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Revolutionäre Die letzte Guerrillera

Die Geschichte von Tamara Bunke, die an der Seite Ché Guevaras in Bolivien starb, ist der Stoff, aus dem Bücher und Hollywood-Filme gemacht werden. Aber die 90-jährige Mutter der Partisanin bekämpft jeden, der die Legende ihrer Tochter befleckt.

An einem Vormittag im Oktober 1967 drückte ein hoher Beamter des kubanischen Innenministeriums Nadja Bunke einen Zettel in die Hand, auf dem stand, dass ihre Tochter tot sei. Den Heldentod sei sie gestorben, sagte der Comandante. Nadja Bunke fragte nicht weiter. Es gab ja keine Antworten. Sechs Jahre lang hatte sie keine Antworten bekommen. Jetzt war ihre Tochter tot, und sie wusste nichts. Es war ganz still in dem alten Gebäude in Havanna. Nadja Bunke weiß noch, dass sie danach Mittagessen gingen, weil Essen wichtig ist. Sicher habe sie auch geweint, sagt sie. Sicher. Als sie wieder in Berlin war, ging Nadja Bunke gleich zum "Neuen Deutschland" und ließ eine Todesanzeige in die Zeitung setzen. Man wollte sie abwimmeln, weil es keine Erfahrungen mit privaten Todesanzeigen für Partisanen gab, aber seltsamerweise schaffte das niemand. Am 3. November 1967 erschien die Anzeige. "Erst jetzt wurde es zur schmerzlichen Gewissheit, dass unsere liebe, tapfere Tochter, Schwester, Nichte, und Schwägerin, Genossin Tamara Bunke, Guerrillera ,Tania', geb. am 19. 11. 1937 in Buenos Aires, am 31. 8. 1967 am Rio Grande in Bolivien gefallen ist. Sie hat ihr junges Leben dem revolutionären Kampf um die Freiheit und Unabhängigkeit der Völker Lateinamerikas gewidmet und geopfert. Ihr Andenken werden wir stets in Ehren halten." 34 Jahre später wartet Christian Schertz in seinem großen, hellen Büro am Ku'damm auf die Mutter der Partisanin. Er ist einer der besten Medienanwälte Deutschlands. Sein Büro ist mit Fotos von Jim Rakete geschmückt, es gibt Bruce Springsteen und Emmanuelle Béart, und es gibt ein riesiges Poster des "Time"-Titels, der erschien, nachdem John Lennon erschossen worden war. Schertz mag Mythen wie auch Mick Jagger, Robert Redford und fast alle, die an dieser Geschichte beteiligt sind. Anwälte hängen sich wie Journalisten, Politiker und Regisseure an Leidenschaften anderer. Tamara Bunke starb an der Seite Ché Guevaras. Schertz vertritt seit Jahren die Mutter der toten Guerrillera. Nadja Bunke ist 90 Jahre alt und betritt das lichte Büro wie einen fremden Planeten. Sie scheint eine lange Reise bis nach Charlottenburg hinter sich zu haben. Es ist warm draußen, aber sie trägt eine Mütze, eine Fellweste und einen Schal, der aussieht, als würde er kratzen. Ihre Augen verschwimmen hinter großen, milchigen Brillengläsern, sie läuft langsam und beginnt bereits auf dem Weg zu ihrem Stuhl zu reden. Sie setzt die Mütze nicht ab. Sie redet von Verrat und Verleumdung, sie nennt Namen, ohne sie zu erklären, sie springt über Kontinente und Gesellschaftsordnungen. Sie spricht ihr nie endendes Schlussplädoyer. Nadja Bunke kommt aus einer jüdischen Familie in Odessa, sie lernte in Berlin den Arbeitersohn und Sportlehrer Erich Bunke kennen. 1935 floh sie mit ihm vor den Nazis nach Argentinien, wo 1937 ihre Tochter Tamara geboren wurde. Die Bunkes waren Kommunisten. 1952 kehrte die Familie in die DDR zurück, in die neu gegründete Stalinstadt, die später in Eisenhüttenstadt umbenannt wurde. Erich Bunke arbeitete wieder als Lehrer. Die Eltern fühlten sich endlich angekommen, Tamara Bunke vermisste Argentinien, die Musik, die Sprache, die Mentalität. Ihren Antrag, in die SED aufgenommen zu werden, begründete Tamara mit dem Wunsch, später in Argentinien für die Sache der Arbeiterklasse zu kämpfen. Sie schrieb sich mit jungen Lateinamerikanern und begann 1958 ein Romanistikstudium an der Humboldt-Universität. Sie fieberte mit den kubanischen Revolutionären und lernte 1960 Ché Guevara kennen, der als Minister für Industrien die DDR besuchte. Sie dolmetschte in Leipzig für ihn und war fasziniert. Er stammte aus Argentinien wie sie. Ein kubanischer Argentinier. Im Mai 1961 flog sie als Dolmetscherin mit dem kubanischen Nationalballett nach Kuba und kam nie wieder. Sie schrieb ein paar Briefe an ihre Eltern. Nadja Bunke bewahrt 39 Briefe von Tamara in einem Kästchen auf. Im letzten hatte die Tochter geschrieben, dass sie genügend esse und mehr schlafe als früher. "Ich weiß, dass Ihr etwas Geduld haben werdet und dass in diesem Fall Ihr sie mit 'großer Freude' haben werdet, weil Ihr wisst, dass ich meine Pflicht erfülle, und ich weiß, dass es für Euch, ebenso wie für mich, immer das Erste ist." Ihre Tochter hatte ihre Pflicht offenbar erfüllt. Was aber war ihre Pflicht, die Pflicht der Mutter? Nadja Bunke begann, ihre Tochter zu suchen. Sie sammelte Informationen über das unbekannte Leben. Sie erfuhr, dass Tamara seit 1963 für den kubanischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Ihre Tochter hatte den Agentennamen "Tania" bekommen. Sie war mit verschiedenen Namen, Frisuren, Pässen durch Westeuropa gereist. Sie hatte auch Berlin noch mal besucht, befand sich ganz in der Nähe des Hauses ihrer Eltern, ohne sich zu melden. Schließlich war sie als Laura Gutiérrez Bauer nach Bolivien gefahren. Tamara Bunke sollte dort Verbindungen zu Regierungskreisen knüpfen und herausfinden, ob die Arbeiter- und Bauernschaft bereit sei für den revolutionären Aufstand. Zwei Jahre lang lebte sie hier unentdeckt. Sie arbeitete für das Informationsbüro im Präsidentenpalast, gab den Kindern des Präsidenten Deutschunterricht, knüpfte Kontakte zu Männern der feinen Gesellschaft. Sie heiratete einen Einheimischen, um die bolivianische Staatsangehörigkeit zu erlangen. 1966 traf endlich Ché Guevara mit seinen Getreuen ein, um im bolivianischen Dschungel die Revolution zu entfachen. Von da an lief nichts mehr. Ché Guevara, der schon im Kongo beim Revolutionsexport gescheitert war, zerstritt sich mit dem Führer der bolivianischen Kommunisten. Er beauftragte Tamara Bunke, in La Paz zu bleiben, aber sie wollte endlich in den Dschungel, kämpfen. Tamara Bunkes Identität flog bald auf. Ob sie sich selbst verriet oder verraten wurde, ist unklar. Sie konnte nicht mehr zurück. In zwei kleinen Gruppen kreisten die Partisanen ziellos durch den Urwald. Ab und zu starb jemand, ab und zu desertierte jemand. Ché Guevara war in der ersten Gruppe, Tamara Bunke in der zweiten. Es heißt, sie sei zum Schluss sehr krank gewesen. Am 31. August geriet Tamara Bunkes Gruppe in eine Falle. Sie wurden erschossen, "Tanias" Leiche trieb tagelang auf dem Rio Grande. Sechs Wochen später starb auch Ché Guevara. Die Mörder verscharrten die Toten irgendwo. Das war alles. Schon damals wuchsen zwischen den dünnen Nachrichten die Widersprüche. Ein Stasi-Offizier namens Günter Männel, der in den Westen gegangen war, behauptete in der Zeitung, dass Tamara Bunke KGB-Agentin und Geliebte von Ché Guevara gewesen sei. In Bolivien hieß es, Ché Guevara sei verraten worden, weil seine Ideen die sowjetischen Parteiführer gestört hätten. Nadja Bunke begriff, dass ihre Tochter für ein Mädchen aus Stalinstadt ein ziemlich schwieriges Heldenleben geführt hatte. Der DDR-Filmemacher Konrad Wolf hat zweimal versucht, einen Film über das Leben von Tamara Bunke zu drehen. Zweimal ist er an der SED gescheitert. Niemand wusste, wie man mit Tamara Bunke umgehen sollte. Sie schien eine zerbrechliche Heldin zu sein. Am besten, man ließ sie unberührt. Nadja Bunke ahnte, was ihre Pflicht war. Sie musste das Andenken ihrer Tochter beschützen. Sie kündigte in ihrem Betrieb, sie sagte dem Direktor, dass sie jetzt andere Aufgaben habe. Der Kampf war nicht zu Ende, Nadja Bunke nahm die Fahne auf. Eberhard Panitz war so was wie ihr erstes Opfer. Er war ein erfolgreicher DDR-Schriftsteller, der Tamara Bunke bei einer Kuba-Reise getroffen hatte. Sie bestiegen zusammen einen Berg, den Pico Turquino, es gibt ein paar Fotos von den beiden. Panitz glaubt, dass sie ein Auge auf ihn geworfen hatte. "Ich kannte sie ja länger, als Ché Guevara sie kannte", sagt er, was ein bemerkenswerter Satz ist. Und vielleicht sein ganzes Problem umreißt. Später schrieb er ein Buch über Tamara Bunke. Es heißt "Der Weg zum Rio Grande". Nadja Bunke versuchte, die Veröffentlichung zu verhindern. Mit allen Mitteln. Der alte Schriftsteller sitzt in seinem hübschen Häuschen in Berlin-Grünau. Er begreift nach all den Jahren, nach all den Auseinandersetzungen mit Nadja Bunke immer noch nicht, woher deren Entschlossenheit kommt. Er holt vergilbten Schriftwechsel auf krissligem, holzhaltigem DDR-Papier hervor. Seitenlange Einschätzungen von Nadja Bunke, unnachgiebig, gnadenlos, ohne Ende. Sie sammelte ihre Argumente in langen Listen und schrieb immer mit vielen Durchschlägen. Sie wachte wie eine Buchhalterin über das Leben Tamaras. Panitz schaut auf einen Beschwerdekatalog mit 35 Punkten, den Nadja Bunke 1973 in ihre Schreibmaschine hämmerte. Punkt 25: Ich habe mit dem Manuskript von Eberhard Panitz nichts zu tun. "Es war ziemlich unüblich in der DDR, dass man Prozesse führte. Normalerweise einigte man sich so. Unter Genossen", sagt Panitz. "Ich habe immer versucht, die Frau zu verstehen. Sie war ja die Mutter." In seinem Arbeitszimmer stapeln sich die unverkäuflichen Exemplare seines letzten Romans. Er hat "Der Weg zum Rio Grande" noch mal als kleine Broschüre in einem winzigen Verlag namens GNN herausgebracht. Es ist nur ein schmales rotes Heft, das unansehnlich aussieht wie eine Broschüre mit dem Rechenschaftsbericht eines SED-Parteitags. Aber auch das hat Nadja Bunke entdeckt. "Er hat den Satz reinschreiben lassen, dass sein Buch sich auf die Informationen der Eltern stütze", sagt Nadja Bunke. "Das musste er zurücknehmen. Er denkt, ich bin eine alte Frau, die sich an nichts mehr erinnert. Aber da liegt er falsch." Das Buch "Tania. Die Frau, die Ché Guevara liebte" des uruguayischen Journalisten José Zapata, das 1997 im Aufbau- Verlag erschien, hat Nadja Bunke noch im selben Jahr von Schertz per einstweiliger Verfügung aus dem Verkehr ziehen lassen. Zapata hatte das Bild einer berechnenden Mehrfachagentin Tamara Bunke gezeichnet, die sich durch die Betten der bolivianischen High Society schlief und am Ende Ché Guevara ans Messer lieferte. Nadja Bunke führte an 14 Punkten vor, dass Zapata schlecht recherchiert habe. Punkt 9: Es sei unzutreffend, dass Tamara Bunke Hass auf ihre Eltern gehabt habe. Punkt 13: Es sei unzutreffend, dass Tamara Bunke dreifache Agentin für KGB, Staatssicherheit und den kubanischen Geheimdienst gewesen sei. Nadja Bunke hatte sich im Dezember 1997 auf den Weg nach Moskau gemacht, um aus dem Pressebüro des russischen Auslandsaufklärungsdienstes folgende Erklärung abzuholen: "Da wir jedoch berücksichtigen, dass es sich hier um Ihre geliebte Tochter handelt, die sich leider nicht selbst verteidigen kann, versichern wir Ihnen, dass der Auslandsaufklärungsdienst keinerlei Materialien und Dokumente besitzt, welche die Version der Zusammenarbeit von Tamara Bunke mit der Auslandsaufklärung des KGB bestätigen." Mit etwas kippliger Handschrift versicherte ihr auch noch Nikolai Sergejewitsch Leonow, pensionierter General der sowjetischen Auslandsaufklärung, dass "unser Dienst keinerlei Beziehungen mit Tamara Bunke (Partisanin Tania) in Verbindung mit Ché Guevara hatte". Die Gauck-Behörde versicherte ihr, dass zu ihrer Tochter "keine Hinweise auf Unterlagen vorliegen". Der Aufbau-Verlag nahm das Buch vom Markt. Vor kurzem hat Nadja Bunke herausbekommen, dass es eine spanische Version des Zapata-Buches gibt. Auch sie ist inzwischen verboten.Sie kennt sogar die Buchseite, auf der der Hamburger Journalist Volker Skierka in seiner Fidel-Castro-Biografie die Legende ihrer Tochter befleckte. Es ist die Seite 233. Sie hat die Stelle gefunden, bevor das Buch erschien. Irgendwie ist sie an die Druckfahnen gekommen. Skierka hatte geschrieben, dass Tamara eine Affäre mit Ché Guevara hatte und für den KGB arbeitete. Ihre Tochter war tot. Nadja Bunke wusste nichts. Nur eins: Der Kampf war nicht zu Ende, sie nahm die Fahne auf. Die Mutter erzwang eine Unterlassungserklärung, und als Skierka vor ein paar Monaten in Berlin ein Gespräch mit Ché Guevaras Tochter moderieren sollte, lud ihn der Veranstalter wieder aus, weil sich Nadja Bunke über den Journalisten bei der kubanischen Botschaft beschwert hatte. Skierka hat die Unterlassungserklärung, der er sich schnell unterwerfen musste, inzwischen wieder zurückgezogen. Er sagt, er habe neue Beweise. Vielleicht gibt es bald einen Prozess. Schertz sagt, es sei eine Schande, die alte Dame vor Gericht zu zerren. Zu DDR-Zeiten gab es über 200 Jugendclubs, Schulen und Brigaden, die den Namen Tamara Bunke trugen. Sie war eine Heldin. Heute gibt es nur noch einen Club, und Tamara Bunke ist nicht mehr unberührbar. Jeder tatscht sie an. Nadja Bunke hat im hohen Alter noch den Namen von Mick Jagger kennen gelernt. Auch jemand, der einen Film machen will. Wie damals Konnie Wolf. Nur mit längeren Haaren. Sie hat Zeitungsausschnitte in ihren Ordnern, die sagen, dass sowohl Robert Redfords Filmfirma Wildwood Enterprises als auch Mick Jaggers Filmfirma Jagged Films an dem Stoff interessiert sind. Nadja Bunke ist viel gereist im Auftrag ihrer Tochter. Einmal im Jahr fährt sie nach Kuba, wo Tamara Bunke seit 1998 begraben ist. In Hollywood aber war Nadja Bunke noch nie. Es würde sie verwirren, denn hier ist jedes Leben nur Material. Alex Butler sitzt in einem flachen, pastellfarbenen Haus auf dem Gelände der Filmfirma Paramount in Los Angeles. Er hat die Füße auf einem kleinen Schränkchen abgelegt. Er trägt weiße Leinenhosen und Slipper, keine Strümpfe. Durch das kleine, freundliche Büro wieselt ein winziger Hund. Butler ist ein Produzent, der vor fünf Jahren auf die Idee kam, irgendwas über Ché Guevara zu machen. Damals fand man die Knochen des Revolutionärs, und es gab wieder mal großes Interesse an dem Freiheitskämpfer. "Die einen wollen erzählen, wie Ché Guevara als junger Mann mit dem Motorrad durch Argentinien fährt, noch bevor er Fidel trifft. Das ist das Roadmovie. Und dann gibt's das Buddymovie. Ché und Fidel. Wir aber wollten einen romantischen Film. Wir schauen uns Ché Guevara durch die Augen einer Frau an. Er ist nicht die Hauptfigur. Unsere Hauptrolle spielt eine Frau. Tania." Butler erzählt den Plot eines Films. Er redet, als wolle er Tamara Bunkes Leben verkaufen. "Also. Sie ist in Argentinien geboren. Im wunderbaren, sonnigen, sexy Argentinien, wohin ihre Eltern fliehen mussten vor den Nazis. Als sie ein Teenager war, sagen ihre Eltern: Wir gehen jetzt zurück nach Deutschland, um dich auf den richtigen Weg zu bringen. Und, nebenbei, wir reden hier von Ostdeutschland. Und so kommt sie aus sexy Argentinien direkt ins kalte, schlecht gelaunte Leipzig oder wo immer sie auch hinging, egal, ein niederschmetternder Ort. Die Stasi lässt nicht lange auf sich warten, klar, Tania ist zweisprachig, sie soll ein Auge auf die lateinamerikanischen Studenten werfen. Sie geht mit dem einen oder anderen ins Bett, macht diese Mata-Hari-Nummer. Ziemlich deprimierend für ein junges Mädchen. Aber da kommt Ché Guevara ins Land. Und Ché Guevara war die aufregende Seite des Sozialismus. Er war Sex. Und sie trifft ihn, und es wirft sie um. Ich meine, da stehen all diese Parteibürokraten in ihren billigen Anzügen, und plötzlich kommen die Kubaner an, sie stecken in Kampfuniformen, sie haben Bärte, Barette und rauchen Zigarren. So. Wenig später geht sie nach Kuba, da passiert es. Sie trifft Ché wieder, und er bittet sie, mit ihm die Revolution in die Welt zu tragen. Sie geht ins beschissene Bolivien, heiratet zum Schein einen einheimischen Jungen, sie hat inzwischen schon drei oder vier Identitäten und wartet auf Ché. Zwei Jahre lang ganz allein. Eine junge Revolutionärin zwischen all diesen rechten Bolivianern. Dann kommt Ché, geht in den Dschungel, verrennt sich. Und im Finale entscheidet sich diese Mata Hari, diese aufregende, außerordentliche Frau, an seiner Seite zu sterben. Und das Wahnsinnige ist: Wir müssen uns fast nichts ausdenken. Ich würde gern festschreiben, dass es ihre Entscheidung ist, im Dschungel bei Ché zu bleiben. Es könnte viele Gründe geben. Ich finde jede Menge Bolivianer, die mir sagen, sie sei zum Schluss schwanger gewesen. Oh. Da frage ich mich, von wem?" Man kann sich vorstellen, wie die Ohren der Repräsentanten von der Produktionsfirma Warner Brothers bei den ersten Abendessen glühten. Interessant, sagten sie. Bringen Sie uns einen erstklassigen Drehbuchschreiber. Butler brachte ihnen seinen Freund Deric Washburn, der am Drehbuch für "Die durch die Hölle gehen" mitgeschrieben hatte und dafür eine Oscar-Nominierung bekam. Gut, sagten die Produzenten von Warner. Bringen Sie uns einen erstklassigen Regisseur. Sie brachten Michael Radford, der den Film "Il Postino" gemacht hatte. Warner sagte okay, aber dann brauchen wir noch einen Star. Sie trafen sich mit Antonio Banderas, der Interesse zeigte an der Rolle von Ché Guevara. Es gab Geld. Es hieß, Winona Ryder sei als Tamara Bunke im Gespräch. Es wurden zwei Drehbuchentwürfe erarbeitet. Es sah gut aus, aber dann verlor das Projekt ein wenig an Tempo. "Die Studiojungs in den Anzügen kennen doch von Ché Guevara nicht mehr als das Poster. Die haben keine Überzeugungen. Wir schauen mehr nach europäischen Geldgebern. Deutschland ist ein interessanter Markt. Man muss Geduld haben. Es ist ein guter Stoff. Mick hängt auch dran. Wenn er hier ist, so fünf-, sechsmal im Jahr, reden wir immer über das Projekt Tania. Ché Guevara ist ein Held seiner Generation. Mick Jagger ist ein sehr politischer Mensch. Sie sind ja beide Ikonen, ein Rockstar und ein Polit-Star", sagt Alex Butler. Mick und Ché. Irgendwie passt das alles zusammen. Butler hatte auch mal die Idee, Tamara von Katarina Witt spielen zu lassen. Weil die ja auch aus dem Osten kommt. Alles fließt. Das Leben, das Nadja Bunke so sorgsam zusammenzurrte, löst sich hier auf. Draußen scheint die Sonne auf die Kulisse der alten Cowboy-Serie "Rauchende Colts", die jetzt ein Restaurant ist. Man kann darüber nachdenken, ob die Attentate in New York die Situation für romantische Terroristenfilme eher verschlechtert oder verbessert haben. Oder man genießt den Tag. Ihr Leben liest sich wie ein Drehbuch - man kann sich vorstellen, wie den Leuten von Warner Brothers die Ohren glühten. Seit ein paar Monaten diskutiert man in Amerika über das Recht Hollywoods, im wahren Leben herumzubasteln. Anlass war der Film "A Beautiful Mind", in dem Russell Crowe eine freie, leichte Variante des schizophrenen Nobelpreisträgers John Forbes Nash Jr. spielt. Das ist keine schlechte Nachricht für den Anwalt in Charlottenburg. Schertz hat in Kalifornien recherchiert, dass das Persönlichkeitsrecht dort gar nicht so anders gehandhabt wird. Er will kein Geld mit dem Fall verdienen, sagt er. Er will, dass sie die Wahrheit erzählen. Die Wahrheit. Nadja Bunke sitzt neben ihrer kleinen Einbauküche. Das Glas der Durchreiche ist braungelb geriffelt. Sie ist in eine kleinere Wohnung gezogen. Ihr Mann starb vor ein paar Jahren. Zu viel Platz lenkt nur ab. Die Schrankwand ist voll gestopft mit den Dokumenten ihrer Tochter. Überall gibt es Gemälde von Tania la Guerrillera. Sie hängen an der Wand, stehen auf der Erde, im Flur, auf dem Sofa. Es gibt Ehrenteller, Wandteppiche und Gedenkmedaillen. Wie soll man so was wegschmeißen. Es stapeln sich das "Neue Deutschland" und die kubanische "Granma", die beiden einzigen Zeitungen, die sie liest. Nadja Bunke hat auf zwei Teller Rosinenbrot gelegt, es gibt Johannisbeermarmelade und winzige Gläschen mit Wodka. Vorm Fenster steht der Berliner Fernsehturm. Sie erzählt über ihre Mutter und den Vater, der verbannt wurde. Von der Zeit in Odessa, wo sie hin und her zogen, weil ihr Vater, der an der Revolution 1905 beteiligt war, gesucht wurde. Das Revolutionäre lag in der Familie. Sie hält das Marmeladenbrot in der Hand, will abbeißen, aber dann legt sie es doch wieder hin. Manchmal schaut sie hoch, um kurz zu sehen, wer dort eigentlich sitzt. Als erwachte sie aus einem Traum. Beim letzten Gespräch saß sie in einem kleinen Zeuthener Eiscafé fünf Stunden lang vor Palatschinken und einer Tasse Tee. Essen ist immer noch wichtig, aber sie hat nicht mehr viel Zeit. Im Herbst 1967, als sie noch nicht wusste, dass ihre Tochter tot war, bekam sie vom Kubanischen Institut für Völkerfreundschaft einen Ausschnitt aus der bolivianischen Zeitung "El Diario" zugeschickt. In dem Ausschnitt posierte der Präsident René Barrientos neben der Leiche einer Agentin, einer Frau namens Laura Bauer Gutiérrez. Daneben war der bolivianische Pass der Toten abgebildet. Es war Bolivien, es war ein fremder Name, ein fremdes Gesicht. Aber Nadja Bunke fiel ein, dass ein hoher Offizier des kubanischen Sicherheitsdienstes ihr gesagt hatte: Wenn es schlechte Nachrichten gibt, erfahren sie es. Dieser Zeitungsausschnitt war die Nachricht. Es war abends. Ihr Mann lag schon nebenan im Schlafzimmer. Sie hat die Zeitung vor ihm versteckt. Vielleicht hielt sie ihn für zu schwach. Am nächsten Tag kaufte sie sich einen schwarzen Mantel. "Die Mutter ist wohl so eine gute, alte ostdeutsche Kommunistin", sagt Hollywood-Produzent Butler nach dem Mittagessen. Er hat eine einfachen Espresso in der Hand, in dem ein Zitronenfitzelchen schwimmt. "Richtiger Hardcore. Sie ist noch gut beieinander, sagen Sie? Na, vermutlich hält sie die Story ihrer Tochter am Leben, diese spannende Geschichte." Er bezahlt, lobt das Tattoo der Kellnerin und blinzelt in den wolkenlosen Himmel über Los Angeles.