Eine jordanische Komödie in München

Der Investor Hasan Ismaik will mit dem TSV 1860 München in die Champions League – doch er ringt in der 2. Bundesliga gegen den Abstieg und findet keine Ruhe.

Christoph Leischwitz, München
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Der Investor Hasan Ismaik verfolgt ehrgeizige Ziele mit dem TSV 1860 München. Er möchte einmal in der Champions League spielen. (Bild: Tobias Hase / Keystone)

Der Investor Hasan Ismaik verfolgt ehrgeizige Ziele mit dem TSV 1860 München. Er möchte einmal in der Champions League spielen. (Bild: Tobias Hase / Keystone)

Nach dieser denkwürdigen Pressekonferenz berichteten viele Zeitungen von einem «Komödienstadel» im TSV 1860 München – und das, obwohl man über die Jahrzehnte sehr viel Komödiantisches erlebt hatte mit dem Klub aus der 2. Fussball-Bundesliga.

Eigentlich sollte an jenem 22. November 2016 nur ein Trainer entlassen werden, ein fast allwöchentlicher Vorgang bei den Münchner «Löwen». Diesmal war Kosta Runjaic dran, der nächste erfahrene Coach, der an den Ansprüchen des Vereins gescheitert war. Sein teures Kader war bedrohlich nahe an die Abstiegsränge gerutscht.

Doch die 39-minütige Konferenz im zweiten Stock der Geschäftsstelle an der Grünwalder Strasse geriet selbst für 1860-Verhältnisse zur Farce. Zusammen mit dem Präsidenten des Vereins, Peter Cassalette, verstrickte sich der jordanische Investor und Klubbesitzer Hasan Ismaik in Widersprüche. Auf die Frage, weshalb auch der Geschäftsführer Thomas Eichin degradiert werden musste, antwortete Cassalette, der sich demonstrativ unbeteiligt gab: «Das soll am besten Hasan beantworten. Ich bin nur Präsident des Vereins.»

Die Journalisten durften das Vereinsgelände mehrere Tage nicht mehr betreten. Drei Tageszeitungen wurden die Jahres-Akkreditierungen für die Heimspiele entzogen.

Offen blieb die Frage, ob der Investor womöglich an den zuständigen Gremien vorbeientschieden hatte, was den Vorgaben der Deutschen Fussball-Liga widersprochen hätte. Ismaik wurde sichtlich nervös und pampig. Erst auf Nachfrage wurde dann der neue Geschäftsführer vorgestellt, ein gelernter Maschinenbauingenieur namens Anthony Power. Er galt als Vertrauter Ismaiks und stand bis dahin still in der Ecke des überfüllten Presseraums. Nach einer Reihe unangenehmer Fragen brach Ismaik die Konferenz ab, stand auf und ging.

Eine Münchner Diktatur

Auf die anschliessende kritische Berichterstattung reagierte der Verein mit einer ungeahnt repressiven Öffentlichkeitsarbeit. Die Journalisten durften das Vereinsgelände mehrere Tage nicht mehr betreten. Drei Tageszeitungen wurden die Jahres-Akkreditierungen für die Heimspiele entzogen. Eine Reporterin der «Bild» wurde zur nicht mehr erwünschten Person erklärt. Das Wort «Komödienstadel» verschwand daraufhin sehr bald aus den Schlagzeilen und wurde durch «Diktatur» ersetzt.

«Gott behüte uns vor solchen Menschen», sagte Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge.

Gewisse Parallelen zu anderen Wirtschaftsmagnaten, die nach dem Einstieg in eine neue Branche ihr Gebaren als Massstab für alle anderen anlegen, mögen rein zufällig sein. Doch Ismaik bezichtigte die Journalisten auf Facebook, eine «Lügenkampagne» zu führen, die zum Ziel habe, die Anhänger aufzuhetzen. Unterdessen kündigten unter dem Geschäftsführer Power mehrere Mitarbeiter. Ismaik legte sich mit allen an, auch mit dem grossen Nachbarn FC Bayern. Von dort hallte es nur einen Satz zurück: «Gott behüte uns vor solchen Menschen», sagte Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge.

Die im Fussball-Geschäft unüblichen Reaktionen auf die unliebsame Kritik lösten in Deutschland vielschichtige Diskussionen aus. Auch darüber, wie weit sich Vereine überhaupt dem grossen Geld hingeben dürfen, ohne ihre Seele zu verlieren. Befeuert wurde die Debatte durch einen Vorfall Anfang März während des Heimspiels gegen den FC St. Pauli. Die Gäste aus Hamburg gewannen das Spiel 2:1. Nach dem zweiten Tor wurden einige ihrer Führungsmitglieder, die in der Reihe vor Ismaik sassen, von Ordnern aufgefordert, sich umzusetzen – sie hatten zu viel gejubelt. St. Paulis Sportchef Andreas Rettig sagte damals: «Das Verhalten der ‹Löwen›-Verantwortlichen der letzten Wochen sollte auch dem letzten Fussballfan in Deutschland die Augen geöffnet haben und sollte all denen, die nach Investoren schreien, Mahnung und Warnung zugleich sein.»

Einmal Löwe, immer Löwe, lautet der Leitspruch – «Deutscher Meister 1966, unsere Väter waren dabei».

Ach, 1860: Die Fans sind gespalten. Einerseits sind viele dem jordanischen Immobilien-Millionär Ismaik dankbar dafür, dass er 2011 plötzlich erschien und den kriselnden Klub vor der sehr wahrscheinlichen Insolvenz bewahrte. «Ich habe gemerkt, dass sich sehr viele Leute freuen auf diesen Investor oder irgendeinen, der Geld bringt», sagte Lothar Langer vom Fan-Projekt München, «die Sechziger-Fangemeinde lechzt nach einem starken Mann.» Viele Anhänger seien «sehr euphorisiert» gewesen: «Sie waren wie hypnotisiert, dass der Retter da war.»

Andererseits war der TSV 1860 stets ein Verein für das Volk, den «Löwen» haftet etwas an, das in vielerlei Hinsicht an eine verklärte Arbeiter-Romantik aus grauer Vorzeit erinnert. Einmal Löwe, immer Löwe, lautet der Leitspruch – «Deutscher Meister 1966, unsere Väter waren dabei».

Deshalb gibt es mittlerweile sogar einige Fans, die einem Weggang Ismaiks und einem Zwangsabstieg aus wirtschaftlichen Gründen Positives abgewinnen könnten: Dann nämlich würde das Team endlich nicht mehr in der gleichen Arena spielen wie der verhasste FC Bayern, sondern könnte wieder in das kleinere, aber altehrwürdige «Sechzgerstadion» umziehen, das im Arbeiterviertel Giesing liegt.

Die Allianz-Arena ist nicht nur die Heimstätte des FC Bayern München, sondern auch jene von TSV 1860 München. (Bild: Sven Hoppe / Keystone)

Die Allianz-Arena ist nicht nur die Heimstätte des FC Bayern München, sondern auch jene von TSV 1860 München. (Bild: Sven Hoppe / Keystone)

Dass der Verein mittlerweile derart stark von Ismaik abhängig ist, hat eine lange Vorgeschichte. Sie begann mit einem verschossenen Elfmeter im Mai 2004. Der Stürmer Francis Kioyo trat im Münchner Olympiastadion in der 89. Minute für 1860 gegen Hertha BSC an. Er schoss den Ball an den Aussenpfosten, vergab den Sieg und beschloss damit den Abstieg der Sechziger in die 2. Bundesliga. Es traf sich ungünstig, dass der Klub gerade gemeinsam mit dem FC Bayern die riesige Allianz-Arena im Norden der Stadt baute, die für einen Zweitligisten völlig überdimensioniert ist – und vor allem viel zu teuer. Der Präsident Karl-Heinz Wildmoser, ein patriarchalischer Grossgastronom, war bei Kioyos Fehlschuss wegen eines Schmiergeldskandals um den Bau bereits zurückgetreten – und die Nachfolger wussten nicht mehr weiter mit dem Erbe.

Deal mit dem FC Bayern

Mit dem FC Bayern wurde dann zähneknirschend ein Deal ausgehandelt: Die Bayern kauften für elf Millionen Euro die Stadionanteile von 1860. Gleichzeitig wurde ein für Zweitliga-Verhältnisse teurer Mietvertrag ausgehandelt, der die Sechziger – zusammen mit andauerndem sportlichem Misserfolg und fragwürdigen Entscheidungen in der Führung – erneut in die Knie zwingen sollte.

So standen die Sechziger Anfang 2011 erneut vor der Insolvenz, ein weiterer Deal mit dem FC Bayern platzte. Der FCB wollte dem Lokalrivalen über den Umweg der Bayerischen Landesbank einen Kredit über acht Millionen Euro gewähren, berichtete der Präsident Uli Hoeness damals der «Süddeutschen Zeitung». Doch der damalige Wirtschaftsminister Martin Zeil habe den Plan nach seiner Einschätzung verhindert.

Kurz darauf wurde bekannt, dass ein reicher, in Abu Dhabi wohnhafter Mann einsteigen will. Ismaik war damals 34 Jahre jung, aber nach eigenen Angaben durch Immobiliengeschäfte bereits zum grossen Geld gekommen. Er wurde von der Hypo Vereinsbank vermittelt – einem Grosssponsor des FC Bayern. Die Verhandlungen liefen zäh, schliesslich musste die «50+1-Regel» der Deutschen Fussball-Liga berücksichtigt werden, laut der die letzte Entscheidungsbefugnis immer bei den gewählten Vertretern des Vereins verbleiben muss.

«Der Verein verkauft seine Seele nicht, sondern er bekommt eine neue und starke Seele.», sagt Hasan Ismaik.

Ismaik strebte jedoch nach möglichst viel Macht und erwarb für 13 Millionen Euro 49 Prozent der stimmberechtigten Anteile an der KGaA. Weil plötzlich ein Finanzloch auftauchte, das Ismaik sofort stopfen musste, erhielt er darüber hinaus 11 Prozent sogenannte Vorzugsaktien. Diese bekommen laut deutschem Aktiengesetz ein Stimmrecht, wenn das Unternehmen zwei Jahre lang keine Vorzüge gewährt, etwa keine Dividende auszahlt. Mittlerweile gehören Ismaik also 60 Prozent der KGaA. Mit der «50+1-Regel» ist dies nur deshalb vereinbar, weil der Verein über die Geschäftsführungs-GmbH dem Geschäftsführer weisungsbefugt ist.

Es war also mehr vom TSV 1860 verscherbelt worden, als man damals ahnte. Beim nächsten Heimspiel untersagten die Ultras aus Protest die Unterstützung – sie wollten mit ihrem Klub lieber in der vierten Liga neu anfangen, als ihn verkauft zu sehen. Der Retter wusste, dass er den Hardcore-Fans etwas bieten musste. Er arbeitete an seinem Image und sagte, er wolle so schnell wie möglich Deutsch lernen. Kurz davor hatte er die Idee gehabt, ein komplett neues Stadion zu bauen, mit einem angeschlossenen Zoo, dessen Löwen Namen der aktuellen Spieler tragen sollten. «Ich möchte, dass der TSV 1860 in zehn Jahren auf einer Stufe mit dem FC Barcelona oder dem FC Bayern München steht», tönte er – und nahm Bezug auf die vielen Vorwürfe seiner Gegner: «Der Verein verkauft seine Seele nicht», sagte Ismaik. «Sondern er bekommt eine neue und starke Seele.»

Die Seele des Vereins, so sah Ismaik das, war nichts und niemand anderes als er selber.

Im November 2015 erschien Peter Cassalette auf der Bildfläche, ein Mann aus der Tourismusbranche, der bei seiner Vorstellung berichtete, er besitze eine grosse Sammlung an Löwen-Plüschtieren. Er trat das Präsidentenamt offenkundig mit dem Willen an, die Weisungsbefugnis über die Geschäftsführungs-GmbH zu ignorieren und Ismaik einfach machen zu lassen.

Wovon Ismaik natürlich sehr schnell profitierte.

Vitor Pereira ist seit Winter neuer Trainer im TSV 1860 München. Zuvor arbeitete er Cheftrainer bei Fenerbahce Istanbul und Olympiakos Piräus. (Bild: Maurizio Gambarini / Keystone)

Vitor Pereira ist seit Winter neuer Trainer im TSV 1860 München. Zuvor arbeitete er Cheftrainer bei Fenerbahce Istanbul und Olympiakos Piräus. (Bild: Maurizio Gambarini / Keystone)

Im Sommer kamen nicht nur die aus der Bundesliga bekannten Ivica Olic und Stefan Aigner zu Sechzig, sondern auch die Brasilianer Victor Andrade und Ribamar. Sie waren vermittelt worden von dem umstrittenen Londoner Fussball-Geschäftsmann Kia Joorabchian. Im Handelsregister tauchten Dokumente auf, die die Darlehenssummen für die Transfers offenlegten, etwa «1,88 Millionen Euro (Olic/Perdedaj)» oder «3,2 Millionen Euro (Ribamar)». Aber auch der x-te Neuanfang misslang, trotz den teuren und durchaus begabten Spielern stand Sechzig wieder weit hinten in der Tabelle. Die denkwürdige Pressekonferenz mit der Entlassung des Trainers Runjaic folgte.

Ismaik, der Kasinobesucher

Ismaik wirkt bisweilen wie ein Kasinobesucher, der immer tiefer in die Tasche greift, wenn ein Plan nicht aufgeht. Im Winter legte er erneut nach, verpflichtete den portugiesischen Trainer Vitor Pereira, der zuvor bei Fenerbahce Istanbul und Olympiakos Piräus gearbeitet hatte – sowie fünf weitere ausländische Spieler. Die fünf Siege in zehn Spielen seitdem reichten aber nicht, um sich entscheidend vom Tabellenende abzusetzen. Heute Freitag spielen die «Löwen» auswärts beim ebenfalls vom Abstieg bedrohten 1. FC Kaiserslautern. Ihr Vorsprung auf einen Abstiegsplatz beträgt drei Punkte.

Ian Ayre übernimmt den Posten als Geschäftsführer. Zuvor war er im Liverpool FC tätig. (Bild: Andreas Gebert / Keystone)

Ian Ayre übernimmt den Posten als Geschäftsführer. Zuvor war er im Liverpool FC tätig. (Bild: Andreas Gebert / Keystone)

Ein Sieg würde die Lage beruhigen und die Arbeit für den nächsten neuen, wichtigen Mitarbeiter erleichtern. Der Engländer Ian Ayre hat den unglückhaft wirkenden Geschäftsführer Power ersetzt. Nicht zufällig wurde Ayre der Öffentlichkeit nostalgieschwanger im Grünwalder Stadion vorgestellt. Ayre bringt viel Erfahrung mit, er war zuvor zehn Jahre Vorstandschef des grossen Liverpool FC. Seine Verpflichtung macht endgültig klar, dass Ismaik mit aller finanziellen Macht nach oben will. Der Aufstieg in die 1. Liga ist für kommende Saison fest eingeplant – trotz allen aktuellen Schwierigkeiten.

Aus der Geschäftsstelle ist zu hören, dass sich unter Ayre zumindest der Umgangston erheblich verbessert hat. Auch gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich die Situation mit der Presse beruhigt, die jedoch immer noch keinen Kontakt zu den Spielern hat ausser in der Interview-Zone nach einem Spiel.

Wie auch immer: Was Neuanfänge angeht, sind 1860-Fans skeptisch geworden. Bis Ende Mai ist eine Zahlung fällig, um die Lizenz für die kommende Saison zu sichern. Die 4,2 Millionen Euro, die Ismaik im vergangenen Jahr zuschiessen musste, dürften im Vergleich damit lächerlich wenig gewesen sein. Und es wäre vom Geschäftsmann Ismaik geradezu idealistisch, im Gegenzug keine weiteren Anteile am Verein zu verlangen.

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