Ron Arad: Yes to the Uncommon! im Vitra Design Museum Schaudepot, Weil am Rhein

In der Ron-Arad-Monografie „Restless Furniture“ bemerkt Deyan Sudjic, dass die möbelvernichtende Maschine Sticks and Stones, die Arad für die Ausstellung „Nouvelles Tendances“ 1987 im Centre de Creation Industriel Paris entwickelte, nur durch das „beherzte Handeln eines freundlichen Schweizer Möbelherstellers“ vor ihrer eigenen Zerstörung gerettet werden konnte.“1 Obgleich alle Schweizer Möbelhersteller freundlich sind, steht einer von ihnen besonders im Fokus, wenn es darum geht, dass Möbeldesign mehr ist als die Form eines Stuhls, um kulturelle Verpflichtungen und darum, Designerbe zu bewahren.

Als müsste dies bestätigt werden, begrüßt Sticks and Stones die Besucher der Ausstellung „Ron Arad: Yes to the Uncommon!“ im Vitra Schaudepot.

Ron Arad. Yes to the Uncommon! @ the Vitra Design Museum Schaudepot

„Ron Arad. Yes to the Uncommon!“ im Vitra Design Museum Schaudepot

Ron Arad wurde 1951 als Sohn einer Malerin und eines Fotografen in Tel Aviv geboren und studierte an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem, bevor er 1974 nach London zog und an die Architectural Association ging, wo er unter anderem von Peter Cook und Bernard Tschumi unterrichtet wurde. Trotz oder vielleicht wegen seiner Architekturausbildung und seiner freien Definition des Begriffs „Architektur“, die er an der Architectural Association entwickelte, arbeitete Ron Arad stets in verschiedenen kreativen Bereichen, wie z. B. Produktdesign, Grafikdesign, Interior Design, Kunst und natürlich Möbeldesign.

Am Anfang seiner Karriere gestaltete Ron Arad Objekte und Möbel aus dem Kee Klamp Rohrsystem, das sich aufgrund seiner zahlreichen Verbindungselemente als äußerst flexibel erwies, bevor er mit seinem Rover Chair 1981 den Durchbruch erlangte. Für dieses Projekt nutzte er alte Sitze aus ausrangierten Rover 2000-Modellen, gebogene Rohre und Kee Klamp Verbindungselemente und gestaltete daraus einen Sessel, der trotz des industriellen Verfalls seiner Komponenten ein sehr raffiniertes Designobjekt darstellt und formal sehr an Alvar Aaltos Paimio Armchair, den Southampton Chair von Warren McArthur oder einige Arbeiten von Jean Prouvé erinnert. In puncto Material, Konstruktion und Symbolik ist es dennoch ganz eindeutig Arads Werk.

„Yes to the Uncommon!“ beinhaltet etwa 18 Projekte, die durch Videos, Fotografien, Texte und Archivmaterial ergänzt werden, und thematisiert Ron Arads Werdegang nach dem Rover-Projekt. Es geht um den Designer, seine Methoden und seine Arbeiten in den 1980er-, 1990er- und 2000er-Jahren, die in der Sammlung des Vitra Design Museums zu finden sind, z.B. London Papardelle, den Sessel Big Easy und den Stuhl Tom Vac oder das Objekt Concrete Stereo.

 

Two interpretations of volume, two armchairs Tom Vac (l) and Big Easy (r), as seen at Ron Arad. Yes to the Uncommon!, the Vitra Design Museum Schaudepot

Zwei Interpretationen von Volumen, zwei Sessel: Tom Vac (l) und Big Easy (r), gesehen in der Ausstellung „Ron Arad. Yes to the Uncommon!“, Vitra Design Museum Schaudepot

1979 gründete Ron Arad gemeinsam mit Dennis Groves das Unternehmen One Off, um seine Designs zu produzieren und zu vertreiben, bevor er es 1981 allein weiterführte. Der Firmenname drückte nicht nur den Fokus des Unternehmens in den ersten Jahren aus, größtenteils maßgeschneiderte Produkte zu entwickeln, sondern auch deren Einzigartigkeit. Alle One Off Objekte wurden auf verschiedenste Arten handgefertigt und ihre Rohheit resultiert nicht nur aus der Materialwahl oder der Art der Konstruktion, sondern ist eher das Ergebnis der Eigenheit der Objekte und des Designverständnisses, aus dem sie entstanden. Dieser Aspekt wird in der Ausstellung „Yes to the Uncommon!“ besonders am Beispiel des Tinker Chair deutlich, dessen gehämmerte Oberfläche Arad für den Kunden individuell anpasste. Auch die Industrie wurde auf Ron Arad aufmerksam, der im Laufe der Jahre gemeinsam mit Herstellern wie Driade, Fiam, Moroso, Magis, Vitra oder Kartell kommerziellere, uniformere, sanftere und präzisere Arbeiten gestaltete. Häufig handelte es sich hierbei um industrielle Objekte, die zunächst in einem ramponierten Zustand waren, bevor sie bearbeitet wurden und den Weg in die Massenproduktion fanden. Die Ausstellung „Yes to the Uncommon!“ verdeutlicht den Gegensatz, wenn nicht gar den Konflikt, zwischen Arads rohen und sanfteren Werken.

Rover Chair )l) and Tinker Chair (r), as seen at Ron Arad. Yes to the Uncommon!, the Vitra Design Museum Schaudepot

Rover Chair (l) und Tinker Chair (r), gesehen in der Ausstellung „Ron Arad. Yes to the Uncommon!“, Vitra Design Museum Schaudepot

„Yes to the Uncommon!“ bietet einen Einblick in Ron Arads Möbeldesigns und in seine Zusammenarbeit mit Vitra, wobei der Fokus auf dem Designer liegt. Die Beziehung zwischen Ron Arad und Vitra begann bereits vor der erwähnten Rettung von Sticks and Stones, nämlich zu einer Zeit, als der damalige Vitra-Vorsitzende Rolf Fehlbaum während einer Ausstellung, die im Rahmen der Mailänder Möbelmesse 1985 stattfand, Arbeiten von Ron Arad sah und ihn bat, etwas zur Vitra Edition Kollektion, eine Sammlung von Objekten, die von ausgewählten Designern in Zusammenarbeit mit Vitra gestaltet wurden und eher experimentell als kommerziell sein sollten, beizutragen. Das Ergebnis war der Well Tempered Chair aus gewalztem wärmebehandelten Stahlblech und stabilen Schrauben, der einem klassischen Lounge Chair ähnlich und doch meilenweit davon entfernt war.

Ron Arad und Vitra setzten ihre Studien zu gewalztem wärmebehandelten Stahlblech 1990 im Rahmen seiner Tätigkeit bei Vitra in Weil am Rhein fort, aus der der sogenannte Bucking Bronco resultierte, ein Stahlring, auf dem man sitzen und wippen kann und aus dem indirekt das Bücherregal Bookworm hervorging, ein Kunststoffregal, das von Kartell vertrieben wird und für das der Designer am ehesten bekannt sein dürfte.

Das bekannteste gemeinsame Projekt von Ron Arad und Vitra ist der Stuhl Tom Vac aus dem Jahr 1997, der zunächst weder als Kooperation mit Vitra geplant war, noch aus wärmebehandeltem Stahlblech besteht, sondern als Objekt aus Aluminiumblech begann und von dem italienischen Designmagazins Domus für eine Installation in Auftrag gegeben wurde. Vitra übernahm daraufhin das Projekt und produziert den Tom Vac Stuhl heute aus spritzgegossenem Polypropylen. Es ist das einzige Möbel, das Vitra von Ron Arad vertreibt.

In Anbetracht der langjährigen Beziehung stellt sich die Frage, wieso die kommerzielle Zusammenarbeit nicht ausgeweitet wurde. Es gibt keinen Grund dafür und auf beiden Seiten besteht kein Drang nach weiteren kommerziellen Kooperationen. Es ist angenehm, dass der Fokus nach wie vor auf Theorie, Experimentieren und dem Austesten von Grenzen liegt. Abgesehen davon wissen wir, was wir auf der Orgatec im Oktober sehen möchten und dass wir enttäuscht sein werden, wenn wir es nicht finden.

A moody discourse: The Well Tempered Chair (l) and Bad Tempered Chair (r) in discussion, as seen at Ron Arad. Yes to the Uncommon!, the Vitra Design Museum Schaudepot

Ein launischer Diskurs: Der Well Tempered Chair (l) und der Bad Tempered Chair (r) gegenüber, gesehen in der Ausstellung „Ron Arad. Yes to the Uncommon!“, Vitra Design Museum Schaudepot

Als Designer wird Ron Arad leicht falsch eingeordnet. Seine frühen Arbeiten beinhalten häufig wiederverwertete, ausrangierte Materialien, was ihn wie einen evangelischen Upcycler wirken lässt; die Rohheit des Großteils seiner Werke scheint wie ein Anprangern der Feinheiten und Raffinesse traditioneller Handwerkskunst und sich wiederholender Perfektion durch industrielle Herstellung; durch die Eigenart und Kontextlosigkeit vieler seiner Arbeiten wirkt er eher wie ein Künstler als ein Designer,,,

„Yes to the Uncommon!“ wirft einen ehrlichen Blick auf Ron Arad und besonders auf einen Designer, der hauptsächlich an Materialien interessiert ist und daran, seine natürlichen Eigenschaften zu verstehen und eher damit zu arbeiten als es zu benutzen. Statt „Material“ hätten wir auch „Stahl“ schreiben können, da er in der Ausstellung ein wiederkehrendes Thema darstellt, aber auch Aluminium, Beton, Textilien und Polyurethanschaum spielen eine Rolle. Neben Materialien ist Ron Arad auch an Volumen interessiert. Die Ausstellung „Yes to the Uncommon!“ zeigt einen Designer, der einen sonst himmlischen Raum greifbar macht, der das Immaterielle physisch werden lässt, mit dem Ziel, es funktional zu machen. Die Behauptung, Ron Arad lasse Raum zu Objekten werden, übersteigt unsere Glaubwürdigkeit vielleicht ein wenig, aber genau das tut er in vielerlei Hinsicht. Der Aspekt, dass die Ausstellung im Schaudepot stattfindet und Arads Arbeiten somit im Kontext der Geschichte des Möbeldesigns betrachtet werden können, hilft dabei, seine Werke zu verstehen. Man erkennt schnell, dass Ron Arads Objekte trotz all ihrer Individualität und Eigenart viele formale, bauliche, philosophische und funktionale Gemeinsamkeiten mit anderen Objekten haben. Das bereits erwähnte Projekt Bucking Bronco stützt sich z. B. auf ähnliche Prinzipien wie die Arbeiten aus geformtem Schichtholz von Marcel Breuer, Gerald Summers, Alvar Aalto u.a..

Bucking Bronco, Eight by One and whole lot of moulded plywood, as seen at Ron Arad. Yes to the Uncommon!, the Vitra Design Museum Schaudepot

Bucking Bronco, Eight by One und viele Schichtholz-Objekte, gesehen in der Ausstellung „Ron Arad. Yes to the Uncommon!“, Vitra Design Museum Schaudepot

„Yes to the Uncommon!“ zeigt, dass das, was Ron Arad macht, nicht neu ist: Jean Prouvé arbeitete zum Beispiel bereits in den 1930er- und 1940er-Jahren mit den intrinsischen Eigenschaften von Stahlblech; Achille und Pier Giacomo Castiglioni arbeiteten in den 1950er- und 1960er-Jahren mit Ready-Mades und ausrangierten Materialien. Abitacolo habitable, Bruno Munaris Beitrag zur MoMA-Ausstellung „The New Domestic Landscape“ 1972 in Italien, zeigte eine häusliche Umgebung, die auf Gerüstbau basierte. Ron Arad versieht seine besseren Arbeiten allerdings mit etwas Subtilem, Tiefe und Widerspruch, was sie auf ihre ganz eigene Ebene hebt, die dennoch für alle erreichbar ist.

Was wie eine schnell zusammengewürfelte und mit dem Hammer bearbeitete Metallsammlung erscheinen mag, ist vielmehr eine Entdeckungsreise in die Bereiche Materialien, Raum, Prozess und eine bewusste Täuschung, die dazu anregen soll, sich mit den ausgestellten Objekten und auch mit allen anderen genau auseinanderzusetzen. Es handelt sich um Gegenüberstellungen von Statements und Möbeln zugleich, in erster Linie geht es aber um Möbel – natürlich abgesehen von dem möbelverschlingenden Objekt Sticks and Stones. Zur Ausstellung „Nouvelles Tendances“ sollten die Besucher Stühle mitbringen, die die Maschine zu Kleinteilen schredderte, mit denen Ron Arad eine Wand gestalten wollte.

Sticks and Stones steht nun still und leise vor dem Vitra Schaudepot – die Sicherheitsvorschriften scheinen hier strenger zu sein als 1987 in Paris. Ron Arads Arbeiten sind natürlich auch so ein wahrer Genuss.

„Ron Arad. Yes to the Uncommon!“ läuft bis Montag, den 14. Oktober im Vitra Design Museum Schaudepot, Charles-Eames-Straße 2, 79576 Weil am Rhein.

Alle Infos gibt es auf www.design-museum.de.

1. Deyan Sudjic, Ron Arad. Restless Furniture, Rizzoli International Publications, New York, 1990

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