«Wenn sich ein europäischer Kleinstaat nicht einbindet, geht er verloren in der modernen Welt. Sogar Deutschland ist im globalen Kontext ein Kleinstaat». Alexander van der Bellen spricht mit klaren, aber reflektierten Worten. Den Teilnehmern der Gesprächsrunde im Clé de Berne zum Thema «Österreich und die Schweiz im Vergleich» verschwieg der ehemalige Ökonomieprofessor den grossen Reformstau in der EU nicht. Trotzdem bleibe er ein überzeugter Europäer: «Es ist das beste System, das wir haben». Für Österreich habe sich der EU-Beitritt wirtschaftlich als sehr vorteilhaft ausgewirkt. Wohl auch deshalb seien mehr als zwei Drittel der Österreicher weiterhin für den Verbleib in der EU.

Reger wirtschaftlicher Austausch

Die institutionelle Nähe zur EU ist wohl der grösste Unterschied zwischen der Schweiz und Österreich. Patrik Schellenbauer, stellvertretender Direktor von Avenir Suisse, erwähnte in seinem Inputreferat auch die vielen Gemeinsamkeiten: Beide Länder sind politisch neutral, Standort internationaler Organisationen, ihre Volkswirtschaften relativ wohlhabend und – aufgrund des kleinen Binnenmarkts – angewiesen auf Aussenhandel. Letzterer hat sich zwischen den beiden Nachbarn seit den 1990er Jahren sehr gut entwickelt. Aktuell fällt der Medaillenspiegel in der Disziplin «Bilateraler Aussenhandel» – wie bei der Ski-WM in St. Moritz – zugunsten der Österreicher aus. Sie erzielen nicht nur bei den Dienstleistungen, sondern auch bei den Gütern einen Überschuss. Mit den Direktinvestitionen von je rund 7 Mrd. Fr. (2015) lagen die beiden Staaten zuletzt gleichauf.

Einwanderungsländer seit Jahrzehnten

Die beiden Alpenrepubliken haben noch etwas gemeinsam: die seit Jahrzehnten hohe Zuwanderung, von der sie auch wirtschaftlich profitierten. Eine aktuelle Herausforderung in beiden Ländern ist die Integration der zahlreichen Flüchtlinge. Alexander van der Bellen betonte, wie wichtig es sei, die Kinder möglichst schnell zu integrieren. Bezugnehmend auf seine eigene Geschichte stellte er nicht ohne Schmunzeln fest: «Ich komme selbst aus einer Flüchtlingsfamilie – bin also ein positives Beispiel.»

«Wir können mehr»

In Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre machte keiner der Anwesenden Prognosen. Zu gross sind die Unsicherheiten über die Auswirkungen des Brexit, das Schicksal der Bilateralen oder auch die allgemeine weltpolitische Lage.

Einige Diskussionsteilnehmer hofften auf eine intensivere Zusammenarbeit – unter anderem in der Finanzmarktaufsicht. Die ebenfalls anwesende österreichische Botschafterin Ursula Plassnik stiess ins gleiche Horn. Sie wünscht sich wieder das «Gefühl des Miteinanders», das zumindest auf dem diplomatischen Parkett seit dem Nein der Schweiz zum EWR etwas nachgelassen habe, nicht zuletzt wegen der anderen Schwerpunkte. «Wir können doch mehr», meinte die erfahrene Diplomatin. Gerade in Zeiten des Wandels steigt eben der Wert einer guten Nachbarschaft.