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Integration auf dem Acker

Friedemann Borchert13. Februar 2016

Viele Migranten werden auf Dauer in Deutschland bleiben. Sie zu integrieren wird die Herausforderung der nächsten Jahre und Jahrzehnte sein. Private Garten-Projekte für Flüchtlinge zeigen, wie Integration aussehen kann.

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Acht Menschen sitzen gut gelaunt an einem Tisch im Garten (Foto: Jan van Meegern)
Entspanntes Zusammensein im "Miteinander-Garten Wurzel Werk" in KevelaerBild: Jan van Meegern

Was tun mit einem völlig zugewucherten, verwilderten Familiengrundstück? "Daraus mache ich einen Gemeinschaftsgarten, und zwar einen für Flüchtlinge", sagte sich Jan van Meegern, Betriebswirt aus dem niederrheinischen Kevelaer. "Dazu mussten wir Hecken beschneiden, Brombeersträucher roden, den Boden umpflügen, einen Holzzaun errichten und Hochbeete aufbauen." Hinzu kamen ein Grillplatz, das Gerätehaus aus Holz und ein Standplatz für Bienenvölker vom Imkerverein. Alles von Hand errichtet. Für die vielen Helfer und Flüchtlinge gab es also eine Menge zu tun.

Startschuss für den "Miteinander-Garten Wurzel Werk" in Kevelaer war im Februar 2015. Und direkt mit dabei war Nuor Aldalati. Gärtnerische Erfahrungen hatte der Syrer bisher nicht. "Ich stamme aus Damaskus und besaß dort einen Betrieb für Elektrotechnik, bis ich wegen des Krieges flüchten musste", verrät der 52-Jährige. Mit Freund Omar war er im vergangenen Sommer fast täglich im Garten, um nach dem Rechten zu sehen und die Hochbeete zu gießen. Fünf sind es bisher, bis zu fünfzehn weitere sollen im Lauf des Frühjahrs dazukommen, denn in diesem Jahr soll im Gemeinschaftsgarten so richtig durchgestartet werden.

Nuor Aldalati und Jan van Meegern stehen im "Miteinander-Garten Wurzel Werk" in Kevelaer an Hochbeeten. (Foto: DW/F.Borchert)
Nuor Aldalati (links) und Jan van Meegern wollen im "Miteinander-Garten Wurzel Werk" in Kevelaer noch fünfzehn weitere Hochbeete aufbauenBild: DW/F.Borchert

Dazu hat Jan van Meegern mit Spendengeldern bereits eine ganze Menge Holz besorgt. "Die Hochbeete sollen groß sein, einen Meter fünfzig mal zwei Meter fünfzig, so dass man da richtig wirtschaften kann", sagt der 29-Jährige. Und der Plan ist, dass sich immer ein Flüchtling und ein Unterstützer gemeinsam um ein Hochbeet kümmern. So kommen beide Seiten automatisch in Kontakt und übernehmen zusammen Verantwortung. Rund ein Dutzend Unterstützer hat van Meegern bisher gewonnen, und noch mehr Flüchtlinge haben bereits mitgewirkt. Im Moment sei die Fluktuation allerdings groß. Denn sobald der Aufenthaltsstatus gesichert sei, zögen Flüchtlinge in größere Städte. In Kevelaer seien kaum geeignete Mietwohnungen zu finden.

Vorbild Townships in Kapstadt

Wie aber kommt ein Endzwanziger ohne jede gärtnerische Erfahrung zu so einer Projektidee? "Initialzündung war der Besuch in Kapstadt, Südafrika, in den dortigen Townships", so Jan van Meegern. Dort habe er gesehen, wie gemeinsam Gemüse angepflanzt wird, um die Bevölkerung zu versorgen und Überschüsse zu verkaufen. Er habe sich gefragt, wie ernähren sich denn hier die Flüchtlinge mit dem wenigen Geld in der Tasche? Der Miteinander-Garten in Kevelaer solle nicht nur integrativ wirken, sondern auch Nahrungsmittel wie Obst, Salat und Gemüse zur Verfügung stellen.

Arbeiten am Fundament für das Gerätehaus im "Miteinander-Garten Wurzel Werk" in Kevelaer (Foto: privat / Jan van Meegern)
Viele Helfer legen das Fundament für das GerätehausBild: Jan van Meegern

Studenten gründen Gemeinschaftsgarten

Schätzungen gehen von rund 500 Gemeinschaftsgärten in Deutschland aus, die sich überwiegend als Teil der Urban-Gardening-Bewegung verstehen. Vor allem städtische Brachflächen sollen dabei gärtnerisch genutzt werden. Viele haben das Attribut "interkulturell" oder "international". Migranten und Flüchtlinge sind nicht nur ausdrücklich erwünscht, sondern werden aktiv angeworben.

Und es kommen weitere Gärten dazu, wie zum Beispiel in Bielefeld. Dort wollen Aktivisten vom Studentennetzwerk Enactus noch in diesem Frühjahr im Innenhof eines großen Flüchtlingsheimes einen Gemeinschaftsgarten errichten. "Die Flüchtlinge sind gelangweilt, die wollen eine Beschäftigung", sagt Ivan Logunov von Enactus. Es sollen kleine Beete geschaffen werden, wo momentan nur Rasen wächst, dazu einige Hochbeete; Sitzgelegenheiten und Grillmöglichkeiten inklusive. Langfristig sei die Betreuung des Projektes durch einen Sozialarbeiter und einen Caritas-Mitarbeiter gesichert, so Logunov.

Flüchtlinge vermissten die Gärten in ihrer Heimat

Als Pioniere unter den Gemeinschaftsgärten in Deutschland gelten die "Internationalen Gärten Göttingen" - gegründet 1996 von zehn nichtdeutschen und zwei deutschen Familien. Einer der Beweggründe: Viele der Zugezogenen vermissten die Gärten in ihrer Heimat. Es ging aber auch um Nachbarschaftshilfe, Familienbetreuung und das gemeinsame Feiern von Festen. Mann der ersten Stunde war Agraringenieur Tassew Shimeles, dem die Integration von Flüchtlingen ein besonderes Anliegen ist: "Ich bin selber 1980 als Flüchtling aus Äthiopien nach Deutschland gekommen und weiß also, wie das ist." 62 Mitglieder sind heute im Trägerverein, so der Vorsitzende Shimeles. Rund 200 Menschen nutzten die Gärten regelmäßig. Alles in allem gebe es im Verein "eine Kompetenz in 19 Sprachen".

In Gemeinschaftsgärten können Flüchtlinge ihr eigenes Gemüse anbauen (Foto: picture-alliance/dpa/M.Reichel)
In Gemeinschaftsgärten können Flüchtlinge ihr eigenes Gemüse anbauenBild: picture-alliance/dpa/M. Reichel

Wie aber auf den starken Zuzug von Flüchtlingen reagieren? Erst kürzlich habe es den Vereinsbeschluss gegeben, gemeinsam aktiv zu werden. Interessenten seien inzwischen auf Gruppen verteilt worden: Ingenieure aus Libyen sind in einer Handwerker-Gruppe untergekommen, einige Syrer werden das Imkern erlernen und Frauen haben sich der Kochgruppe angeschlossen. "Wir werden auch Kapazitäten frei machen für weitere Garten-Parzellen. Außerdem haben sich sechs Mitglieder bereit erklärt, in Flüchtlingsheimen zu übersetzen und Migranten bei Behörden- und Arztbesuchen zu begleiten", sagt Shimeles. Alles geschehe ehrenamtlich, was allerdings auch eine Schwäche sei. Der Elan könne auch mal versiegen: "Was ist, wenn die Begeisterung nachlässt und die Lust, sich zu engagieren?"

Unterstützung durch Hauptamtliche erhofft

Deshalb habe man Förderanträge bei Stiftungen, beim Land und bei der Kommune gestellt. Die Hoffnung sei, Hauptamtliche einstellen zu können, die sich nachhaltig um die Integration von Neuankömmlingen kümmern. "Gerade die Kommunen profitieren von unserem Engagement am meisten", sagt der 60-Jährige und erhofft sich entsprechende Unterstützung.

Werden Gelder bewilligt, soll es unter anderem kunsthandwerkliche Kurse für junge, beschäftigungslose Männer geben. Man sehe Göttingen als Pilotprojekt, so Tassew Shimeles. Ist erst einmal alles ans Laufen gekommen, könne man anderen Gemeinschaftsgärten als eine Art Blaupause dienen, wie öffentliche Gelder in sinnvolle Integrationsarbeit zu investieren sind. Ideen hätten Shimeles und seine Mitstreiter sicherlich genug.