Mehr als eine zweite Ausschaffungsinitiative

Die Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative hat Auswirkungen über das Ausländer- und das Strafrecht hinaus. Trotzdem ist keine breite, übergreifende Kampagne der Gegner geplant.

Simon Gemperli
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Innenhof des Sicherheitsstützpunkts Biberbrugg. Hier sitzen ausländische Straffällige in Ausschaffungshaft (Bild: Janine Schranz / NZZ)

Innenhof des Sicherheitsstützpunkts Biberbrugg. Hier sitzen ausländische Straffällige in Ausschaffungshaft (Bild: Janine Schranz / NZZ)

Bis zur Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative der SVP dauert es noch knapp vier Monate. Unterbrochen durch die Wintersession, die Bundesratswahlen, die Weihnachts- und die Skiferien, dürfte unter dem Strich aber ein kurzer, unberechenbarer Abstimmungskampf bevorstehen. Absorbiert durch die Wahlen, fangen die Parteien mit den Vorbereitungen erst an. Dabei hat die Vorlage Auswirkungen weit über das Strafrecht hinaus: Zur Debatte stehen der bilaterale Weg, die Rechtssicherheit sowie verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Grundsätze.

Gegner mit leeren Kampfkassen

Obschon alle grösseren Parteien gegen die SVP antreten, wird das gegnerische Lager keine gemeinsame Kampagne führen, die Aktivitäten aber eng koordinieren. Man habe aus früheren ausländerrechtlichen Abstimmungen gelernt und werde die verschiedenen Wählersegmente mit unterschiedlichen Argumenten ansprechen, sagt der SP-Sprecher Michael Sorg. Die Linke plant eine Mobilisierungskampagne, da man davon ausgeht, dass ihre Basis grossmehrheitlich gegen die Initiative ist.

Für eine grössere Abstimmungskampagne fehlt den Initiativgegnern allerdings das Geld. Weder Wirtschaftsverbände noch Unternehmen würden investieren, heisst es bei Schutzfaktor M, einem Zusammenschluss der Menschenrechtsorganisationen. Auch in den bürgerlichen Parteisekretariaten spricht man von leeren Kampfkassen und kritisiert das fehlende Engagement der finanzkräftigen Verbände.

Bereits bei der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative 2010 waren die Wirtschaftsverbände in die Kritik geraten, weil sie kein Geld für den Abstimmungskampf aufwenden wollten. Die Statuten erlaubten nur Kampagnen zu wirtschaftsrelevanten Vorlagen, argumentierte Economiesuisse. Der damalige Arbeitgeberpräsident Thomas Daum räumte nach der Abstimmung ein, das fehlende Engagement der Wirtschaft sei ein Fehler gewesen.

Die Durchsetzungsinitiative betreffe auch die Wirtschaft, konzediert Jan Atteslander, Geschäftsleitungsmitglied von Economiesuisse. Denn die Abstimmungsvorlage beeinträchtige die Rechtssicherheit und damit die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Sie verstosse auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und mehrere Uno-Konventionen.

Ausserdem tangiere die Durchsetzungsinitiative das Personenfreizügigkeitsabkommen negativ. Weitere Komplikationen mit der EU könne sich die Schweiz nicht leisten, so Atteslander, bei Economiesuisse für Aussenhandel verantwortlich. Die Schweiz habe in den Gesprächen mit der EU über die Masseneinwanderungsinitiative einen schlechteren Stand, wenn das Stimmvolk eine automatische Ausweisung von Ausländern in der Verfassung verankere. Denn das würde klar dem Freizügigkeitsabkommen widersprechen.

Economiesuisse hat kürzlich die Nein-Parole zur Durchsetzungsinitiative beschlossen. Wie vor fünf Jahren wird der Wirtschaftsdachverband aber auch jetzt keine Abstimmungskampagne führen. «Wir sind eine Wirtschaftsorganisation und können uns nicht in allen Bereichen mit eigenen Kampagnen engagieren. Ein finanzielles Engagement ist nicht geplant», sagt Atteslander.

Testlauf für nächste Initiative

Weil die Durchsetzungsinitiative gegen rechtsstaatliche Grundsätze und internationales Recht verstösst, bezeichnet man sie im gegnerischen Lager als Testlauf für die Selbstbestimmungsinitiative der SVP. Ein Ja könnte als Dammbruch in Bezug auf den Stellenwert des Völkerrechts interpretiert werden. Auch die Selbstbestimmungsinitiative hat Folgen für die Wirtschaft. Der Vorrang des Landesrechts schmälert die Rechtssicherheit, erschwert das Aushandeln von Verträgen und macht eine vertiefte Integration in den europäischen Binnenmarkt praktisch unmöglich.

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