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Warnung der Weltärzte EU-Pläne für Pharmatests gefährden Schutz der Patienten

Die EU-Kommission will die Regeln für klinische Studien vereinfachen. Weniger Bürokratie soll der Pharmaindustrie nutzen und wieder mehr Forschung möglich machen. Riskiert wird der Schutz für Patienten, kritisieren Mediziner.
Automatisch Testperson? EU-Regeln für Pharmatests sollen vereinfacht werden

Automatisch Testperson? EU-Regeln für Pharmatests sollen vereinfacht werden

Foto: Corbis

Brüssel - Seit Monaten tobt ein heftiger Streit um die "EU-Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln". Zwischen wünschenswertem Bürokratieabbau und dem Schutz der Menschenwürde ringen Ethiker, Mediziner, Politiker und Lobbyisten um die korrekten Vorgaben für die Tests . Der EU-Gesundheitsausschuss hat nun einen Entwurf für das Gesetzespaket vorgelegt. Es soll regeln, wie zukünftig Pharmatests am Menschen durchzuführen sind und wie mit den ermittelten Daten umgegangen werden darf.

Nach Auswertung von mehr als 700 Änderungsanträgen sind Mediziner und Ethiker besorgt. Sinnvolle Regeln zum Schutz der Patienten würden gefährlich aufgeweicht, warnt etwa Otmar Kloiber, Generalsekretär des Weltärztebundes . Kritiker werfen der Kommission vor, Patienten unwissentlich zum Verfügungsobjekt medizinischer Forschung machen zu wollen.

Was genau plant die EU Kommission?

Für Studienleiter aus Industrie oder Forschung soll die Suche nach Probanden deutlich einfacher werden. Tests an Freiwilligen sind Voraussetzung für die Zulassung von Arzneimitteln. In Zukunft soll es etwa bei Studien nicht gänzlich neuer Medikamente möglich werden, Patienten auch ohne ihre informierte Einwilligung (informed consent) in eine Studie einzuschließen. Landet man etwa als Patient in einem Krankenhaus, an dem gerade eine bestimmte Studie läuft, wird man automatisch Testperson. Ob Krebskranker oder Unfallopfer: Der Patient müsste aktiv mitteilen, dass er an der Studie nicht teilnehmen will. Wenn er das nicht kann, etwa weil er bewusstlos ist oder unter Schock steht, müsste er eine entsprechende Verfügung bei sich tragen.

Klinische Studien - der Weg der Arzneimittelzulassung

Eine solche Regelung würde gegen die Grundrechte-Charta der EU verstoßen. Sie wäre eine Gefahr für das Recht auf körperliche Selbstbestimmtheit. "Der Verzicht auf die ausdrückliche Zustimmung der Patienten dreht die guten Regeln der klinischen Praxis um", sagt Peter Liese, CDU-Europaabgeordneter in Brüssel.

Die Kommission begründet ihre Pläne mit wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten zur Rettung des Pharmastandorts Europa . Nicht nur die Industrie, auch viele Mediziner forderten eine Reform der bestehenden Regeln für Pharmatests. In den vergangenen Jahren haben sich die Möglichkeiten zur Durchführung pharma-unabhängiger Studien "als Folge überbordender Bürokratie" dramatisch verschlechtert, heißt es zum Beispiel bei der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie.

Rund 40 Prozent aller klinischen Prüfungen werden aktuell von nicht-kommerziellen Sponsoren durchgeführt. Die Studiengruppen sind an Universitäten angesiedelt und klären wichtige Fragen, die für Medikamentenhersteller nicht von unmittelbarem Interesse sind. In den Tests wird etwa die Qualität bereits zugelassener Medikamente untersucht. Immer wieder zeigen diese Untersuchungen auch Defizite in den Zulassungsstudien etwa für Krebsmittel auf.

Kritik an zu kurzen Prüffristen

Fatal seien die geplanten Änderungen zur sogenannten Zweitnutzung von Daten, sagt Otmar Kloiber. Nach den neuen Plänen könnte ein Studienbetreiber mit den Angaben, die er in einer ersten Studie gesammelt hat, in einem weiteren Fall machen was er will - ohne den Patienten noch einmal dazu zu fragen.

Zu einschneidenden Veränderungen gehört, dass der Prüfbehörde, die über die Zulassung einer Studie entscheidet, nur eine Frist von 12 bis 32 Tagen bleibt, um den Pharmatest auf Qualität und ethische Richtigkeit zu prüfen. Verpassen die Fachleute diese Frist, gilt der Antrag automatisch als angenommen. "Das ist völlig unrealistisch und lässt die Frage aufkommen, ob es die Kommission und das Parlament wirklich ernst meinen mit der Überprüfung der Experimente am Menschen", sagt Kloiber. Ein wirksamer Schutz der Patienten werde so praktisch verhindert.

Was sind die Vorteile der neuen Regeln?

Die EU will ein zentrales Studienregister einführen und die Koordination multinationaler Studien einem einzelnen Land übertragen um so unnötige Bürokratien abzubauen. Bislang sind die Regeln in der EU sehr unterschiedlich, was die Kosten für Forscher unnötig erhöht.

Die Pharmahersteller sollen ihre bislang streng gehüteten Geheimnisse offenlegen: die Studienberichte ihrer Tests - und zwar unmittelbar nach der klinischen Prüfung beziehungsweise 30 Tage nach Marktzulassung. Ein "richtungsweisendes Votum", wie die Tageszeitung "taz"  konstatierte. Die sogenannten Clinical Study Reports, das sind die ausführlichen Studienberichte zu Planung, Durchführung und Analyse klinischer Arzneimittel-Studien, müssten in einer für jeden Bürger zugänglichen EU-Datenbank veröffentlichen werden.

Bisher werden diese Ergebnisse nicht oder nur sehr lückenhaft veröffentlicht, was sich nachteilig für Patienten auswirken kann. Der bekannte Wirkstoff Rofecoxib (Vioxx) etwa wurde in den neunziger Jahren zugelassen, er galt als nebenwirkungsarm. Nach wenigen Jahren musste der Hersteller MSD ihn wieder vom Markt nehmen, es waren unter anderem gehäuft Schlaganfälle aufgetreten. Es stellte sich heraus, dass diese Nebenwirkung schon vor Zulassung bekannt war, die entsprechenden Studien aber durch den Hersteller nicht publiziert wurde.

Was passiert nun?

Noch können Politiker, Mediziner und Ethiker versuchen, die kritischen Punkte zu beheben. Im Herbst soll der Entwurf endgültig verabschiedet werden, sagt der EU-Abgeordnete Peter Liese auf einem eigens angesetzten Symposium in Berlin. Nach der Sommerpause soll der Entwurf mit dem Ministerrat verhandelt und dann im Parlament verabschiedet werden.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels waren Quellen nicht vollständig angegeben. Wir haben diese Angaben ergänzt und bitten um Entschuldigung! Im Text stand ursprünglich zudem, Merck sei der Hersteller von Vioxx. Das war missverständlich. Hersteller war die US-Firma Merck & Co., Inc, die in Deutschland als MSD Sharp & Dohme firmiert, nicht das deutsche Unternehmen Merck KgaA.