Abnehmender Personalbedarf

Der Detailhandel ist ein bedeutender Arbeitgeber in der Schweiz. Die Nachfrage nach Personal ist allerdings tendenziell sinkend. Verantwortlich dafür sind die Produktivitätsgewinne der Branche.

Sergio Aiolfi
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Schweizer Detailhandel: Die Automatisierung der Bestellvorgänge hat die Logistik vereinfacht, Scanner-Kassen haben die Leistung des Ladenpersonals erhöht, und das Self-Scanning dürfte in dieselbe Richtung gehen (Archivaufnahme: 2007). (Bild: Christian Beutler / NZZ)

Schweizer Detailhandel: Die Automatisierung der Bestellvorgänge hat die Logistik vereinfacht, Scanner-Kassen haben die Leistung des Ladenpersonals erhöht, und das Self-Scanning dürfte in dieselbe Richtung gehen (Archivaufnahme: 2007). (Bild: Christian Beutler / NZZ)

Der Detailhandel zählt zu den Eckpfeilern der Schweizer Wirtschaft, ganz besonders, wenn es um die Beschäftigung geht; nach dem Gesundheits- und Sozialwesen sowie der öffentlichen Verwaltung ist der Einzelhandel der grösste nichtstaatliche Arbeitgeber des Landes. Mit einem Bestand von rund einer Viertelmillion hat der Sektor mehr Angestellte als die Finanzbranche (210 000 Beschäftigte), und auch das personalintensive Gastgewerbe (166 000) ist weniger bedeutsam, von Industriezweigen wie dem Maschinenbau (79 000) oder der Chemie/Pharma (68 000) ganz zu schweigen. Aus Sicht von Volkswirtschaft und Arbeitsmarkt ist es mithin nicht unwichtig, zu wissen, wie es um Wohl und Weh des Detailhandels steht.

Stabilisierender Faktor

Das Forschungsinstitut BAK Basel hat im Auftrag der Interessengemeinschaft Detailhandel Schweiz eine Studie1 erstellt, die der Branche den Puls fühlt und dabei zu Erkenntnissen gelangt, die über eine Momentaufnahme hinausgehen. Wie ein Blick in jüngere Vergangenheit zeigt, hat sich der Wirtschaftszweig als weitgehend krisenresistent erwiesen. In der Periode des Abschwungs 2008 bis 2014 steigerte der Sektor laut BAK die reale Bruttowertschöpfung im Jahresschnitt um 2%, derweil die Gesamtwirtschaft auf 1,3% kam.

Untersucht man allerdings die etwas längere Frist, ergibt sich ein etwas anderes Bild. Über die Zeitspanne von dreieinhalb Jahrzehnten betrachtet, lässt sich erkennen, dass die Branche an relativer volkswirtschaftlicher Bedeutung eingebüsst hat. Betrug ihr Anteil am gesamten Privatkonsum 1980 noch 41%, waren es 2014 nur mehr 28%. Zu erklären ist dieser Schwund vorab durch das Nonfood-Geschäft, das infolge sinkender Preise bei vielen Artikeln internationaler Provenienz von 23% auf 13% zurückgegangen ist. Genaugenommen ist es also das (nach aussen stark abgeschottete) Nahrungsmittelgeschäft, das der Branche und der Schweizer Wirtschaft Stabilität verliehen hat.

Der überdurchschnittliche Personalbedarf des Einzelhandels und die Teilbarkeit vieler Verrichtungen haben dazu geführt, dass die Teilzeitbeschäftigung relativ hoch ist. Mit einer Quote von 42% liegen die Retailer laut dem vom Bundesamt für Statistik (BfS) für 2014 erhobenen Daten zwar hinter dem Gesundheits- und Sozialsektor (56%) sowie der öffentlichen Verwaltung und Bildung (51%), aber weit über dem Durchschnitt der Gesamtwirtschaft.

Bezüglich der Frauenquote (67%) rangiert der Detailhandel nach dem Gesundheitswesen (77%) sogar an zweiter Stelle und wiederum weit über dem Durchschnitt (32%). Die Autoren der BAK-Studie betonen in diesem Zusammenhang denn auch die soziale Rolle, die dem Einzelhandel in der Schweiz zukommt. Dank dem spezifischen Personalbedarf und der Beschäftigungsstruktur leisten die Unternehmen des Sektors einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Integration von Niedrigqualifizierten oder Ausländern.

Weniger Beschäftigte

Wie die vom BAK präsentierten Zahlenreihen allerdings ebenfalls zeigen, ist die Zahl der Beschäftigten am Sinken (vgl. Grafik). Auf kurze Frist betrachtet, ist das auf konjunkturelle oder währungspolitische Einflüsse zurückzuführen; die durch die Finanzkrise bedingte Stagnation der Konsumausgaben und der durch die Franken-Hausse verstärkte Einkaufstourismus zeigten Wirkung. Entsprechend rückläufig war auch der Anteil der im Einzelhandel generierten Löhne am gesamtwirtschaftlichen Arbeitnehmereinkommen (von 6,3% im Jahr 2008 auf 5,3% sechs Jahre später).

Der Scanner und die Folgen

Der Beschäftigungsrückgang hat jedoch nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Ursachen. Zu Beginn der 1990er Jahre verfügte der Sektor laut den BfS-Daten – gemessen in Vollzeitäquivalenten – noch über 300 000 Angestellte. Innerhalb von knapp 25 Jahren ist die Beschäftigung mithin um 50 000 Einheiten zurückgegangen. Verglichen mit der Gesamtwirtschaft blieb die vom Einzelhandel generierte Nachfrage nach Personal in den vergangenen Jahrzehnten stets deutlich unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. Und die BAK-Studie nennt auch die Gründe, die zum Beschäftigungsrückgang geführt haben. Es sind im Wesentlichen Fortschritte punkto Produktivität (vgl. Grafik). Seit Mitte der 1990er Jahre haben die in der Branche erzielten Effizienzsteigerungen jene der Gesamtwirtschaft stets übertroffen, in der Krisenphase gar noch mehr als sonst. Zurückzuführen ist diese bemerkenswerte Entwicklung zum einen auf Neuerungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Automatisierung der Bestellvorgänge hat die Logistik vereinfacht, Scanner-Kassen haben die Leistung des Ladenpersonals erhöht, und das Self-Scanning dürfte in dieselbe Richtung gehen. Die Autoren der BAK-Studie verweisen zum andern auch auf einen demografischen Trend, der das Erzielen von Produktivitätsgewinnen erleichtert hat: Die Verlagerung der Wohnbevölkerung in urbane Gebiete hat den Retailern erlaubt, kleinere Verkaufsstellen in ländlichen Gebieten durch grössere in den Städten zu ersetzen und damit Skaleneffekte zu realisieren.

Dieser strukturelle Wandel hatte allerdings auch zur Folge, dass die Ansprüche an die Qualifikationen des Personals zugenommen haben (vgl. Grafik). Extrapoliert man diesen Trend, dürfte der Detailhandel als Motor für die Integration von Niedrigqualifizierten und Ausländern mittel- bis langfristig an Bedeutung verlieren.

1 Bedeutung des Detailhandels für die Schweizer Volkswirtschaft. Studie im Auftrag der IG Detailhandel Schweiz. BAK Basel, Juni 2015.

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