Hamburger Grössenwahn

Ursprünglich sollte die Elbphilharmonie Hamburgs Haushalt nicht belasten. Nun schlägt sie mit 789 Mio. € zu Buche. Die Hamburger hatten nie Gelegenheit, abzuwägen, was ihnen das Bauwerk wert ist.

Christoph Eisenring, Berlin
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Die Musiker des NDR-Elbphilharmonie-Orchesters sollen feuchte Augen gehabt haben, als sie erstmals im grossen Saal des neuen Hamburger Wahrzeichens geprobt hatten, so gut sei die Akustik. Am Mittwoch wird das Ensemble die Elbphilharmonie offiziell eröffnen. In den paar Wochen, seit die Aussichtsplattform in 37 Metern Höhe offen ist, haben über 300 000 Personen das spektakuläre Bauwerk gesehen. Dies sei ein demokratisches Statement, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister, Olaf Scholz. Doch die Entstehung dieses weltweit wohl teuersten Konzertgebäudes ist eines demokratischen Gemeinwesens kaum würdig. Wie es um das Projekt steht, wurde jahrelang kaschiert, Zahlen wurden frisiert, der Tenor von Gutachten geändert.

Viel zu früh ausgeschrieben

Am Anfang stand 2001 eine verführerische Idee: Auf einem alten Speicher im Hamburger Hafen sollte eine Musikhalle gebaut werden. Ein privater Investor wollte den kommerziellen Teil übernehmen, wozu ein Hotel, Gastronomie und Wohnungen gehören. Mit Gewinnen aus diesen Geschäften hätte die Stadt Hamburg dann den Bau der Musikhalle querfinanziert, so dass ihr Haushalt mit keinem Cent belastet worden wäre. Hamburg hätte nur das Grundstück abgeben müssen. Der damalige CDU-Bürgermeister Ole von Beust sah die Chance, dass Hamburg «ein Wahrzeichen für das 21. Jahrhundert» erhält. Als Architekten gewann man das berühmte Schweizer Büro Herzog & de Meuron.

Hätten die Steuerzahler Ja gesagt, wenn sie gewusst hätten, was sie das Monument kosten würde? (Bild: Christian Charisius / Keystone)

Hätten die Steuerzahler Ja gesagt, wenn sie gewusst hätten, was sie das Monument kosten würde? (Bild: Christian Charisius / Keystone)

Für die komplexe Elbphilharmonie wurden von der Stadt zunächst Baukosten von 2900 € je m2 Bruttogeschossfläche veranschlagt. Die am ehesten mit Hamburg vergleichbare Konzerthalle von Frank Gehry in Los Angeles hatte dagegen 6300 € je m2 gekostet, wie man einem Untersuchungsbericht des Parlaments entnehmen kann. Solche Vergleichszahlen lagen den Behörden vor, doch blieb dies ohne Konsequenz. Man wollte einen Rolls-Royce, veranschlagte aber nur die Kosten für einen VW Golf.

Als die Bürgerschaft, das ist Hamburgs Legislative, im Oktober 2005 grünes Licht für die Ausschreibung gab, war von «gratis» bereits nicht mehr die Rede. Allerdings hatte man in der Zwischenzeit auch die Nutzfläche um die Hälfte erhöht, was den ersten Kostenschub zu einem guten Teil erklärt. Demnach sollte die Stadt nun höchstens 77 Mio. € zum Projekt beisteuern, das insgesamt 190 Mio. € kosten würde. Die 77 Mio. € seien aber «pessimistisch» geschätzt, beruhigte von Beust. Kritische Fragen von Parlamentariern wurden abgebügelt: An eine Kathedrale des Geistes habe noch niemand kleinkarierte Massstäbe angelegt, sagte laut «Hamburger Abendblatt» ein Experte an einer Anhörung. Die Zeitung hat die Entstehungsgeschichte soeben in einer 13-teiligen Serie nachgezeichnet.

Stadt baut Luxushotel selbst

Hamburg stimmte den Verträgen mit der Baufirma Hochtief im Februar 2007 zu. Die Gesamtkosten werden da schon auf 352 Mio. € beziffert, die Belastung des Haushalts mit 142 Mio. € – eine Verdoppelung gegenüber der Machbarkeitsstudie. Die Architekten hatten wiederholt vor der unfertigen Planung und möglichen Kostenfolgen gewarnt – ohne Erfolg. Entgegen der ursprünglichen Planung wird die Hansestadt auch zum Investor für das Fünf-Sterne-Hotel, weil sie sich günstiger verschulden könne als ein Privater. Die Realisierung des Projekts sei wichtiger gewesen als ordnungspolitische Geradlinigkeit, räumte von Beust später ein. Diese grundlegende Änderung wird jedoch am Parlament vorbei entschieden und ein Gutachten über die Chancen, das Hotel dereinst für 130 Mio. € verkaufen zu können, geschönt.

Wünsche der Stadt wie eine Cafeteria oder eine Vergrösserung des Billett-Bereichs kosten viel Geld. Allein ein dritter Saal für Chorproben soll das Projekt um 10 Mio. € verteuert haben, sagt der Generalunternehmer. Trotz der unfertigen Planung behauptet die Stadtregierung gegenüber der Bürgerschaft, beim Vertrag mit dem Generalunternehmer handle es sich um einen Festpreis: Die Stadt gehe keine zusätzlichen Risiken ein. Doch kaum hatte die Bürgerschaft das Angebot von Hochtief genehmigt, schneite im März 2007 die erste «PÄM» herein – die Abkürzung heisst Planänderungsmeldung. Damit wollte Hochtief Mehrkosten abgegolten haben, die nach Meinung der Firma nicht durch den Vertrag gedeckt waren. Hochtief wird Hunderte solcher Meldungen machen. Generalunternehmer und Architekten arbeiten zudem gegeneinander – und in der Mitte steht die zunehmend überforderte Projektbehörde der Stadt. Dass hochwertige Architektur ihren Preis hat, wird lange ignoriert: Es gibt in der Elbphilharmonie jedoch teure Unikate wie die gebogene Rolltreppe, mit der man auf die Plaza kommt, oder die 1100 unterschiedlich bedruckten und geformten Fensterelemente der Glasfassade, die alleine über 50 Mio. € kosten.

Kosten haben sich verzehnfacht

Im Rathaus ersetzt im März 2011 der Sozialdemokrat Olaf Scholz den Christlichdemokraten von Beust. Scholz kann die verfahrene Situation zwischen Bauherr, Architekten und Hochtief zwar lösen, muss aber noch einmal viel Geld in die Hand nehmen. Die Gesamtkosten der Elbphilharmonie kommen schliesslich auf 865 Mio. € zu stehen, die Übergabe erfolgt mit gut sechsjähriger Verspätung. Abzüglich der Spenden und gewisser Einnahmen trägt die Stadt 789 Mio. € – also den zehnfachen Betrag gegenüber der Machbarkeitsstudie.

Ohne ein bisschen Grössenwahn entstünden keine besonderen Wahrzeichen, zitiert das «Abendblatt» den Generalintendanten 2010 beim Richtfest. Politiker erliegen bei Grossprojekten regelmässig zu optimistischen Erwartungen. Kosten und Baudauer werden massiv unterschätzt, so wie ein Student sich beim Zeitaufwand für seine Semesterarbeit verkalkuliert. In Hamburg kam dazu, dass man das Projekt vor den Parlamentswahlen 2008 durchboxen wollte. Aber hätte das Debakel vermieden werden können?

In der direkten Demokratie muss der Souverän für solche Grossprojekte einen Kredit sprechen, was den Spielraum der Politik begrenzt. Läuft das Projekt aus dem Ruder, droht erneut der Gang vor das Volk. Auch kann der Staat nicht plötzlich zum Hotelinvestor werden. Das heisst gleichzeitig nicht, dass teure Kulturprojekte in der direkten Demokratie keine Chance haben, man denke etwa an die Stadtzürcher Abstimmung von letztem Juni. Damals wurden 240 Mio. Fr. gesprochen, um das Kongresshaus und die Tonhalle zu sanieren. Im Gegensatz zu den Zürchern hatten die Hamburger aber nie Gelegenheit, abzuwägen, ob ihnen das Bauwerk 789 Mio. € wert ist. Vielmehr konnten sie der Kostenexplosion nur ohnmächtig zusehen.

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