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Begegnung mit dem Wasserbüffel

Der Zoo Berlin fördert mit dem Ludwig Armbruster Fellowship Doktorandinnen und Doktoranden der Hebrew University of Jerusalem mit einem Stipendium für einen Aufenthalt an der Freien Universität – auch ein Besuch im Zoo ist Teil des Programms

18.07.2018

Stipendiat Tuvia Singer macht beim Zoorundgang Bekanntschaft mit einem jungen Wasserbüffel. Die Tour ist Teil des vom Zoo Berlin geförderten Armbruster Fellowship, das Doktoranden der Hebrew University einen Forschungsaufenthalt in Dahlem ermöglicht.

Stipendiat Tuvia Singer macht beim Zoorundgang Bekanntschaft mit einem jungen Wasserbüffel. Die Tour ist Teil des vom Zoo Berlin geförderten Armbruster Fellowship, das Doktoranden der Hebrew University einen Forschungsaufenthalt in Dahlem ermöglicht.
Bildquelle: Frederic Schweizer

Es gibt nur wenige Besprechungsräume, von denen aus man einen Elefanten beobachten kann. Der Sitzungsraum im Verwaltungsgebäude des Berliner Zoos grenzt direkt an das Elefantengehege und so können Hilla Lavie und Tuvia Singer bei ihrem Treffen mit dem Zoodirektor und promovierten Veterinärmediziner Andreas Knieriem durch das Fenster auch den Elefantenbullen Victor, geboren 1993 im Zoo von Ramat Gan in Israel, bei seinem bedächtigen Gang beobachten.

Hilla Lavie und Tuvia Singer sind zwei von zurzeit insgesamt vier „Armbruster Fellows“ an der Freien Universität Berlin, gefördert durch den Zoo Berlin. Das Programm unterstützt Doktorandinnen und Doktoranden der Hebrew University of Jerusalem, die an der Freien Universität Berlin einen Teil ihrer Promotion verbringen wollen. Drei bis zwölf Monate können Promovierende aus den Fächern Veterinärmedizin, Biologie, Ethik oder Geschichte in Berlin forschen und – auch das ist eine Besonderheit – ein Besuch im Zoo ist Teil des Programms.

Das Stipendium wurde 2015 – im 50. Jubiläumsjahr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel – eingerichtet. Es erinnert an den Biologen und Bienenforscher Ludwig Armbruster (1886-1973), der an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität lehrte – bis er 1934 entlassen wurde, weil er nicht mit den Nationalsozialisten kooperieren wollte. Armbruster unterhielt zudem Beziehungen mit jüdischen Wissenschaftlern in Deutschland wie im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina. Erst 2007 wurde er rehabilitiert.

Die israelischen Fellows Tuvia Singer (li.) und Hilla Lavie (3.v.l.) mit Zoodirektor Andreas Knieriem (2.v.l.), dem Historiker Clemens Maier-Wolthausen (re.) und Judith Winkler vom Center for International Cooperation. Im Hintergrund: Elefant Victor.

Die israelischen Fellows Tuvia Singer (li.) und Hilla Lavie (3.v.l.) mit Zoodirektor Andreas Knieriem (2.v.l.), dem Historiker Clemens Maier-Wolthausen (re.) und Judith Winkler vom Center for International Cooperation. Im Hintergrund: Elefant Victor.
Bildquelle: Frederic Schweizer

Bisher haben neun Doktorandinnen und Doktoranden an dem Programm teilgenommen, einem von vielen Kooperationsformaten im Rahmen der strategischen Partnerschaft der Freien Universität mit der Hebrew University of Jerusalem: „Die gemeinsame Nachwuchsförderung ist ein zentraler Bestandteil der Kooperation“, erklärt Judith Winkler, die im Center for International Cooperation der Freien Universität für die Koordination der Partnerschaft verantwortlich ist und die Fellows auf dem Zoorundgang begleitet.

„Die Förderung des Zoos ermöglicht es Doktorandinnen und Doktoranden der Hebrew University, hier zu forschen und Kontakte zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Freien Universität zu knüpfen.“

Der Berliner Zoo stelle sich mit der Förderung des Stipendiums seiner gesellschaftlichen Verantwortung, erklärt Zoodirektor Andreas Knieriem. „Der Zoo Berlin war immer im Zentrum der Gesellschaft – im Guten wie im Schlechten.“ So passte sich die damalige Zooleitung dem neuen nationalsozialistischen Regime bedingungslos an und drängte jüdische Aufsichtsratsmitglieder bis 1936 aus dem Leitungsgremium der Zoo AG. Der Zoo profitierte in einigen Fällen als Zwischenhändler auch vom erzwungenen Verkauf der Aktien jüdischer Aktionäre.

„Der Zoo Berlin war immer im Zentrum der Gesellschaft – im Guten wie im Schlechten“, erklärt Zoodirektor Knieriem den Gästen. Mit der Förderung des Stipendiums stellt sich der Zoo Berlin seiner gesellschaftlichen Verantwortung.

„Der Zoo Berlin war immer im Zentrum der Gesellschaft – im Guten wie im Schlechten“, erklärt Zoodirektor Knieriem den Gästen. Mit der Förderung des Stipendiums stellt sich der Zoo Berlin seiner gesellschaftlichen Verantwortung.
Bildquelle: Frederic Schweizer

Hilla Lavie und Tuvia Singer finden es besonders interessant, auch diese Dimension einer Berliner Institution kennenzulernen, die man sonst vor allem der Tiere wegen besucht. Ihm sei die Bedeutung des Berliners Zoos in und für die Geschichte Berlins nun erst richtig klargeworden, sagt Tuvia Singer. Beide Doktoranden promovieren im Fach Geschichte: Tuvia Singer beschäftigt sich mit Projektionen und historischen Begriffen des Fremden in Märchen und Sagen des 19. Jahrhunderts, wie sie unter anderem von den Brüdern Grimm, Ludwig Bechstein und Heinrich Pröhle erzählt wurden; Hilla Lavie untersucht das Israel-Bild in westdeutschen Filmen der Nachkriegszeit.

Sie forschen jeweils für ein Jahr an der Freien Universität. Tuvia Singer ist mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Berlin gekommen, erzählt er während des Zoorundgangs mit Kurator Tobias Rahde, bei dem auch Wasserbüffel und Robben gefüttert werden. Er nehme auch am Kolloquium seines Betreuers Uwe Puschner, Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität, teil. Besonders spannend finde er die Unterschiede in der Geschichtswissenschaft in Deutschland und Israel, sagt er. In Deutschland werde mehr über Methodologie und Systematik diskutiert, während es in Israel zusätzlich zu diesen Fragen stärker auch um Geschichte als Erzählung gehe.

Hilla Lavie nutzt den Aufenthalt in Berlin am Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik von Professor Martin Lücke, um in Archiven wie der Kinemathek und dem Bundesarchiv nach Kino- und Fernsehfilmen zu recherchieren. Sie hat schon einige Werke ausfindig gemacht, die vorher kaum oder gar nicht in der Forschung zu ihrem Thema besprochen wurden. In ihrer Dissertation geht es um die Nachkriegsbeziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik, insbesondere um die Darstellung Israels in westdeutschen Filmen zwischen den 1950er und 1970er Jahren.

Wie im Zoo heute versucht wird, Lebenswelten für die Tiere zu schaffen, zeigt der promovierte Biologe Tobias Rahde dann im erst kürzlich umgebauten Haus „Welt der Vögel“. Ein Glasdach, das für die Besucherinnen und Besucher wie ein normales Fenster aussieht, filtere für die Vögel das UV-Licht auf eine Weise, die es wie ein Blätterdach aussehen lasse, erklärt Rahde. Während die Tiere im Zoo früher für den Menschen präsentiert wurden, gehe es inzwischen darum, für sie die Gehege möglichst lebenswert zu gestalten. In der Tierhaltung habe sich im Zoo in seiner über 170-jährigen Geschichte viel verändert. Oder, wie es Zoodirektor Andreas Knieriem zuvor ausgedrückt hatte: „Die Tiere sind heute Botschafter ihrer bedrohten Lebenswelt. Auch auf diese Gefährdung unserer Umwelt wollen wir die Besucher aufmerksam machen.“

Im erst kürzlich umgebauten Haus „Welt der Vögel“ simuliert ein spezielles Glasdach für die dort lebenden Vögel einen natürlichen Lebensraum, erklärt Kurator Tobias Rahde (re.) den Fellows Hilla Lavie (2.v.r.) und Tuvia Singer (4.v.r.).

Im erst kürzlich umgebauten Haus „Welt der Vögel“ simuliert ein spezielles Glasdach für die dort lebenden Vögel einen natürlichen Lebensraum, erklärt Kurator Tobias Rahde (re.) den Fellows Hilla Lavie (2.v.r.) und Tuvia Singer (4.v.r.).
Bildquelle: Frederic Schweizer

Den Abschluss bildet ein Besuch zusammen mit dem promovierten Historiker Clemens Maier-Wolthausen in der von ihm kuratierten historischen Ausstellung im Antilopenhaus. Hier können die Gäste die Entwicklung des Zoos seit seinen Anfängen als königliche Menagerie auf der Pfaueninsel zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor den Toren der Stadt bis zur Gegenwart nachvollziehen.

Hilla Lavie sagt, dass sie den Beitrag jüdischer Berliner zur Zoo-Entwicklung bis in die 1930er Jahre hinein besonders interessant fand. Die beiden Historiker finden es gut und wichtig, dass es die sorgfältig präsentierte Ausstellung gibt. „Ich habe an diesem historischen Ort viel über den Zoo im Öffentlichen Raum Berlins begriffen“, sagt Tuvia Singer. Und Hilla Lavie findet: „Die besondere Perspektive dieses Besuchs ließ buchstäblich jede Ecke des Zoos in einem anderen politischen Licht erscheinen. Es war wie eine Zeitreise in eine andere Welt – mitten in Berlin.“