Ausgabe November 2015

Sharing Economy: Gutes Teilen, schlechtes Teilen?

Die Ökonomie des Teilens boomt: Ob Car, Bike oder Ride Sharing, Couchsurfing oder Kleidertausch, Urban Gardening oder Food Sharing, Crowd- funding oder Office Sharing, Coworking oder freie Software – in all diesen Segmenten der Sharing Economy erleben wir momentan weltweit ein enormes Wachstum, insbesondere in Nordamerika, Europa und Australien, zunehmend aber auch in Asien. Hinter dieser Entwicklung liegen verschiedenste Motive, vom gestiegenen Umwelt- und Kostenbewusstsein bis zur neuen Freude am gemeinsamen Wirken.

Zwei Faktoren für diese Entwicklung sind von herausragender Bedeutung: zum einen die sich vor allem bei jungen Menschen durchsetzende Gewissheit, dass Nutzen (können) wichtiger ist als Besitzen (müssen), um Zugang zu Gütern, Leistungen und Wissen zu erlangen; zum anderen die enormen und weiter zunehmenden Möglichkeiten des Internets und die damit einhergehende Erleichterung und Beschleunigung des Zusammenbringens von Angebot und Nachfrage auf den entsprechenden Märkten.

Es ist nicht gewagt, dem Sharing eine große Zukunft zu prophezeien. Aber wie ist dieser Trend zu bewerten? Ist er für Gesellschaften, Ökonomien und Einzelne eher gut und chancenreich oder eher schlecht und risikoreich? Meine Antwort: Die Ökonomie des Teilens kann ebenso zu einem Generator von sozialer Kohäsion und nachhaltiger Entwicklung werden, wie sie zum permanenten Wettbewerb aller gegen alle und zur vollständigen Ökonomisierung unseres Lebens führen kann – bei gleichzeitigem Entstehen von global agierenden Digitalmonopolen mit Hang zum Totalitären. Zwingend ist aber keine dieser Entwicklungen. Es kommt darauf an, welchen politischen und rechtlichen Rahmen wir der Ökonomie des Teilens geben: regional, national, in der EU und weltweit.

Optimisten versus Pessimisten

Analysiert man die große Fülle der in den letzten Jahren erschienenen Veröffentlichungen und Verlautbarungen zum weiten Feld der Sharing Economy, so lassen sich im Wesentlichen zwei generelle Sichtweisen erkennen: eine optimistische und eine pessimistische.

Auf der einen Seite wird nicht selten euphorisch argumentiert, etwa von Jeremy Rifkin, die gemeinschaftliche Nutzung von Fahr-, Werk- und Spielzeugen, Gebäuden, Geräten und Maschinen, Kleidung, Nahrungsmitteln und Software biete ein enormes Potential für Ressourceneinsparung und Umweltentlastung, stifte sozialen Zusammenhalt durch Kooperation und Rückbindung und ersetze egoistische Motive Schritt für Schritt durch altruistische. Hier wird dem Sharing-Modus, der im gesellschaftlichen Alltag an die Stelle kompetitiver Grundorientierungen treten soll, eine transformative und letztlich systemsprengende Kraft zugeschrieben. Am Horizont erscheint nichts Geringeres als das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen.

Ganz anders schaut eine ungewöhnliche Koalition aus berufsständischen Verbänden, Internetavantgardisten sowie Verbraucher- und Datenschützern auf die Sharing Economy. Gewerkschaften etwa warnen auf einer Linie mit Netzexperten wie Sascha Lobo oder Evgeny Morozov vor einer „Dumpinghölle“, in der nach unten offener Wettbewerb zur Regel werde. Im sogenannten Plattformkapitalismus drohe die Erosion sozialstaatlicher Errungenschaften und eine allumfassende Entsolidarisierung der Gesellschaft – also das exakte Gegenteil dessen, was die Sharing-Optimisten voraussehen. Was wir ehedem aus Empathie und ohne ökonomisches Kalkül taten, so die Befürchtung, machen wir in Zukunft nur noch aus Berechnung und gegen Geld.

Mittelständische Unternehmen, etwa des Taxi- oder Hotelgewerbes, sehen sich durch ungleiche Regulierung in einen ruinösen Wettbewerb getrieben und in ihrer Existenz bedroht. Ihre Interessenverbände streiten daher Seit an Seit mit den Gewerkschaften, was sonst eher selten der Fall ist. Verbraucher- und Datenschützer wiederum verweisen auf mangelnde Sicherheitsstandards, mangelnden Versicherungsschutz und allzu freigiebigen Umgang mit persönlichen Daten in der Sharing Economy. Zugleich müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass immer mehr Menschen von der Möglichkeit des Teilens Gebrauch machen, sich also freiwillig in diese neue Welt begeben.

Zweifel am Sharing werden nun selbst aus ökologischer und konsumkritischer Richtung laut: Zwar sei es richtig, dass Teilen potentiell umweltentlastend und ressourcenschonend wirke, weil theoretisch weniger Güter produziert und gekauft werden müssten. Da das Ganze aber mehr und mehr von einer sozialökologisch inspirierten Praxis zu einem wachstumsorientierten Business Case werde – wofür Unternehmen wie Uber, Airbnb, Car2go, DriveNow oder Kleiderei stünden –, gehe es nicht mehr um Konsumbeschränkung, sondern um die Stimulierung von multioptionalem Konsum für jedermann zu jeder Zeit an jedem Ort. Wenn alles billiger werde, so das Argument, könne man sich von allem immer mehr leisten, wodurch der Ressourcenverbrauch eher steige als sinke. Mit Nachhaltigkeit habe das nichts mehr zu tun.

Blinde Flecken auf beiden Seiten

Beide Positionen können durchaus Plausibilität für sich beanspruchen – weisen aber zugleich auch blinde Flecke auf.

Die Sharing-Optimisten sehen nicht hinreichend klar, dass es zum Wesen des modernen Kapitalismus gehört, neue soziale Praktiken, die zunächst nur in Nischen gedeihen und oft altruistisch motiviert sind, als Frischzellenkur zu nutzen und sie in Business Cases zu transformieren – oder dies zumindest zu versuchen.

So wie er den Hunger nach Authentizität in Retro-Möbel oder Vintage-Kleidung zu übersetzen vermochte, den Wunsch nach sexueller Befreiung in eine gigantische Pornoindustrie kanalisierte oder die Sehnsucht nach unberührter Natur in tonnenschwere SUVs, so versucht der Kapitalismus derzeit mit seinem Zauberstab, Kommunismus in Konsumismus zu verwandeln und so auch ökonomisch bislang nicht kolonisierte Sphären des menschlichen Miteinanders zu Geschäftsfeldern zu machen. Die Fähigkeit zur Überführung von Idealen in Waren ist es, wofür die einen den Kapitalismus so bewundern und die anderen ihn verachten. Dieses ubiquitäre Verwertungsstreben, das sozial und ökologisch oft verheerend wirkt, in politischen Analysen außer Acht zu lassen, ist sträflich und naiv. Das gilt umso mehr, wenn aus diesen Analysen adäquate Regulierungsvorschläge abgeleitet werden sollen.

Die Sharing-Pessimisten wiederum sehen zwar realistische Gefahren, unterstellen aber oft, dass der Status quo per se schützenswert sei. Aber, so möchte man sie fragen, gibt es nicht doch Kartelle, denen man durch etwas mehr frischen Wettbewerbswind die ungerechtfertigten Renditen wegnehmen sollte?

Kann man es jungen Low-Budget-Travellern wirklich verdenken, wenn sie lieber umsonst oder für kleines Geld übernachten als im teuren Hotel? Ist es wirklich nur schlecht, wenn Menschen sich nicht mehr mit Haut und Haaren der formalisierten Erwerbswelt aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern verschreiben wollen, sondern sich den ihnen gemäß erscheinenden Mix aus Selbst- und Fremdbestimmung zusammenstellen? Bietet es für die ökologische Gesamtbilanz nicht doch auch Chancen, wenn ehedem nur in der Nische existierende Praktiken wie das Carsharing nun auch von den großen Automobilkonzernen aufgegriffen und im Mainstreammarkt umgesetzt werden, wenngleich deren Motivation sicher keine umweltbewegte ist? Kurz: Ist es nicht doch ein wenig unterkomplex, die vielfältigen Sharing-Praktiken und -Experimente nur als Bedrohung eines guten Istzustandes durch einen schlechten Geist zu interpretieren?

Das Problem der beiden pointierten Sichtweisen liegt darin, dass sie letztlich von Automatismen ausgehen: Hier führt der Weg fast wie von selbst in den Himmel der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit, dort in die Hölle des Dumpings und der ökonomistischen Gesellschaftszurichtung. Aber wo bleibt der Blick für das Dritte und Vierte, für das Spannungsreiche und dialektisch Aufzuhebende? Der läuft auf dem heischenden Medienmarkt vielleicht nicht ganz so prima wie die steilen Sharing-Thesen von Erlösung oder Katastrophe, trifft die Wirklichkeit aber gegebenenfalls besser. Wo bleibt die breite Diskussion darüber, dass man den Trend zum Teilen durch politische Regulierung und Gestaltung eher in diese oder eher in jene Richtung lenken kann?

Für eine praxisorientierte Differenzierung

Was nottut, ist zunächst eine realitätsnahe und praxisorientierte Differenzierung. Es gilt, den eher gemeinwohlorientiert arbeitenden vom eher gewinnorientiert arbeitenden Teil der Sharing Economy definitorisch zu scheiden. Nur so vermeidet man, alles in einen Korb zu werfen, und stellt sicher, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird. Food Sharing, Stadtgärten, Mitfahrzentralen, Reparatur-Cafés, Kleidertauschpartys, Nachbarschaftsautos, Recyclingbörsen oder Übergangsnutzungen leer stehender Immobilien sind nun einmal etwas völlig anderes als kommerzielle Buchungsplattformen für Übernachtungs- und Transportmöglichkeiten, frei flottierende Carsharing-Angebote, Geräte- und Werkzeugverleih, Maschinenringe, Coworking Spaces oder Kleider-Flatrates.

Sicher, es gibt Grauzonen, etwa wenn sich eher gemeinnützig orientierte Plattformen für kostenlose Übernachtungs- oder Mitfahrmöglich- keiten zunehmend über Werbeeinnahmen finanzieren und gesammelte Daten weitergeben oder umgekehrt kommerzielle Anbieter in großem Umfang „gute Zwecke“ unterstützen. Aber oft ist bereits an der Rechtsform erkennbar, ob sich eine Sharing-Aktivität eher an gemeinnützigen oder eher an kommerziellen Zielen ausrichtet. In der ersten Kategorie überwiegen deshalb Vereine, Stiftungen, Genossenschaften, gemeinnützige GmbHs oder kommunale Eigenbetriebe, in der zweiten Kategorie eher Personen- und Kapitalgesellschaften.

Sind die definitorischen Klärungen erst einmal vorgenommen, gilt es für beide Systeme, angemessene Gestaltungs- bzw. Regulierungsregime zu erarbeiten. Ziel muss es dabei sein, einen lernenden Ordnungsrahmen zu schaffen, der Richtungssicherheit im Sinne von Gemeinwohlorientierung, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfairness garantiert, aber auch offen genug ist, um reflexiv auf technische und soziale Innovationen sowie eventuelle Überraschungseffekte reagieren zu können.

Wie hätte eine intelligente Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen für die Ökonomie des Teilens nun auszusehen? Zunächst sollte man sich bewusst machen, dass wir zwar erst am Anfang einer systematischen Debatte über diese Frage stehen, aber bereits heute immer wieder Einzelphänomene hochpoppen, die wie Schlaglichter den politischen Gestaltungsbedarf markieren. Ein Blick in die Nachrichten des zurückliegenden Jahres zeigt dies sehr deutlich. Einige Beispiele: „Landgericht Frankfurt verbietet Fahrdienst Uber bundesweit“ (18.3.2015), „Berlin schickt Fahnder gegen Airbnb-Anbieter“ (8.10.2014), „San Francisco is serious about Airbnb regulation“ (2.7.2015), „Verkehrsminister Dobrindt plant Parkplatz-Privilegien für Carsharing“ (22.4.2015), „Neues Gesetz in Frankreich für Food Sharing“ (4.6.2015), „New Regulation Rules Will Rock the Crowdfunding World in the US“ (1.4.2015), „Kleinanlegerschutzgesetz: Was sich jetzt für Crowd-Investoren ändert“ (1.6.2015); „Umweltministerin Hendricks will Urban Gardening fördern“ (10.6.2015), „Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes bremst Gründungen von Energiegenossenschaften“ (21.7.2015).

Allein die Schlagzeilen zeigen, dass es aus der Perspektive der Politik in Sachen Sharing wünschenswerte und weniger wünschenswerte Entwicklungen zu geben scheint, und zwar in Europa wie in Amerika: Praktiken wie Urban Gardening, Food Sharing, Carsharing oder Crowdfunding werden als förderungswürdig eingeschätzt – sicher auch, weil sie Städten eine moderne Anmutung geben und sie als dynamisch ausweisen. Demgegenüber soll die kommerzielle Online-Vermittlung von Fahrdiensten oder Privatwohnungen begrenzt oder verboten werden, weil sie unerwünschte Folgen für das ortsansässige Gewerbe oder das soziale Leben in Stadtquartieren mit sich bringen kann.

Offenbar gibt es im Rahmen von Regulierungen an anderer Stelle auch immer wieder Sekundäreffekte, die für die Zukunft der Sharing Economy von allergrößter Bedeutung sind. Ein Beispiel hierfür ist die jüngste Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Deutschland, die einen dramatischen Einbruch bei der Gründung von Energiegenossenschaften zur Folge hatte. Obwohl das kooperativ organisierte Produzieren und Konsumieren („Prosumieren“) von meist „grüner“ Energie eine besonders vielversprechende Form der Sharing Economy darstellt, wurde über diesbezügliche Interessen schlicht hinweggegangen. Ob der Einbruch in der Zahl neuer Energiegenossenschaften gewollt oder ungewollt war, eher eine Unachtsamkeit im Gesetzgebungsprozess oder einen Gefälligkeitsdienst für die großen Stromkonzerne darstellt, bleibt im politischen Dunkel.

Die dreifache Gestaltungsaufgabe der Politik

Die politische Gestaltungsaufgabe ist meines Erachtens eine dreifache: Wo Sharing gemeinwohlorientiert organisiert ist, hat Politik die Aufgabe, es zu fördern, zu stabilisieren und auch vor feindlichen Übernahmen zu schützen. Wo Sharing eine gewinnorientierte Wirtschaftsaktivität wie jede andere ist oder wird, sind durch adäquate Regulierung Wettbewerbsfairness, Steuergerechtigkeit und die Einhaltung von Sozial-, Sicherheits- und Umweltstandards zu gewährleisten. Wo wirtschafts- und sozialpolitische Grundsatzentscheidungen getroffen werden, sollte in Zukunft systematisch mitgedacht werden, ob sie eher zur Bildung von sozialem Kapital beitragen oder eher zu dessen Erosion.

Im ersten Gestaltungskreis liegen besonders für Städte und Gemeinden zahllose Handlungsmöglichkeiten, vor allem in der Überführung von spontanen Entwicklungen in tragfähige und robuste Strukturen. Nur einige Beispiele: Wer Stadtgärten, Naturerfahrung und Naturdidaktik im Freien fördern will, kann kommunale Flächen bereitstellen, den Crossover zwischen traditionellen Kleingärtnern und Urban Gardeners versuchen und so auch kulturelle Impulse setzen, etwa zur Integration von Migranten. Auch kann das Urban Gardening als gesetzlich vorgeschriebene ökologische Kompensationsmaßnahme für bauliche Eingriffe in den Stadtkörper unterstützt werden.

Wer Reparaturcafés oder Bauteilebörsen einrichten will, kann mit der Berufsschule, der Handwerkskammer oder dem örtlichen Abfallentsorger etwas auf die Beine stellen.

Wer Initiativen, Kreativen oder Start-ups bei der Suche nach günstigen Räumen helfen will, kann eine kommunale Agentur für Zwischennutzungen aufbauen, die die Stadt systematisch nach leer stehenden Immobilien absucht und diese für sinnvolle Nutzungen zu erschließen versucht.

Wer nachhaltige Verkehrskonzepte wie stationsbasiertes Car- oder Ride- sharing ausbauen will, kann privilegiertes Parken im öffentlichen Raum ermöglichen und gezielte Vernetzungsmöglichkeiten mit den öffentlichen Verkehrssystemen schaffen.

Wer Nahrungsmittelverschwendung verhindern will, kann Supermärkte, Restaurants, Kantinen und Haushalte dazu anhalten, Überschüsse dem „Food-Sharing-Markt“ oder den Tafeln für Bedürftige zur Verfügung zu stellen.

Wer den Kleidertausch, den Werkzeug- oder Spielzeugverleih in nichtkommerzielle Bahnen lenken will, kann Kirchengemeinden, Nachbarschaftsvereine oder Umweltverbände im Aufbau solcher Strukturen unterstützen.

Wer Community Spirit fördern will, kann Tauschringe oder Lokalwährungen ins Leben rufen, in denen Leistungen zwischen Bürgerinnen und Bürgern getauscht oder verrechnungsfähig gemacht werden, so dass eine lokale Sozialökonomie entsteht.

Viel Idealismus und Goodwill – und der kritische Faktor der Nachhaltigkeit

In den genannten Feldern des gemeinwohlorientierten Teils der Sharing Economy hat man es politisch im Regelfall mit einem hohen Maß an Idealismus auf fast allen Seiten zu tun. Der kritische Faktor ist hier meist die Nachhaltigkeit, verstanden als Dauerhaftigkeit des Engagements der Akteure. Oft hängt der Erfolg solcher Projekte an der Einsatzbereitschaft einer kleinen Gruppe von besonders aktiven Menschen, weshalb ein gewisses Maß an Professionalisierung auf Dauer unerlässlich ist. Echte Widerstände gegen soziale Sharing-Projekte sind mittlerweile eher selten geworden. Im Gegenteil erkennen viele Kommunalparlamente zunehmend, dass das Fehlen solch soziokultureller Innovationen ein schwerwiegender Standortnachteil im Städtewettbewerb ist.

Dieses allgemeine Wohlwollen gegenüber sozialen Sharing-Projekten wird in kapitalismuskritischen Kreisen häufig darauf zurückgeführt, dass es hier ja auch lediglich um harmlose Nischenphänomene gehe, welche die vorherrschenden Akkumulations-, Wachstums- und Gewinnerwirtschaftungszwänge des Gesamtsystems nicht ernsthaft in Frage stellten und deshalb letztlich auch keine wirklich transformative Kraft entfalten könnten. Man kann es freilich auch ganz anders sehen: Hier wird in der Nische von Pionieren vorgelebt, was in einer nicht allzu fernen Zukunft der neue Mainstream sein könnte.

Das Internet als Treiber

Richtig ist aber sicher, dass die politischen Konflikte im zweiten Gestaltungskreis, in dem es um die Regulierung und auch Einhegung des kommerziellen Teils der Sharing Economy geht, um einiges härter ausfallen müssten. Hier geht es um gigantische Zukunftsmärkte, mächtige Akteure und den Grundmodus der zukünftigen Ökonomie. Dabei rückt zunächst einmal die Basis-Infrastruktur der neuen Ökonomie des Teilens ins Visier: das Internet. Ohne dieses Netz wäre schon das bisherige Wachstum der Sharing Economy nicht möglich gewesen, erst recht aber wird es in Zukunft maßgeblich darüber mitbestimmen, wie sich die Gewichte zwischen eher gewinnorientierter und eher gemeinwohlorientierter Ökonomie verteilen.

Aus der Theorie der netzgebundenen Infrastrukturen ist bekannt, dass diese eine Tendenz zur Bildung von Monopolen und zum Missbrauch von Marktmacht durch die Netzbetreiber aufweisen. Aus einer Perspektive des fairen Wettbewerbs gilt es als optimale Lösung, wenn die Netze für Strom, Gas, Wasser, Schienenverkehr oder Telekommunikation nicht von denjenigen betrieben werden, die die entsprechenden Produkte bzw. Dienstleistungen verkaufen wollen, sondern von unabhängigen Dritten. Sind Netz und Vertrieb getrennt, so die Theorie, ist die sogenannte Netzneutralität gewahrt. Es kommt zum volkswirtschaftlichen Optimum, zu niedrigen Preisen und diskriminierungsfreiem Zugang für alle Netznutzer.

Überträgt man diese Überlegung auf das Internet und besonders auf die Suchmaschinen, dann wird leicht erkennbar, wie groß die Marktmacht der US-amerikanischen Digitalkonzerne bereits ist. Beispiel Google: Da das Unternehmen sowohl eine marktbeherrschende Suchmaschine mit über 90 Prozent Marktanteil betreibt als auch eigene Dienste anbietet und an Unternehmen der Sharing Economy wie etwa Uber beteiligt ist, kann von Netzneutralität kaum ausgegangen werden. Es besteht ein starker Anreiz, die Suchmaschinen auch zur Begünstigung der eigenen Angebote oder befreundeter Dienste zu nutzen.

Aus diesem Grund hat das Europaparlament im November 2014 empfohlen, das Unternehmen Google aufzuspalten und die Suchmaschine von den Diensten zu trennen. Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat daraufhin im April 2015 gegen Google ein Wettbewerbsverfahren wegen der Ausnutzung von Marktmacht eingeleitet, das noch nicht abgeschlossen ist. Der Ausgang dieses Verfahrens und die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, sind für die Zukunft der Internetökonomie im Allgemeinen und diejenige der Sharing Economy im Besonderen von erheblicher Bedeutung. Es macht eben einen gewaltigen Unterschied, ob bei der Suche nach Diensten zuerst eher lokale oder weniger kommerziell ausgerichtete Anbieter erscheinen oder eher global agierende mit starken Gewinn- und Datensammelinteressen. Ein für die zukünftige Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft so wichtiger Faktor wie die digitale Infrastruktur darf nicht dem Profit- und Expansionsinteresse eines einzelnen Unternehmens vorbehalten bleiben, sondern bedarf der gesellschaftlichen und politischen Gestaltung.

 

Regulator Recht

Von vergleichbarer Komplexität wie die Frage der Netzregulierung und der Sicherstellung von Netzneutralität ist die rechtliche Regulierung der verschiedenen Sharing-Dienste selbst. Auch hier muss am Anfang ein Plädoyer für Differenzierung stehen: Es ist ein Unterschied, ob eine Studentin während der Semesterferien Dritten gegen kleines Geld oder Geschenke ihr Zimmer für ein paar Tage zur Verfügung stellt oder Privatwohnungen systematisch und quasi gewerbsmäßig über einen längeren Zeitraum und zu durchaus erklecklichen Preisen vermietet werden. Sicher, ordnungsgemäß zu versteuern ist beides – aber Letzteres hat eben auch gesellschaftliche Konsequenzen, etwa weil ein faktisches Konkurrenzverhältnis zu Hotels, Pensionen und Jugendherbergen aufgebaut wird, das Mietpreisniveau steigt oder ganze Stadtquartiere, vor allem in den „angesagten“ Lagen der Großstädte, wegen der permanenten Fluktuation ihren sozialen Charakter verändern.

Es macht einen Unterschied, ob jemand, der mit seinem Pkw von A nach B fährt, über eine Mitfahrzentrale anbietet, andere Personen gegen Kostenbeteiligung mitzunehmen, oder über eine App systematisch Fahrdienste angeboten werden, für die der Vermittler eine Gebühr kassiert und die Risiken ansonsten bei Fahrer und Fahrgast liegen. Auch in diesem Fall gilt: Hier wie da sollte es gesetzeskonform zugehen, aber durch das Wirken des kommerziellen Akteurs, der unter der sympathischen Flagge des Ride Sharing antritt, doch faktisch Taxidienste anbietet, werden Dritte in relevantem Maße betroffen, von lizenzierten Funkmietwagen bis zu öffentlichen Verkehrsbetrieben, die Kunden verlieren können.

Es ist ein Unterschied, ob sich Menschen in einem Wohnquartier zusammen ein paar Nachbarschaftsautos teilen und Fahrgemeinschaften bilden oder große Automobilkonzerne in einer Stadt eine große Zahl von Fahrzeugen anbieten, um städtische Automobilität ohne Fahrzeugbesitz attraktiver zu machen. Beides ist Carsharing, und doch kann man ohne jedes moralische Urteil feststellen, dass es sehr verschiedenen Leitbildern folgt und aus gesellschaftspolitischer und regulativer Perspektive deshalb auch nicht gleich- behandelt werden kann.

Es ist ein Unterschied, ob jemand einmalig und gegebenenfalls mit professioneller Hilfe für ein bestimmtes Projekt Geld einsammelt oder das Einsammeln von größeren Geldbeträgen für Projekte Dritter systematisch als Geschäftsmodell betrieben wird. Beides ist Crowdfunding, beides kann gemeinwohlorientierten wie kommerziellen Zwecken dienen, in beiden Fällen muss sorgsam mit dem eingesetzten Geld umgegangen werden. Aber sollte sich letztgenannte Praxis in größerem Umfang durchsetzen, dürfte das nicht nur für traditionelle Geldsammelstellen wie die Banken Konsequenzen haben, sondern auch für Spendenorganisationen, die Geld für „gute Zwecke“ einwerben. Weil durch das Netz die Möglichkeit steigt, Geld direkt anzulegen bzw. zu beschaffen, sinkt die Bedeutung der Intermediäre, mindestens dann, wenn diese es nicht schaffen, sich auf die neuen Realitäten einzustellen.

Der lernende Ordnungsrahmen

Die regulativen Aufgaben, die sich aus der Sharing Economy und ihren Wirkungsweisen ergeben, sind anspruchsvoll, aber lösbar. Grundsätzlich sollte gelten: Es kann nicht um ein „Totregulieren“ des kommerziell ausgerichteten Teils der Sharing Economy gehen, nur weil er mit ständischen Interessen kollidiert und manche Branchen einem erhöhten Veränderungsdruck aussetzt. Ein solches Vorgehen wäre angesichts der Dynamik dieses Sektors und seiner engen Verwobenheit mit der Internetökonomie insgesamt nachgerade töricht. Es geht vielmehr um eine angemessene Regulierung der Ökonomie des Teilens, um einen lernenden Ordnungsrahmen, der die sozial negativen Effekte der Kommerzorientierung eindämmt und das Gemeinwohl sowie die fiskalischen Interessen des Staates fest im Auge hat.

Konkret bedeutet dies: Die Anzahl der Tage, an denen Privatwohnungen vermietet werden dürfen, sollte begrenzt werden, wobei die Obergrenze von 90 Tagen, für die sich die Stadt San Francisco entschieden hat, zu hoch liegt. Gleichzeitig ist die Vermittlungsgebühr von Unternehmen wie Airbnb durch geeignete Maßnahmen zu deckeln. Des weiteren müssen die Anforderungen an Fahrer, die für Online-Vermittlungsdienste wie Uber tätig sind, im Hinblick auf Personenbeförderungslizenz, Ortskenntnis und Versicherungsschutz im Wesentlichen denen an Taxifahrer entsprechen, wobei die Kosten nicht einseitig den Fahrerinnen und Fahrern aufgebürdet werden dürfen. Auch ist stationsbasiertes Carsharing gegenüber dem frei flottierenden Carsharing zu begünstigen, etwa durch intelligente Parkraumbewirtschaftung oder optimale Verknüpfungen mit dem öffentlichen Personenverkehr. Crowdfunding schließlich ist durch zusätzliche Anreize im Kleinanlegerschutzgesetz zu unterstützen, um gemeinschaftliche Projektfinanzierungen zu erleichtern. Auch sollte den ethisch ausgerichteten Banken, die schon seit langem Auskunft über die bei ihnen eingelegten Mittel geben und die gezielte Projektförderung in den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeinsparung, ökologischer Landbau, Bildung und soziale Integration von Menschen mit Behinderung ermöglichen, seitens der Politik stärker die Rolle eines Vorbildes für das Bankensystem zugeschrieben werden.

Grundwerte, Grundhaltungen, Grundausrichtungen: Worauf es am Ende ankommt

Diese Liste ließe sich leicht fortsetzen. Im Grunde verweist sie aber nur auf den größeren Rahmen, den die Gesellschaft der Ökonomie zu geben versucht, um selbige (wieder) in soziale Ziele einzubetten. In diesem dritten Gestaltungskreis geht es vor allem um Grundwerte, Grundhaltungen, Grundausrichtungen. Viele der Phänomene, die wir in der Sharing Economy heute beobachten, haben ihre Wurzeln eher in Veränderungen an anderer Stelle, gewissermaßen im vorgelagerten Bereich. Das betrifft positive wie negative Entwicklungen.

Dass Menschen zusammen gärtnern wollen oder untereinander Kleider tauschen, ist das Ergebnis einer neuen Wertschätzung für das Natürliche und eines gestiegenen Ressourcenbewusstseins, also ohne Zweifel von einem echten Wertewandel geprägt. Dass Menschen sich am Crowdfunding beteiligen, um sinnvolle Projekte zu unterstützen, ist vielleicht einer neuen Lust am Wirksamwerden geschuldet, welche Geld auch als soziales Gestaltungsmittel begreift. Genauso gut gilt aber: Dass Menschen am Food Sharing und Food Saving teilnehmen, ist vielleicht nicht nur ein Zeichen für die gestiegene Wertschätzung von Nahrungsmitteln, sondern auch Ausdruck einer kranken Agrarproduktion und einer unsäglichen Wegwerfkultur. Dass Menschen mittlerweile auf Dinge angewiesen sind, die andere nicht mehr brauchen oder haben wollen, verweist vielleicht auch auf das Versagen des Sozialstaats und das Auseinanderklaffen von Reich und Arm. Und auch dass viele junge Menschen mit ihren Laptops unterm Arm in die hippen Coworking Spaces streben, um überhaupt unter Leuten zu sein, ist ja nicht zwingend ein Indiz für Emanzipation und Freiheit, sondern deutet mindestens ebenso sehr auf grassierende Vereinsamungstendenzen oder übertriebenen Flexibilisierungswahn in der Arbeitswelt hin.

Dass viele Ausprägungen der Sharing Economy eher der Freude am Neuen und echter Unternehmungslust entspringen, während andere eher aus Zwängen oder gar aus der Not geboren werden, ist wohl eine unbestreitbare Wahrheit. Insofern liegen die eigentlichen Fragen, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen, vor der Befassung mit den Einzelphänomenen der Sharing Economy. Wie gerecht soll es in unserer Gesellschaft zugehen, wie verstehen wir das Soziale, und wie verhält es sich zum Unternehmerischen? Wie nachhaltig wollen wir als Gesellschaft wirtschaften, und welche Welt wollen wir den zukünftigen Generationen hinterlassen? Von den Antworten darauf und den resultierenden Voreinstellungen wird es abhängen, ob es uns durch Gestaltung und Regulierung gelingt, die Ökonomie des Teilens zu einem sozialökologischen Erfolgsmodell zu machen. Wenn wir die Dinge treiben lassen, kann es in der Tat sein, dass wir uns auf die Dumpinghölle einstellen müssen, in der sich die einen aufs Gewinnen spezialisieren und die anderen aufs Verlieren.

 

Aktuelle Ausgabe Mai 2024

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