Wenn Bundesminister über die Digitalisierung reden, klingt das mitunter so, als hätte Captain Obvious ihnen den Sprechzettel gereicht. Am Dienstag etwa gab Bundesinnenminister Thomas de Maizière bekannt, die Koalition wolle das E-Government, die digitale Verwaltung ausbauen: "Wenn wir Anwendungen schaffen, die es dem Bürger verständlich und klar machen, dass die digitale Anwendung für ihn besser ist, als zur Behörde zu laufen, dann haben wir gewonnen." Anders ausgedrückt: Gute E-Government-Angebote wären gut.

Die Realität sieht bisher anders aus. Ebenfalls am Dienstag hat die EU-Kommission ihren European Digital Progress Report veröffentlicht, und aus dem geht hervor, dass Deutschland in zwei Bereichen der Digitalisierung dem europäischen Durchschnitt weit hinterherhinkt: Glasfaser-Internet für Endkunden und E-Government.

Zwar gibt es durchaus positive Entwicklungen: Insgesamt landet die Bundesrepublik im sogenannten Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft auf Platz neun von 28 und verbessert sich damit im Vergleich zum Vorjahr um einen Platz. Weil es sich im vergangenen Jahr insgesamt schneller entwickelt hat als alle Mitgliedstaaten im Durchschnitt, zählt die Kommission Deutschland zur "Gruppe der progressiven Länder." Die Internetkompetenz der Bundesbürger liegt ebenfalls über dem EU-Durchschnitt, und besonders gut Einkaufen können die Deutschen im Netz ebenfalls.

Telekom-Chef Höttges: "Jammern baut kein Netz"

Im Bericht heißt es auch, die Deutschen seien gut mit "Basis-Breitband" versorgt. Gemeint sind Internetanbindungen mit Downloadgeschwindigkeiten von bis zu 30 Megabit pro Sekunde. Die gebe es praktisch überall im Land, selbst im ländlichen Bereich zu 93 Prozent, was knapp über dem EU-Schnitt liegt.

Der Marktanteil von FTTH und FTTB (Fiber to the home beziehungsweise Fiber to the building), also Glasfaser zum Endkunden, liege "jedoch deutlich unter dem EU-Durschnitt", nämlich bei nur 1,3 Prozent gegenüber 18,7 Prozent. Die Festnetzbetreiber – gemeint sein dürfte vor allem die Deutsche Telekom – hätten "in den letzten Jahren ihre Kupfer- und Koaxialkabelnetze modernisiert", statt Glasfaserleitungen bis in die Haushalte und Unternehmen zu verlegen, kritisiert die EU-Kommission.

Dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern wird, ist nach derzeitigem Stand eher unwahrscheinlich. Telekom-Chef Timotheus Höttges hatte zuletzt mehrfach klargestellt, dass er über das Thema FTTH nicht wirklich reden will. Das Unternehmen setzt vorerst lieber auf  Vectoring, Super-Vectoring und G.fast. In der Definition der Telekom ist das alles Glasfasertechnik, zumindest bis zu den Verteilerkästen – nur eben nicht FTTH. Denn die Telekom ist der Ansicht, dass es in Deutschland auf Jahre hinaus praktisch keinen Bedarf an Gigabit-Leitungen ins Haus geben wird.

Auf der am heutigen Mittwoch begonnenen Jahreshauptversammlung kritisiert Höttges die Konkurrenz: "Unsere Wettbewerber kritisieren und jammern in einer Tour. Mal finden sie die Mieten zu hoch, die sie für unser Netz zahlen. Mal haben wir angeblich die falsche Technik. Dann ist der Ausbau angeblich zu langsam. Aber sobald wir ausgebaut haben, nehmen genau diese Kritiker unser Netz." Der Telekom-Chef sagte weiter: "Es wäre besser für Deutschland, wenn andere auch ausbauen. Jammern baut kein Netz. Besser investieren als kritisieren. Dann hätten wir echten Wettbewerb der Infrastrukturen." Dass die Telekom mit ihrem Vectoring-Vorhaben den Wettbewerb selbst beeinträchtigen würde, sagte er nicht.

Vorbild Estland

Der andere Bereich, in dem Deutschland im EU-Vergleich hinterherhinkt, ist das E-Government: Im Bericht der Kommission reicht es nur für Platz 18 von 28. Lediglich 19 Prozent der deutschen Internetnutzer nutzen demnach entsprechende Angebote, das ist einer der niedrigsten Werte in der gesamten EU.

Die Kommission empfiehlt der Bundesregierung und den Ländern, den Bekanntheitsgrad der bestehenden Angebote zu erhöhen, sie benutzerfreundlicher zu gestalten und  dabei "die datenschutzrechtlichen Bedenken der Bürger" zu berücksichtigen. Die föderale Struktur der Bundesrepublik sei eine besondere Herausforderung, räumt die Kommission ein. Die oft inkompatiblen Systeme der Länder und des Bundes könnten aber durch den Einsatz "bereits verfügbarer Lösungen für grenzüberschreitendes E-Government" ersetzt werden. Gemeint sind Lösungen zur elektronischen Signatur, Identifizierung, oder auch Rechnungsstellung, die im Rahmen des Finanzierungsprogramms Connecting Europe Facility entwickelt wurden. Schließlich habe Deutschland die Entwicklung dieser Lösungen mitfinanziert.

Außerdem weist die Kommission darauf hin, dass die digitale Agenda der Bundesregierung bereits eine Strategie zur Förderung der elektronischen Verwaltung beinhaltet.

Trotzdem können Thomas de Maizière und die anderen Bundesminister fast zwei Jahre nach dem Beschluss dieser Strategie nicht viel mehr ankündigen als eine "beschleunigte" Digitalisierung der Verwaltung.

Immerhin hat die Bundesregierung ein Vorbild ausgemacht: Estland. Dort gebe es mittlerweile rund 600 E-Government-Dienste, von der elektronischen Steuererklärung bis hin zum E-Voting. Von dem kleinen Land könne Deutschland viel lernen, sagte Captain Obv... de Maizière.