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Immobilien Fotovoltaik

Die Hausfassade soll unsere Städte revolutionieren

Die Fassade der Zukunft ist grün – und erzeugt Strom Die Fassade der Zukunft ist grün – und erzeugt Strom
Die Fassade der Zukunft ist grün – und erzeugt Strom
Quelle: freyarchitekten
Hauswände, die Strom erzeugen, die Luft säubern, Regenwasser speichern und im Sommer Kühle spenden – was nach einer ambitionierten Zukunftsvision klingt, wird jetzt vielerorts zur Realität.

Vaihingen, das ist Stuttgarts naturverbundener Wissenschaftsbezirk. Im Pfaffenwald tummeln sich Rot- und Schwarzwild. Daneben hat die landeseigene Universität die meisten ihrer Institute angesiedelt und weitere Forschungseinrichtungen angelockt. Darunter das Fraunhofer-Institut für Bauphysik und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg (ZSW) – zwei Einrichtungen, die daran arbeiten, Häusern eine ganz neue Bedeutung zukommen zu lassen. Sie sollen Energie erzeugen und idealerweise speichern. Der Kampf gegen den CO2-Ausstoße und die Folgen des Klimawandels steht in Vaihingen ganz oben auf der Agenda.

Geht es nach den Vorstellungen der Wissenschaftler, bekommt die Gebäude-Außenhülle bald ganz neue Funktionen. Sie soll aus Sonnenlicht Strom erzeugen, die Luft sauberer halten, Regenwasser auffangen und darüber hinaus an heißen Sommertagen Kühle spenden. Es gehe darum, „der Gebäudehülle Eigenschaften zu verleihen, die einerseits die urbane Erwärmung reduzieren und andererseits den Problemen der Luftschadstoffbelastung entgegenwirken“, sagt Hartwig Künzel vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik.

Er hat in einer Studie für den Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle (BuVEG) untersucht, wie Häuserfassaden dazu beitragen können, in Städten die „Hitzeentwicklung zu reduzieren und die Luftqualität zu verbessern“. Fassaden müssten „aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden, damit unsere Städte auch in Zukunft lebenswert bleiben“, sagt BuVEG-Geschäftsführer Jan Peter Hinrichs. „Aktivierte Gebäudeoberflächen können Städte widerstandsfähiger machen gegen Hitze, schlechte Luft und Regenmassen.“

Auf dem Dach wird zu viel Fläche verschenkt

Knapp 400 Meter Luftlinie vom Fraunhofer-Institut entfernt forscht Dieter Geyer, Projektleiter beim benachbarten ZSW. Er untersucht, wie Fotovoltaikzellen, die Sonnenlicht in Strom umwandeln, effektiver in Fassaden integriert werden können. „Wir optimieren das Moduldesign hinsichtlich Energieertrag, Schattentoleranz, Montagefreundlichkeit und Flexibilität.“ Das Ziel: die Stromausbeute zu verbessern.

Spezielle Fotovoltaik-Module für die Fassade – hier ausnahmsweise in optimaler Ausrichtung
Spezielle Fotovoltaik-Module für die Fassade – hier ausnahmsweise in optimaler Ausrichtung
Quelle: Avancis

Bislang werden Fotovoltaikanlagen vor allem auf Dächern installiert. Doch damit wird ein erheblicher Teil der potenziell zur Stromgewinnung nutzbaren Fläche verschenkt. „Bei Gebäuden mit mehr als drei Geschossen ist oft mehr Platz an der Fassade als auf dem Dach“, sagt Geyer. Zudem bieten an Fassaden montierte Solarzellen noch einen weiteren Vorteil: „Sie nutzen die tief stehende Sonne im Winter aufgrund ihrer vertikalen Ausrichtung gut, und sie sind bei Schneewetterlagen gegenüber Dachanlagen im Vorteil.“ Denn wenn die weiße Pracht herniederrieselt und die auf Dächern montierten Fotovoltaikmodule bedeckt, liefern sie kaum noch Ertrag. Hingegen kann der Schnee auf den vertikal angebrachten Zellen an den Fassaden nicht haften.

Die Fassade war bislang vor allem ein repräsentativer Teil der Gebäude. Zwar reicht eine einfache Wand, um die Bewohner eines Hauses vor Wind und Wetter zu schützen. Doch seit Jahrtausenden machen Menschen sich daran, den nach außen sichtbaren Teil der Gebäudehülle zu verschönern. Bereits im alten Ägypten wurden Motive von Göttern und Hieroglyphen in die Außenwände von Tempeln und Palästen geritzt, um die Macht des Pharaonenreichs darzustellen. Im Mittelalter ließen Kaufleute die Holzfassaden ihrer Häuser mit Schnitzereien verzieren, um ihren Reichtum zu präsentieren.

Gräser und Moose binden Feinstaub

Jetzt machen es Ingenieure und Wissenschaftler möglich, die Wände von Gebäuden nicht nur zur Repräsentation, sondern auch als Energielieferant und zur Verbesserung der Lebensqualität zu nutzen. Erste Beispiele dafür gibt es bereits: Die Berliner Galeries Lafayette schmückt ein 70 Quadratmeter großer vertikaler Garten des renommierten Pariser Botanikers Patrick Blanc. In ihm wachsen Pflanzen nicht aus der Waagerechte in die Höhe, sondern sprießen aus einer senkrecht hängenden Plattenkonstruktion vor der Fassade.

Der heute 64-Jährige hat vor mehr als 30 Jahren entdeckt, wie Pflanzen und Gräser die von Feinstaub, Auto- und Heizungsabgasen belastete Atemluft in den Städten reinigen können: „Sie fangen Moleküle, die die Luft verschmutzen ein und verwandeln sie in Dünger.“ Schadstoffe und Staubpartikel wie der Abrieb von Autoreifen würden so biologisch zersetzt. Das Prinzip ähnele „einem Biofilter“. Das bestätigt eine Studie des Instituts für Agrar- und Stadtökologische Projekte der Berliner Humboldt-Universität im Auftrag der Fachvereinigung Bauwerksbegrünung (FBB), einem Zusammenschluss von Firmen, die sich auf die Bepflanzung von Dächern und Fassaden spezialisiert haben.

Danach binden Gräser und Moose pro Quadratmeter und Jahr bis zu 8,8 Gramm Feinstaub und 300 Gramm Kohlendioxid, wobei sie Letzteres in Sauerstoff umwandeln. Hochgerechnet auf 1000 Quadratmeter Fassadenfläche entspricht dies einer Feinstaubbindung von 8,8 Kilogramm und einer Absorption von 300 Kilogramm Kohlendioxid im Jahr. Die Schlussfolgerung der Forscher: Fassadenbegrünungen würden einen „nennenswerten Beitrag zur Luftreinhaltung leisten“.

Begrünte Fassaden wirken wie Klimaanlagen

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Am effektivsten sind dabei Bryophyten, umgangssprachlich bekannt als Moose. Sie zählen zu den ältesten Pflanzen der Welt. Hervorgegangen sind sie aus Grünalgen, denen vor mehr als 450 Millionen Jahren der Sprung vom Wasser ans Land gelang. Kohlenmonoxid und -dioxid, Stickstoff, Reifen- und Bremsabrieb – das Schadstoffquintett, das die Gesundheit der Menschen in den Städten attackiert, ist für Moose wie ein Fünf-Gänge-Menü in einem Sternerestaurant. Die winzigen Pflanzen nehmen den Dreck aus der Luft als Nahrung auf.

Wie effektiv Moose als Luftfilter sind, zeigt das Berliner Start-up Green City Solutions. Es hat den City Tree entwickelt. Ein 3,5 Quadratmeter messender Quader bestückt mit Moosen, der auf seiner kleinen Fläche so viele Schadstoffe binden und aus Kohlendioxid Sauerstoff generieren kann, wie 275 herkömmliche Bäume. „Saubere und profitable Stadtluft“ verspricht Dénes Honus, einer der vier Gründer und Vorstandschef des Start-up-Unternehmens. Wagniskapitalgeber wie Coparion, Littlerock und Don Ventures haben sich im Januar mit einer siebenstelligen Summe an dem Unternehmen beteiligt. Zahlreiche Städte von Jena über Oslo bis zum fernen Hongkong haben bereits City Trees an ihren viel befahrenen Straßen aufgestellt.

Fassade des Kaufhauses Galeries Lafayette
Fassade des Kaufhauses Galeries Lafayette
Quelle: picture alliance / dpa

Die Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart arbeiten nun an neuen Methoden, um Pflanzen dauerhaft an Gebäudefassaden anzusiedeln. Dabei gehe es nicht nur um die Schadstoffreduzierung in der Luft. Begrünte Fassaden wirkten auch wie „natürliche Klimaanlagen“, sagt Künzel. Die Pflanzen selbst und die Erdschicht, in denen sie wurzeln, speichern Regenwasser. Dieses verdunstet an warmen Tagen und kühlt dadurch die Umgebungsluft. Gleichzeitig könnten begrünte Fassaden dazu beitragen, bei Starkregen Überschwemmungen in Städten zu minimieren. Denn um die Pflanzen fortwährend zu bewässern, könnten große Zisternen auf den Hausdächern montiert werden. Darin würden erhebliche Teile des Niederschlags aufgefangen, das bislang über Regenrinnen auf die Straßen oder in die Abwasserleitungen strömt.

Einfache Lösung für Eigenheimbesitzer

Allerdings ist es aufwendig und teuer, Fassaden großer Bürotürme und Einkaufszentren zu begrünen. „Deshalb müssen nicht nur Wasser für die nötige Feuchtigkeit, sondern auch Dünger und Nährstoffe für das Wachstum über ein engmaschiges Netz aus kleinen Rohren an ihre Wurzeln gebracht werden“, sagt Thorwald Brandwein, Inhaber des auf Fassadenbegrünungen spezialisierten Unternehmens Polygrün im nordrhein-westfälischen Mechernich. Dazu seien Vorratsbehälter und eine digitale Steuerung nötig. „Auch ein nur wenige Quadratmeter großer vertikaler Garten kostet deshalb einen fünfstelligen Euro-Betrag“, sagt der Unternehmer.

Eigenheimbesitzer haben es da leichter. Sie könnten an die Fassaden ihrer ein- und zweigeschossigen Häuser einfach Kletterhilfen verankern, an denen sich dann im Erdreich verwurzelte Pflanzen in die Höhe ranken, sagt Brandwein. „Der Pflegeaufwand ist minimal, weil diese Pflanzen Nährstoffe und Wasser direkt aus dem Boden ziehen.“ Neben den seit Jahrhunderten dafür genutzten Klassikern Efeu und wilder Wein eigneten sich als Gerüstklimmer auch Blauregen, Clematis, die Heckenkirsche, Kletterrosen, Passionsblumen, Rankerbsen und Zierkürbis.

Kletterpflanzen wie Wilder Wein, Glyzinien und Knöterich begrünen Hausfassaden in Freiburg
Kletterpflanzen wie Wilder Wein, Glyzinien und Knöterich begrünen Hausfassaden in Freiburg
Quelle: picture alliance / Rolf Haid

„Einfache Stahlgitter gibt es inklusive Installation zu Preisen ab 75 Euro pro Quadratmeter“, sagt Brandwein. Teure Edelstahlmodelle kosteten um die 200 Euro pro Quadratmeter. Der Unternehmer selbst fertigt in seinem Betrieb Kletterhilfen aus Glasfaser, „die preislich im Mittelfeld“ lägen.

Interessant für Familien mit hohem Stromverbrauch

Auch Fotovoltaikanlagen können Eigenheimbesitzer an die Fassaden ihrer Häuser montieren. „Zwar lohnt sich nicht mehr der Verkauf des mit den Solarzellen erzeugten Stroms“, sagt Inse Ewen, Energieberaterin der Verbraucherzentrale Bremen. In den vergangenen Jahren seien dafür die im Erneuerbare-Energien-Gesetz festgelegten Einspeisevergütungen, die die Versorgungskonzerne für Solarstrom zahlen müssen, zu stark gesunken. „Für den Eigenverbrauch können solche Anlagen aber interessant sein, wenn eine Familie einen hohen Stromverbrauch hat“, sagt Ewen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn das Haus mit einer Wärmepumpe beheizt und zudem ein Elektroauto benutzt wird. „Mit dem Strom aus den Solarzellen kann dann die Wärmepumpe betrieben und das Fahrzeug aufgeladen werden“, sagt die Expertin.

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Eine Fotovoltaikanlage an einer unbeschatteten Südfassade eines Eigenheimes erbringe zwar nur 70 Prozent der Leistung einer optimierten Solaranlage auf dem Dach, sagt Stefan Oelting, Betriebsleiter beim Fotovoltaikanlagenhersteller Antec Solar in Arnstadt. „Dafür ist die Fotovoltaikanlage an der Wand aber billiger als jene auf dem Dach.“ Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Fassade des Hauses ohnehin erneuert oder neu gebaut wird. „Gegenüber einer Putz- oder Steinfassade betragen die Mehrkosten bei Kauf und Installation einer Fotovoltaikanlage nur knapp 20 Prozent“, sagt Oelting. Dabei dienten die mit Hinterlüftung angebrachten Solarmodule auch als Wärmedämmung, sagt der Betriebsleiter. „Die dünne Luftschicht zwischen Wand und Fotovoltaikanlage isoliert und hält die Heizungswärme im Haus.“

Ein spektakuläres Beispiel für eine von vornherein durchgeplante Fotovoltaik-Anlage entsteht aktuell in Freiburg. Dort planten und bauen Frey Architekten den „Smart Green Tower“ mit einer aktiven Gebäudehülle aus modernsten Photovoltaik-Modulen mit Hochleistungszellen. Die Module sind an flexiblen Verschattungs-Lamellen montiert und sollen mehr als eine viertel Million Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugen. Im Sommer war Baubeginne, 2019 soll das 51 hohe Wohn- und Geschäftshaus im ehemaligen Güterbahnhofsareal fertig sein.

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