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Hyposensibilisierung

Programmierung auf Toleranz

Die Vielfalt der mittlerweile erhältlichen Hyposensibilisierungs-Zubereitungen und die differenzierte Art, sie zu verabreichen, ermöglicht es, die Therapie individueller und angenehmer für den Patienten zu machen. Was ist heute schon möglich und was ist für die Zukunft zu erwarten? Das hat die Pharmazeutische Zeitung Professor Dr. Torsten Zuberbier aus Berlin gefragt.
Elke Wolf
22.02.2019  17:00 Uhr

»Wir haben in den vergangenen Jahren entscheidende Verbesserungen in der Hyposensibilisierung erlebt, sowohl bei der subkutanen als auch bei der sublingualen Immuntherapie«, sagt Zuberbier, Sprecher des Allergie-Centrum-Charité in Berlin und Leiter der europäischen Stiftung für Allergieforschung ECARF. »Ein wesentlicher Aspekt ist, dass die Schemata in der Aufdosierung verkürzt werden konnten. Die Allergenextrakte sind sicherer und wirksamer geworden. Wir haben heute insgesamt eine große Vielfalt an Möglichkeiten.«

Dadurch seien allerdings auch die Entwicklungskosten deutlich gestiegen, und das Angebot seltenerer Allergene sei gesunken, wie Zuberbier erklärt. »Die Therapieallergene-Verordnung schreibt seit 2008 neue Vorschriften zur Zulassung und Qualitätskontrolle von Therapieallergenen vor. Das hat zur Folge, dass erhebliche Investitionen in klinische Studienprogramme fließen, sodass die europäischen Allergenhersteller Schwerpunkte setzen und ihr Angebot teilweise reduziert haben.«

Nach einer entsprechenden Übergangsfrist, die voraussichtlich 2025 endet, ist für die wichtigsten Allergenquellen die behördliche Zulassung verpflichtend. Bis dahin sind die in Deutschland verfügbaren Präparate sowohl verkehrsfähig als auch verordnungs- und erstattungsfähig. Bereits heute können viele gängige Therapieallergene Prüfungen zur Wirksamkeit und zu den enthaltenen Inhaltsstoffen vorlegen.

Beratung vom Fachmann

Damit die Fortschritte auch beim Patienten ankommen und dieser medizinisch optimal versorgt wird, ist es laut Zuberbier unerlässlich, dass ein Arzt die Therapie kontinuierlich begleitet. Nur durch regelmäßige Arztbesuche kann geklärt werden, ob Antiallergika noch ausreichend sind, ob ein Etagenwechsel droht oder ob eine Hyposensibilisierung individuell infrage kommt. »Um die Versorgung der Allergiker zu verbessern, muss eine stufenweise Therapie etabliert werden, in der der Weg vom Allgemeinmediziner bis zum Spezialisten vorgezeichnet ist.«

Dabei sieht Zuberbier auch den Apotheker in der Pflicht. »Er muss Patienten, die in der Offizin nach Antihistaminika oder Steroiden fragen, darauf hinweisen, dass es sinnvoll ist, sich richtig diagnostizieren zu lassen.« Zuberbier legt auf eine fachmännische Diagnose wert: »So gilt es, bei einer Gräserpollenallergie nicht nur die Gräser zu überprüfen, sondern etwa auch an Brennessel und Beifuß zu denken. Bei Birke, Erle und Hasel lohnt es sich, auch Eiche und Kastanie abzuklären.«

Zuberbier bezeichnet die Ansprechraten einer spezifischen Immuntherapie gegen Pflanzenpollen, Milbenkot und Insektengift mittlerweile als »exzellent«. Die regelmäßige, hoch dosierte Gabe von Allergenpräparaten programmiert das Immunsystem auf Toleranz gegenüber den auslösenden Allergenquellen.

Dadurch reduzieren sich allergische Beschwerden und der Medikamentenverbrauch bei erneutem Allergenkontakt. Zusätzlich hat die Therapie vorbeugende Eigenschaften, da sie das Risiko für die Entwicklung von Asthma (gegen das behandelte Allergen) und Neusensibilisierungen gegen weitere Allergene verringert.

»Was Qualität und Wirksamkeit betrifft, gibt es bezüglich der subkutanen (SCIT) und der sublingualen Immuntherapie (SLIT) keine Unterschiede – wenn die richtigen Extrakte verwendet werden. Dann sind ohne Weiteres Ansprechraten von 90 Prozent wie bei der Wespengiftallergie zu erzielen«, sagt der Allergologe. Der Grund für schlechtere Ansprechraten in manchen Studien sei, dass die Immunprofile des Therapieallergens und des individuellen Empfängers nicht perfekt zusammenpassen. »Hierhin geht die Zukunft«, umreißt Zuberbier die Entwicklungsvorhaben.

»Wir wissen, dass zwei Gräserpollenallergiker A und B zwar auf das gleiche Gras allergisch reagieren, aber innerhalb des gleichen Grases gibt es verschiedene Epitope, gegen die die Beschwerden bestehen. Genau dazu passend muss man nun den individuellen Allergenextrakt entwickeln, um eine hohe Ansprechrate zu erzielen. Die Vision der Allergologen geht Richtung patientenindividualisierter Medizin. Der Allergenhersteller entwickelt anhand der individuellen Blutprobe eines jeden Allergikers den passenden Extrakt, der genau die Epitope abdeckt, die Probleme machen.«

Verträglicher, schneller

Jede Hyposensibilisierung, sei sie subkutan in den Oberarm oder sublingual, ist auf drei Jahre angelegt. Alle Neuentwicklungen unter den Therapieallergenen haben eine bessere Wirksamkeit und weniger Nebenwirkungen zum Ziel. »Außerdem sollen die Patienten das Schema besser durchhalten können«, ergänzt Zuberbier. So besteht bereits seit geraumer Zeit die Möglichkeit einer Kurzzeit-Therapie, bei der die Allergen-Dosis in der Anfangsphase schneller gesteigert wird. Dadurch wird die sogenannte Erhaltungsdosis, die anschließend jeden Monat injiziert wird, in kürzerer Zeit erreicht.

Aber auch eine präsaisonale Variante istmöglich, bei der die Injektionen vor der Saison gesetzt werden. Beginnt der Pollenflug, wird pausiert. Die Tropfen- beziehungsweise Tabletten-Variante sei im Übrigen nicht generell beliebter als die Injektionen. »Ich habe viele Patienten, die sich für die SCIT entscheiden, weil sie selbst nicht immer jeden Tag an die Tablette/ Tropfen denken wollen. Bei der Entscheidung für eine Therapievariante ist der Patient mit einzubeziehen«, so der Fachmann.

Wird bei all den Vorteilen der neuen Varianten das klassische ganzjährige Schema überhaupt noch angewandt? »Ja, mit den natürlichen Allergenen. Das Ganzjahresschema wird es auch immer geben, weil wir eine Reihe von Allergenen haben, die nicht der Therapieallergene-Verordnung unterliegen, sondern Einzelallergene sind. Einzelallergene sind immer Individualrezepturen für den einzelnen Patienten. Und die können nur nach der klassischen Variante verabreicht werden.«

»Momentan werden viele neue Substanzen erforscht, die die Immuntherapie noch verträglicher und kürzer machen sollen«, erklärt Zuberbier. Das erreicht man durch Therapieallergene, die zwar das Immunsystem stark stimulieren, ohne jedoch selbst allergisch zu wirken, also eine geringe IgE-Reaktivität besitzen.

Bereits im Einsatz sind chemisch modifizierte Allergene, sogenannte Allergoide. Dabei werden etwa Allergene mit bestimmten Aldehyden vernetzt, was das Allergen sterisch verändert und dadurch weniger IgE-reaktiv reagiert. Die Mastzellen springen so nicht an. Zuberbier: »Das macht die Allergoide sicherer in der Anwendung. Bei manchen Allergoiden kann die Erhaltungsdosis schon am ersten Behandlungstag erreicht werden.«

Eine andere Strategie ist die Konjugation des Allergens mit synthetischen TLR-9-Liganden. Diese haben einen starken immunstimulatorischen Effekt über den Toll-like-Rezeptor 9, sie induzieren so eine verstärkte TH1-gewichtete Immunantwort und einen Anstieg der regulatorischen T-Zellen. Auch mit Allergenen, die in virusartige Partikel verpackt sind oder mit Bakterienbestandteilen kombiniert sind, versucht man eine prostimulatorische Wirkung zu erzielen.

Möglich ist auch die Zugabe von Adjuvanzien, um die Wirkung von subkutan zu applizierenden Allergenextrakten zu verstärken. Dadurch werden insgesamt weniger Spritzen erforderlich. »Die Mengen an Aluminium, die in bereits zugelassenen Lösungen eingesetzt werden, haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und das Paul-Ehrlich-Institut als unproblematisch eingestuft.«

Auch von der Erforschung rekombinanter Allergene verspricht man sich Fortschritte: Sie werden im Gegensatz zu herkömmlichen Allergenen nicht aus natürlichen (Pollen-)Extrakten gewonnen, sondern als einzelne Proteine gentechnisch hergestellt. Dadurch ist das Präparat immer gleich zusammengesetzt und enthält nur Bestandteile, die für die Hyposensibilisierung relevant sind. Das ist zum Beispiel für Tierhaar- wie Katzenallergiker relevant, die nur ein Hauptallergen und weniger Unterepitope haben.

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