heute

Zeitalter der Aufklärung

Die Bewertung der Hormonersatztherapie  war in der Vergangenheit unzureichend. Dieser Meinung ist Professor Dr. Kai Bühling aus Hamburg. Auch mit Kritik an der WHI-Studie, die Anfang des Jahrtausends für viel Wirbel und Unsicherheit gesorgt hat, hielt sich der Facharzt nicht zurück: »Falsches Kollektiv und einfach Mist.« Beim Pharmacon in Meran machte er einen Vorschlag für die Neubewertung der HRT und warb für eine eingehende Aufklärung der Betroffenen.
Sven Siebenand
03.06.2019  09:46 Uhr

Eine 47-jährige Frau mit einem BMI von 32 kg/m2 und starke Raucherin wird mit schweren Herz-Rhythmus-Störungen und Kaltschweiß ins Krankenhaus eingeliefert. Als erstes denken auch viele Ärzte dabei zunächst an einen Herzinfarkt oder eine Thrombose. »In diesem Fall lagen sie falsch«, sagte Bühling. Die Frau hatte starke Wechseljahresbeschwerden. »Die Beschwerden haben einen Krankheitswert, der häufig unterschätzt wird«, resümierte der Mediziner. Mithilfe von Hormonen könne man effektiv gegensteuern. Dass weiß man nicht erst seit gestern: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte ein Mediziner im Rahmen seiner Untersuchungen Patientinnen mit klimakterischem Syndrom Rinder-Ovarien zum Verzehr gegeben. Danach konnte er bei den Frauen eine deutliche Besserung des Befindens feststellen.

Heute, fast 125 Jahre später, heißt es in der Therapieleitlinie zur Hormonersatztherapie (englisch: Hormone Replacement Therapy, HRT): »Frauen mit vasomotorischen Beschwerden soll eine HRT angeboten werden, nachdem sie über die kurz- (bis zu 5 Jahren) und langfristigen Nutzen und Risiken informiert wurden. Für nicht hysterektomierte Frauen kommt eine Estrogen-Gestagen-Therapie mit adäquatem Gestagen-Anteil, für hysterektomierte Frauen eine Estrogen-Therapie in Betracht.«

»Die HRT ist eine effektive Therapie mit arzneimitteltypischen Vor- und Nachteilen«, sagte Bühling. Er betonte die Bedeutung der Risikoaufklärung. Beispielsweise sollten die Frauen über das Brustkrebsrisiko aufgeklärt werden. In den ersten zwei bis drei Jahren sieht der Mediziner keinen messbaren Risikoanstieg. Zudem kritisierte er, dass viel stärkere Risikofaktoren für ein Mammakarzinom wie regelmäßiger Alkoholkonsum und Übergewicht in der Aufklärung kaum eine Rolle spielen. Ebenso sei vielfach nicht bekannt, dass sportliche Betätigung das Brustkrebs-Risiko senken kann. Wichtig sei es ferner, den Frauen im Rahmen der Krebsfrüherkennung vaginale Sonografien zur Kontrolle des Endometriums sowie die Mammasonografie anzubieten.

»HRT ist eine individuell auszuwählende Therapie«, hob Bühling ferner hervor. Während zum Beispiel oral applizierte Estrogene den LDL-Wert stark senken, das HDL deutlich anheben und die Triglyzeride deutlich erhöhen, wirken sie transdermal gegeben anders: Sie senken auch deutlich den LDL-Wert, erhöhen das HDL dafür aber weniger stark und senken wiederum deutlich den Triglyzerid-Spiegel. »Je nachdem, was man erreichen möchte, sollte man solche Effekte immer im Hinterkopf behalten.«

Alternative Therapieformen sind laut Bühling nur dann von Nutzen, wenn es hinreichende Evidenzen im Rahmen von Studien gibt. Von der sogenannten bioidentischen Hormontherapie riet er eindringlich ab. Sie werde häufig missbräuchlich eingesetzt und vermarktet. Ebenso spricht sich der Mediziner gegen eine Hormontherapie nach Laborwerten aus. Last but not least sei die transdermale Progesteron-Therapie ein weiterer Fallstrick. »Das sollte man nicht machen, weil es als Endometriumschutz einfach nicht ausreicht.«

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