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Welt-MS-Tag

Symptome und Nebenwirkungen managen

Viele MS-Erkrankte führen nach außen hin ein normales Leben – die Multiple Sklerose bleibt jedoch eine schwere Erkrankung mit starker psychischer Belastung. Darauf macht am 30. Mai der Welt-MS-Tag unter dem Motto »Keiner sieht's. Eine(r) spürt's: Multiple Sklerose – Vieles ist unsichtbar« aufmerksam. Auch Nebenwirkungen und Begleitsymptome gilt es im Blick zu behalten.
Daniela Hüttemann
29.05.2019  17:00 Uhr

In Deutschland leiden Schätzungen zufolge rund 240.000 Menschen an Multipler Sklerose. Etwa 75 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Häufig trifft die Diagnose die Patientinnen rund um ihren 30. Geburtstag, gewissermaßen in der »Rush Hour des Lebens« zwischen Karrierestart und Familiengründung. MS wird auch die »Krankheit der 1000 Gesichter« genannt, da Beschwerdebilder, Verläufe und auch das Ansprechen auf die zu Verfügung stehenden Behandlungen sehr unterschiedlich sein können, informieren die Deutsche MS-Gesellschaft (DMSG) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Die Fachgesellschaften werben für mehr Verständnis für die Erkrankten, von denen viele scheinbar ein normales Leben zwischen Arbeit, Familie und Freunden führen. 

»Die häufigsten Erstsymptome sind Missempfindungen, Taubheitsgefühle, Schleiersehen und Schwindel«. erläutert die DMSG-Vorsitzende Professor Dr. Judith Haas. »Aber auch Doppelbilder, Sprechstörungen oder seltener eine Querschnittslähmung können die Erstmanifestation der Erkrankung sein.« Eine sichere Prognose sei bei Diagnosestellung nicht möglich. »Wir wissen, dass es günstig ist, wenn die Erstsymptome mild sind und rasch und komplett abklingen, wenn die Herd-Last im MRT gering ist und Schübe im ersten Jahr eher selten sind«, so Haas. Günstig sei auch das weibliche Geschlecht und vor allem der frühe Beginn nach Diagnosestellung mit einer immunprophylaktischen Therapie, die immer wieder dem Verlauf angepasst werden muss. Trotz intensiver Forschung ist die Ursache der neurologisch-immunologischen Erkrankung immer noch nicht genau bekannt und diese nicht heilbar. 

»Insgesamt haben wir inzwischen ein beachtliches Arsenal von immunmodulierenden Substanzen«, sagt Professor Dr. Reinhard Hohlfeld von der DMSG. Die abgelaufene Leitlinie wird derzeit überarbeitet; die Veröffentlichung wird im Herbst erwartet. Dabei werden vermutlich auch die neueren Arzneistoffe, Sicherheitsbedenken sowie Studienergebnisse, wonach ein früherer Beginn einer intensiven Therapie vorteilhaft ist, berücksichtigt werden. Dabei gilt es jedoch auch, mögliche Nebenwirkungen zu beachten.

Ältere Wirkstoffe gelten als sicher

»Bei den Medikamenten, die schon seit Jahrzehnten auf den Markt sind, also den sogenannten Basistherapeutika, kennt man das Nebenwirkungsprofil sehr genau und sie gelten als relativ sicher«, erläutert Professor Dr. Peter Berlit von der DGN.  Für das seit 2006 erhältliche Natalizumab (Tysabri™) lasse sich beispielsweise sehr gut für jeden individuellen Patienten einschätzen, wie hoch sein Risiko für die Entwicklung einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) durch JC-Viren unter einer Langzeittherapie ist. Bei JC-positiven Patienten sei es  Praxis, die Therapie nach 24 Monaten zu wechseln. »Bei neuen Medikamenten, die erst seit wenigen Jahren oder Monaten zugelassen sind, ist das noch nicht der Fall, einfach weil keine Langzeitdaten vorliegen«, so Berlit.

Die Häufigkeit der Kontrollen richte sich nach Medikament und dem individuellen Risiko eines Patienten für eine bestimmte Nebenwirkung. Für jedes Präparat gebe es genaue Richtlinien, welche Parameter in welcher Frequenz zu überwachen sind. »Das sind nicht immer die gleichen«, erklärt der Neurologe. »Es gibt zum Beispiel Medikamente, die schlagen auf die Augen, das heißt der Patient muss nicht nur regelmäßig zum Neurologen, sondern auch zum Augenarzt. Andere Patienten brauchen regelmäßige Leber- und Nierenkontrollen oder müssen regelmäßig zu Blutbild-Checks.«

»In der Regel sollten Patienten, sobald Symptome auftreten, die ungewöhnlich sind und über die ihr Arzt sie nicht aufgeklärt hat, den behandelnden Neurologen aufsuchen«, rät Berlit. Grundsätzlich gelte: Im Zweifelsfall lieber einmal häufiger zum Arzt gehen als einmal zu wenig, damit es nicht zu folgenschweren Komplikationen kommt.

Begleitsymptome angehen

Neben der immunmodulierenden Therapie ist auch eine Behandlung von Symptomen wie Depression, Blasenentleerungsstörungen oder Spastiken wichtig, die sonst zu einer Stigmatisierung führen können. »Der Erhalt der Lebensqualität bedeutet auch den Erhalt der Teilhabe am sozialen Leben«, betont Haas. »Ganz wichtig ist bezüglich der Blasenstörungen, gehäufte Infektionen oder gar einen Rückstau in die Nieren zu vermeiden.« Schwere Spastiken könnten zu Gelenkveränderungen führen, daher sei eine adäquate Therapie wichtig. Patienten mit deutlichen Behinderungen profitierten von regelmäßigen stationären Rehabilitations-Behandlungen, wo sie lernen, ihre Defizite zu kompensieren und ihre Mobilität zu erhalten.

Auch die Psyche dürfe nicht vernachlässigt werden. MS-Patienten, die Probleme mit der Akzeptanz ihrer Diagnose oder den Einschränkungen durch die Erkrankung haben, legt die Neurologin professionelle psychologische Unterstützung ans Herz. Medikamentös nicht behandelbar ist die gefürchtete Fatigue, die betroffene MS-Patienten als stark einschränkend erlebten. Gerade mit Blick auf diese abnormen Erschöpfungszustände mangele es auch im Umfeld häufig an Akzeptanz. »Wichtig ist, mit den Betroffenen ein Zeitmanagement bezüglich der Energiereserven zu erarbeiten«, so Haas. Handelt es sich um eine abnorme motorische Erschöpfbarkeit, die sich in einer Verkürzung der Gehstrecke zeigt, hat man mit Fampridin auch ein Medikament, das dieses Symptom günstig beeinflussen kann. Regelmäßige Bewegung ist in jedem Fall zu empfehlen.

»Großes Augenmerk wird aktuell auf die Ernährung gerichtet«, ergänzt Haas mit Blick auf allgemeine Maßnahmen für MS-Patienten. Empfohlen wird eine Mittelmeerdiät. Zudem würden derzeit die Effekte des Fastens sowie einer ketogenen Ernährung erprobt. Auch der Vitamin-D-Spiegel sollte überprüft werden. Auf Alkohol und Nikotin sollten MS-Patienten verzichten. 

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