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Medienberichten zufolge, wusste die Bundeswehr schon seit 2011 von Prism. Und der Bundesnachrichtendienst nutzt ein Programm, das ähnlich funktioniert.

© reuters

Datenschutz: Warum der NSA-Skandal die meisten Deutschen kalt lässt

Die Ruhe der Deutschen beim NSA-Skandal ist Ausdruck einer riskanten Zufriedenheit. Deshalb wünschen sich die meisten Deutschen weder die Abschaffung des Euro noch einen Bruch mit Amerika noch eine digitale Revolution.

Von Anna Sauerbrey

Stell dir vor, es gibt einen Skandal – und keiner regt sich auf. Der Skandal, den Edward Snowden losgetreten hat, strotzt nur so vor Superlativen: Allergeheimste Supergeheimnisse veröffentlicht, Milliarden von Daten entführt, Millionen betroffener Bürger, mit den Füßen getretene Grundrechte, diplomatische Verstimmungen zwischen alten Freunden und alten Feinden, nicht zu vergessen ein zwangsgelandeter bolivianischer Präsident.

Doch was machen die Deutschen? Stehen am Grill. Lesen das Neue von J. K. Rowling. Die Opposition verteilt verbale Tritte, um die Bürger aus dem Schlaf zu reißen, aber Michel pennt weiter in der Sonne. Kommt ein Meinungsforscher daher, gähnt er. 40 Prozent der Deutschen halten die Überwachung durch Staaten für richtig. 36 Prozent glauben, ohnehin nicht persönlich von der Überwachung betroffen zu sein. Rund die Hälfte der Befragten mit einer Meinung hält die Reaktion der Bundesregierung für angemessen. Die Werte von Schwarz-Gelb sind in den Umfragen stabil.

Vielleicht ist vielen das Digitale zu abstrakt, um es lebhafter zu verteidigen. Vielleicht ist vielen das Wahlkampfgeheul zu schrill, um es ernst zu nehmen. Doch die eigentlichen Ursachen für die allgemeine Gelassenheit liegen tiefer. Liest man jüngere Expeditionen in die Verfasstheit der deutschen Seele zusammen, ergibt sich das folgende Bild: Der Deutsche an sich hat ein Urvertrauen in seine eigene Demokratie und deren Institutionen. Zuletzt zeigte das eine Meta-Studie der Bertelsmann-Stiftung zum sozialen Zusammenhalt. Selten war das Vertrauen in die Institutionen so groß wie in den vergangenen vier Jahren. Ihre Freiheit, meinen die Deutschen, ist ausreichend und sicher wie nie. Das Sicherheit ein „Supergrundrecht“ ist, ist zwar rechtlicher Blödsinn. Doch im Kern entspricht es wohl dem Empfinden vieler Bürger. Wenn die Freiheit perfekt ist, ist sie plötzlich nicht mehr wichtig.

Ohnehin liebt das Land das Andere, die Kontroverse nicht. Der Nachbar soll so sein wie man selbst, die Streitlust reicht gerade bis zur stinkenden Biomülltonne. Man hat sich häuslich eingerichtet, verteidigt den langsam schrumpfenden Mittelstandswohlstand und wer könnte schon leugnen, dass eine Mehrheit richtig gut lebt? Deshalb wünschen sich die meisten Deutschen weder die Abschaffung des Euro noch einen Bruch mit Amerika noch eine digitale Revolution. Man meidet, was nach Wandel riecht. Angela Merkel ist die perfekte Anführerin dieser Nation der Zufriedenen. Mit ihr ist keine Revolution zu machen. Von ihr ist aber auch keine zu befürchten. Das haben die Wähler verstanden.

Nun könnte man diese Haltung als großes Kompliment an die deutsche Nachkriegsgeschichte lesen, als Zeugnis der Stabilität der deutschen Demokratie. Doch der Grad zwischen stiller Zufriedenheit und dickwanstigem Stillstand ist schmal. Ausgerechnet Barack Obama ist in Berlin mit dem Finger darüber gestrichen. Die modernen Demokratien, sagte er, neigten zur „complacency“ – zur Selbstgenügsamkeit: „Ich aber bin hierhergekommen, Berlin, um zu sagen, dass Selbstgenügsamkeit keine Charaktereigenschaft großer Nationen ist.“

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