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Notfall-Arzneimittel für Kinder

Vorbereitung für den Ernstfall

Ob Adrenalin-Pen, Asthmaspray oder Antikonvulsivum – in einer Notsituation können Arzneimittel Leben retten. Sind Kinder chronisch krank, ist es an Eltern, Lehrern oder Erziehern, Medikamente richtig anzuwenden. Damit das im Ernstfall klappt, können Apotheker die richtige Applikation erklären oder demonstrieren.
Caroline Wendt
30.04.2019  08:00 Uhr

Lehrer und Erzieher erhalten ihr Wissen über Krankheiten und Arzneimittel meist von den Eltern der erkrankten Kinder. Doch häufig sind diese selbst nicht ausreichend informiert. Da ist es klar, dass unter den Betreuern oft Unsicherheit herrscht. Das belegen auch die Studien von Dr. Martina Neininger, Bereichsleiterin des Forschungsschwerpunktes Pädiatrische Pharmazie am Zentrum für Arzneimittelsicherheit (ZAMS) der Universität Leipzig, und ­ihrem Team. Im Gespräch mit der PZ ­berichtete die Fachapothekerin für Arzneimittelinformation von ihren Forschungsergebnissen. Die Wissenschaftler gingen an Schulen, in Kindergärten und in Kindertagesstätten und fragten dort nach: Wie ist der aktuelle Kenntnisstand? Würden Sie ein Notfallmedikament anwenden? Und wenn Ja, wie?

Große Unwissenheit

Nur 17 Prozent der Befragten fühlten sich adäquat auf eine Notsituation eines an Epilepsie erkrankten Kindes vorbereitet. Doch die Unsicherheit betraf nicht nur diese Indikation: »Über alle Indikationsgebiete hinweg wünschten sich Erzieher und Lehrer mehr Informationen, um einen Notfall erkennen und einordnen zu können«, sagte die Apothekerin. Oft fehle bereits das Wissen, welche Symptome auf einen Ernstfall hinweisen können. »Dass eine Allergie mit Schleimhautschwellungen einhergehen kann, war vielen Erziehern bewusst. Andere Anzeichen wie eine Harn- oder Stuhlinkontinenz jedoch nicht«, berichtete Neininger.

Die Erzieher erhielten in den Studien Schulungen zur den unterschiedlichen Krankheiten, den Arzneimittel und deren richtige Anwendung. »Es ist beachtlich, wie viel mit einfachen Maßnahmen in einer einstündigen Unterweisung erreicht werden kann«, so Neininger. Die Untersuchungen zeigten unter anderem, dass sich vor der Schulung nur 11 Prozent der Erzieher gut auf eine anaphylaktische Reaktion vorbereitet fühlten. Nach der Einweisung durch die Apotheker des ZAMS waren es 88 Prozent.

Das Wissen um die richtige Anwendung von Arzneimitteln erhöhe auch die Bereitschaft der Erzieher, sie im Ernstfall auch anzuwenden, berichtete Neininger. Viele sahen eine Mundspritze zum ersten Mal und gingen teilweise davon aus, das Arzneimittel in die Vene applizieren zu müssen – da waren die Vorbehalte verständlicherweise sehr groß. »Nachdem sie erfuhren, dass das Medikament in die ­Wangentasche gehört, waren die Hemmungen, im Notfall zur Spritze zu greifen, deutlich geringer.« Doch auch bei weniger ausgefallenen Arzneiformen gab es Schulungsbedarf: Einfache Handlungshinweise wie »das Mundstück eines Dosieraerosols muss von den Lippen des Kindes fest umschlossen werden« und »vor der Applikation eines Adrenalin-Autoinjektors muss die Schutzkappe abgezogen werden« prägen sich Neininger zufolge besser ein, wenn die Lernenden eine Placebo-Form des Arzneimittels schon einmal in der Hand hatten. »Viele Schulungsteilnehmer waren überrascht, wie schwer das Auslösen eines Adrenalin-Autoinjektors ist«, so die Apothekerin.

In 31 Prozent der Fälle wäre es vor der Schulung zu einer verspäteten Anwendung des Adrenalin-Pens gekommen: Die Erzieher hätten vor der Injektion zunächst die Kleidung des Kindes entfernt. Nach der Schulung lag der Anteil nur noch bei 12 Prozent. Noch fehleranfälliger war die richtige Anwendung von Rektiolen, die manche Kinder bei einem epileptischen Anfall erhalten müssen. Die Untersuchung des ZAMS ergab: Vor der Schulung wendeten nur 0,5 Prozent der Erzieher die Rektiole fehlerfrei an. Nach der Intervention waren 60 Prozent dazu in der Lage.

Die Angst nehmen

Eine Umfrage unter Erziehern und Lehrern ergab außerdem, dass 49 Prozent rechtliche Konsequenzen bei einer Fehlanwendung befürchteten. »Den Betreuern muss die Angst vor der Anwendung genommen werden«, so Neininger. Dies sei mithilfe einer schriftlichen Handlungsanweisung möglich. Diese Anweisung legitimiere den Erzieher rechtlich zur Anwendung. Ein individuell ausgearbeiteter Notfallplan könne zudem festlegen, wann welche Maßnahmen zu ergreifen sind.

Auch die richtige Lagerung des Arzneimittels gehöre schriftlich vereinbart. Griffbereit, aber sicher sollte der Aufbewahrungsort sein, so Neininger. Unbefugte oder Kinder sollten keinen Zugang zu den Arzneimitteln haben. »In manchen Kitas wurde der Adrenalin-Pen allerdings so sicher gelagert, dass die Mitarbeiter fünf bis zehn Minuten brauchten, um das Notfallmedikament zu holen«, berichtete Neininger. Auch eine solche Aufbewahrung gelte es durch eine schriftliche Vereinbarung zu verhindern.

Apotheker können die Eltern mit Vordrucken für Handlungsanweisungen und Notfallpläne versorgen und sie beim Ausfüllen der Formulare unterstützen. Neben der Schulung der Eltern können Pharmazeuten nach Meinung von Neininger auch selbst in Schulen und Kindertagesstätten gehen, um die Mitarbeiter zu schulen. Verschiedene Modellprojekte wie »Apotheke macht Schule« gebe es bereits in verschiedenen Bundesländern. »Die Akzeptanz und die Motivation der Erzieher ist meistens sehr hoch«, weiß die Apothekerin aus den eigenen Schulungen zu berichten. Zudem vermutet sie, dass der Bedarf im Rahmen der Inklusion zukünftig noch zunimmt.

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