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Dithmarschens Driving Doctors Mit dem Doc-Mobil aufs Dorf

Flying Doctors auf Norddeutsch: In Schleswig-Holstein soll in Zukunft ein mobiler Medizinerservice von Dorf zu Dorf fahren. Mit dem Doc-Mobil will das Gesundheitsministerium gegen den Medizinermangel kämpfen - aber das Projekt ist unter Ärzten umstritten.
Landschaft in Schleswig-Holstein: Mit dem Doc-Mobil gegen den Ärztemangel

Landschaft in Schleswig-Holstein: Mit dem Doc-Mobil gegen den Ärztemangel

Foto: dapd

Deutschland, hoch im Norden: Im Kreis Dithmarschen bestimmen Deiche, Kohlfelder und Kuhweiden das Landschaftsbild. Die Küstenregion um die Eidermündung ist Heimat für seltene Tier- und Pflanzenarten. Aber eine andere Spezies ist in Schleswig-Holsteins Dörfern vom Aussterben bedroht: der Hausarzt.

In Dithmarschen könnten Mediziner demnächst in einem Modellprojekt mit einem schicken neuen Arztmobil ihre Patienten abklappern. So hat es das Gesundheitsministerium in Kiel vorgeschlagen. Hausarzt Burkhard Sawade kann sich gut vorstellen, seine Praxis in Meldorf einmal die Woche zu verlassen und zu seinen Patienten aufs platte Land zu fahren. "Ich bin dafür, das Doc-Mobil auszuprobieren, die Notwendigkeit ist da. In Australien werden die Menschen auch von den Flying Doctors im Flugzeug behandelt", sagt der 51-Jährige. Sawade hofft, so den Ärztemangel in dem strukturschwachen Gebiet zumindest etwas eindämmen zu können. Aber noch sind viele seiner Kollegen skeptisch.

Unter dem Medizinermangel leiden in Deutschland vor allem ländliche Regionen. Im Süden von Dithmarschen ist ein Arzt im Schnitt für etwa 1450 Einwohner zuständig. Ein zusätzliches Problem ist die Überalterung: Laut der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein sind 32 Prozent der Hausärzte in dem Bundesland älter als 60 Jahre. Bis 2020 werden 40 Prozent der Allgemeinmediziner ihre Rente eingereicht haben - die Praxen machen dann oft ersatzlos dicht.

Raus aus der Praxis, rein in den Arztbus

Nachwuchs ist Mangelware, laut einer Befragung der Uni Trier gelten Ortschaften mit weniger als 5000 Einwohnern als völlig unattraktiv bei jungen Medizinern. Wer will schon in Rehm-Flehde-Bargen oder Tensbüttel-Röst wenig gewinnbringende Basismedizin machen, Blutbilder erstellen oder EKGs messen?

Die Leidtragenden sind vor allem ältere Menschen, chronisch Kranke und Bettlägerige. Der Weg in größere Orte wie Heide oder Büsum ist für sie oft zu weit und mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu bewältigen. Früher konnten sie zu Fuß zum Dorfarzt gehen. Das neue Konzept Doc-Mobil könnte auch diesen Patienten helfen.

Seit fünf Jahren diskutiert das Gesundheitsministerium in Kiel mit Sawades Kollegen und der Kassenärztlichen Vereinigung über das Arztmobil - bisher ohne Einigung. "Wenn Patienten aufgrund der Entfernung nicht mehr zu ihrem Arzt kommen, sollten wir die Möglichkeit schaffen, dass der Arzt zu den Patienten kommt. Das Doc-Mobil sehe ich als Chance, die Versorgung in ländlichen Gebieten zu unterstützen", wirbt Gesundheitsministerin Kristin Alheit für das Projekt.

Dennoch sind laut Sawade etwa noch 80 Prozent von Dithmarschens Doktoren gegen die mobile Medizin. Angesichts des Problems dürfe es aber keine Tabuthemen mehr geben, wenn es um die ärztliche Versorgung geht. "Aber für die Beteiligten müssen die Rahmenbedingungen stimmen", findet auch Sawade. Bisher sei das noch nicht der Fall. "Für das Doc-Mobil müssen vor allem erfolgversprechende wirtschaftliche Modelle gefunden werden", sagt der Mediziner. "Wir Hausärzte arbeiten schon jetzt zu 30 Prozent gratis. Für eine mobile Medizin muss eine Sonderfallregelung eingeführt werden." Viele seiner Kollegen fürchten, dass sie wertvolle Behandlungszeit auf Dithmarschens Straßen verlieren könnten, die ihnen keiner bezahlt.

Doc-Mobil oder Linienbus?

Sawade glaubt, dass vor allem moderne Technik an Bord des Doc-Mobils die ärztliche Behandlung in der Region verbessern könnten. Das macht die fahrende Arztpraxis aber nicht billig. "So ein Wagen würde samt Diagnostik wie Ultraschall und EKG etwa 200.000 Euro kosten", schätzt der Mediziner.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Behandlung der Patienten an Bord des Mobils, wie es das Ministerium vorsieht. "Die Sprechstunde sollte nicht im Auto stattfinden, hier kann ich kein vernünftiges Arzt-Patienten-Gespräch führen", sagt Sawade. "Wir haben ja auch kein Platzproblem, sondern ein Mobilitätsproblem." Hier irre das Ministerium, meint der Hausarzt und verweist darauf, dass es für sehr gebrechliche Patienten nur schwer möglich wäre, in das Doc-Mobil zu klettern.

Nach seinen Vorstellungen sollte der Wagen dem Rettungsdienst unterstellt werden. Von dort könnte ein Rettungsassistent morgens losfahren und vor Ort schon einmal den Ablauf organisieren - die Patienten könnten in Räumen warten, die von den Ortschaften bereitgestellt werden, etwa dem Gemeindesaal oder der Turnhalle. Der Arzt reist derweil allein an und kann am Ziel sofort mit der Patientenbehandlung beginnen.

Noch ist es aber nicht so weit, auch wenn Sawade hofft, dass der Wagen innerhalb der nächsten zwölf Monate fahren wird. Eine Alternative zum Doc-Mobil wäre ein Linienbus, der die Dörfer abklappert und zu den Arztpraxen bringen könnte. Laut Gesundheitsministerin Alheit eine weitere Möglichkeit, um die Herausforderung der Versorgung in ländlichen Gebieten zu meistern. Sawade sieht das kritisch: "Bettlägerige Patienten kann man damit nicht erreichen. Außerdem hat nicht jeder Hausarzt eine gleich gute technische Ausstattung, wie sie ein Doc-Mobil beherbergen sollte."

Deshalb hofft er weiter auf den Arztwagen. Immerhin hat er schon einige Mediziner überzeugt: "Derzeit wollen sich fünf Kollegen an dem Modell beteiligen", sagt er. Für ein Modell, bei dem jeden Tag ein anderer Kollege auf dem Doc-Mobil Dienst schiebt, würde das reichen.