Der Motorenexperte Michael Bargende von der Universität Stuttgartsieht den Dieselmotor im Pkw trotz der VW-Affäre um manipulierte Emissionsmessungen nicht als Auslaufmodell. „Ein Diesel von heute, der die gültige Euro-6-Norm erfüllt, ist so sauber wie ein Benziner und verbraucht weniger.“

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Angesichts der Affäre um manipulierte Abgaswerte von VW-Dieselmodellen steht der Dieselmotor generell in der Kritik. Zu Unrecht, findet der Stuttgarter Wissenschaftler Michael Bargende. Zugleich räumt er ein, dass die bisherigen Verbrauchs- und Emissionstests reformiert werden müssen.

 
Herr Professor Bargende, das Kraftfahrtbundesamt hat gerade den Zwangsrückruf von 2,4 Millionen VW-Dieselfahrzeugen angeordnet – ein richtiger Schritt?
Technisch kann ich nicht wirklich erkennen, wo der Unterschied zu dem freiwilligen Rückruf liegen soll, den VW ja bereits angekündigt hat. Es geht wohl eher darum, als Zulassungsbehörde das Heft in die Hand zu nehmen.
Angesichts immer strengerer Abgasgrenzwerte läuten manche bereits das Totenglöckchen für den Dieselmotor. Hat er überhaupt noch eine Zukunft?
Michael Bargende Foto: privat
Richtig ist, dass die Abgasreinigung immer aufwendiger und teurer wird. Trotzdem ist der Diesel nach wie vor die Antriebsquelle, die alle Ansprüche des Individualverkehrs am wirtschaftlichsten erfüllen kann.
Das mit der Wirtschaftlichkeit mag ja stimmen – aber wie sieht es mit der Umwelt aus?
Auch die CO2-Bilanz ist beim Diesel besser. Der höhere Kohlenstoffgehalt des Dieselkraftstoffs wird durch den rund 20 Prozent niedrigeren Verbrauch mehr als ausgeglichen. Das gilt auch noch, wenn man Hybridautos mit Benzinmotor und Hybridautos mit Dieselmotor vergleicht.
Es gibt mehrere Wege, den Diesel sauberer zu machen: innermotorische Verbesserungen, Speicherkatalysatoren für Stickoxide (NOx) oder den Harnstoff-Kat (SCR). Was bringt am meisten?
Wir brauchen die Kombination aller Verfahren, um die Grenzwerte für Stickoxide einzuhalten. Der SCR-Kat hat zwar einen hohen Wirkungsgrad, arbeitet aber erst bei höheren Temperaturen gut. Der NOx-Speicherkat funktioniert schon bei deutlich niedrigeren Temperaturen und springt deshalb schneller an. Darum ist die Kombination beider Katalysatoren vor allem im Kurzstreckenbetrieb mit häufigen Kaltstarts besonders wichtig.
Spielt das bei den bisher üblichen Prüfstandtests überhaupt eine Rolle?
Natürlich. Auch auf dem Prüfstand startet der Motor kalt – also mit einer Temperatur von 20 Grad. Und die Emissionsmessung beginnt sofort nach dem Drehen des Zündschlüssels.
Trotzdem herrschen auf dem Prüfstand andere Bedingungen als im realen Betrieb – das sieht man schon daran, dass die Verbrauchswerte in der Praxis deutlich höher sind.
Das stimmt. Aber auf der Straße gibt es derart viele unterschiedliche Fahrsituationen, die man unmöglich alle in einem Testzyklus abbilden kann. Deshalb wird für 2018 die Messung der sogenannten Real Driving Emissions (RDE) – also der Emissionen auf der Straße – vorbereitet.
Warum erst 2018?
Weil es sehr schwierig ist, auf der Straße verlässliche Messwerte zu ermitteln, mit denen sich unterschiedliche Automodelle vergleichen lassen. Nicht nur das individuelle Fahrverhalten, sondern auch Umweltbedingungen wie Luftdruck und Temperatur beeinflussen das Ergebnis. Die Zulassung eines Fahrzeugs wird man deshalb wohl immer mit Tests auf dem Prüfstand machen, schon weil man dort genauer messen kann.
Aber die Prüfstandergebnisse sollten wenigstens etwas realitätsnäher sein als bisher.
Deshalb wird auch der WLTP-Zyklus (Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure) für Prüfstandmessungen eingeführt. Einschränkend muss man allerdings sagen, dass ein weltweit einheitlicher Standard seine Grenzen hat, weil die Fahrgewohnheiten sehr unterschiedlich sind. Ob der WLTP-Zyklus wirklich die realen Verbrauchs- und Emissionswerte wiedergibt, muss man sehen. Ein Test ist immer nur ein Test und dient primär der Vergleich- und Reproduzierbarkeit.
Gibt es weitere technische Möglichkeiten zur Emissionsminderung?
Grundsätzlich andere Ansätze sehe ich derzeit nicht. Zunächst geht es also primär um die Optimierung der nun bekannten Technologien. Da gibt es noch sehr viel Potenzial und deshalb auch einen sehr hohen Forschungs- und Entwicklungsbedarf.
Auch bei den heute üblichen „Downsizing“-Benzinmotoren mit Direkteinspritzung und Turboaufladung soll es teilweise Probleme mit Stickoxiden geben.
Richtig ist, dass ein Benzinmotor etwa viermal so viele Stickoxide erzeugt, wie ein Diesel. Mittels des 3-Wege-Katalysators, der aber beim Diesel wegen des Sauerstoffs im Abgas nicht einsetzbar ist, lassen sich diese sehr effizient reduzieren.
Moderne Pkw-Dieselmotoren setzen bis zu 45 Prozent der im Kraftstoff enthaltenen Energie in Motorleistung um, Benzinmotoren rund 36 Prozent. Ist damit beim Wirkungsgrad das Ende der Fahnenstange erreicht?
Beim Diesel – sogar ohne Hybridisierung – ist durchaus noch eine Verbesserung von zehn Prozent denkbar. Da spielt auch die Abgasreinigung eine Rolle. Die Technik dafür musste im Eiltempo entwickelt werden, weil die Verschärfung der Abgasnormen von Euro 4 über Euro 5 auf Euro 6 so schnell kam. Jetzt sind wir in dem Stadium, dass alles robust ist und funktioniert. Doch jede Art der Abgasnachbehandlung führt zu einem Mehrverbrauch, und hier kann man noch sehr vieles optimieren. Zudem wird die Technik durch die wachsenden Stückzahlen einfacher und billiger.