ZEIT ONLINE: Herr Chen, Sie vertreten die These, dass wir mehr oder weniger sparen – je nachdem, welche Sprache wir sprechen. Das überrascht. Wie kommen Sie darauf?

Keith Chen: In einer Studie habe ich erstmals einen sprachlichen Ansatz gewählt, um zu erklären, warum Menschen sparen. Meine Überlegung war die Folgende: Es gibt offensichtlich Sprachen, in denen der Sprecher dazu gezwungen ist, das Futur zu benutzen, wenn er über die Zukunft sprechen will. Daneben gibt es Sprachen, in denen man das Präsens verwenden kann, wenn man über die Zukunft spricht. Ich nenne diese Sprachen "zukunftslos". Die Gegenwart und die Zukunft fühlen sich gleich an.

ZEIT ONLINE: Können Sie hierfür ein Beispiel geben?

Chen: Nehmen Sie die deutsche Sprache. Im Deutschen können Sie sagen: "Morgen spare ich." Das ist die Gegenwartsform, auch wenn die Zukunft gemeint ist. Genauso gut können Sie sagen: "Morgen werde ich sparen." Beides geht, es macht keinen Unterschied. Im Englischen ist das anders. Grammatikalisch ist nur "Morgen werde ich sparen" richtig. Das Deutsche ist eine "zukunftslose" Sprache, das Englische nicht.

ZEIT ONLINE: Und was hat das jetzt mit unserem Sparverhalten zu tun?

Chen: Grundsätzlich ist es doch so: Geld beiseite zu legen kostet Überwindung. Es verursacht heute Kosten und ich kann erst morgen einen Nutzen daraus ziehen. Wenn man wie die Deutschen in der Gegenwartsform über das Sparen sprechen kann, obwohl man die Zukunft meint, ist es einfacher zu sparen. Den Deutschen ist die Zukunft näher, die Überwindung ist nicht so groß.

ZEIT ONLINE: Weil wir Deutsch sprechen, sparen wir mehr?

Chen: Richtig.

ZEIT ONLINE: Wie stark sind denn die Belege für Ihre These?

Chen: Für meine Studie habe ich verschiedene Industrieländer untersucht, und dabei ihre Sparquote und ihre Sprache verglichen. In Ländern wie China, Japan, Norwegen und Finnland mit einer zukunftslosen Sprache, war auch die Sparquote substantiell höher. Die Bevölkerung solcher Länder spart jedes Jahr im Schnitt sechs Prozent mehr ihres Bruttoinlandsprodukts als Staaten, in denen die Bürger zwingend das Futur benutzen müssen. Zum Beispiel in Spanien, Griechenland oder Portugal.