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Panorama Todesursache Selfie

Wenn die fröhliche Jagd nach Likes tödlich endet

Als Langweilerin wird diese waghalsige junge Frau vermutlich nicht in die Geschichte eingehen. Hoffentlich auch nicht als eines von viel zu vielen Opfern tödlicher Selbstliebe Als Langweilerin wird diese waghalsige junge Frau vermutlich nicht in die Geschichte eingehen. Hoffentlich auch nicht als eines von viel zu vielen Opfern tödlicher Selbstliebe
Als Langweilerin wird diese waghalsige junge Frau vermutlich nicht in die Geschichte eingehen. Hoffentlich auch nicht als eines von viel zu vielen Opfern tödlicher Selbstliebe
Quelle: Getty Images
Sie rutschen in Krater, jagen sich mit Handgranaten in die Luft: Es sterben mehr Menschen durch Selfies als durch Haie. Woran das liegt? An Selbstliebe, Dummheit und dem Trend, berühmt zu werden.

Oscar Otero Aguilar hat es geschafft. Er ist in die Geschichte des 21. Jahrhunderts eingegangen, Journalisten aus aller Welt berichteten über ihn. Im August 2014 wollte Aguilar ein ganz besonders tolles Selbstporträt machen. Er hatte auch schon davor viele tolle gemacht, schnelle Autos, beeindruckende Ladys, gefährliche Blicke, doch diesmal sollte es eines mit Waffe sein, denn für Waffen interessierte sich der 21-jährige Angestellte eines Tierladens auch. Also hielt er sich bei einer Party eine Pistole an den Kopf und drückte ab. Leider nicht seine Kamera. Jetzt ist er zwar tot, aber unsterblich.

Menschen, die beim Versuch, den Augenblick festzuhalten, die Welt verlassen haben, tauchen immer häufiger in den Chroniken auf. Der 21-jährige Indonesier Eri Yunanto stürzte Mitte Mai auf Java in den Krater des Merapi, als er beim Sich-selbst-Knipsen ausrutschte.

Die 18-jährige Anna Ursu kletterte im Mai in der rumänischen Stadt Iași auf einen Zug, um für ihre Facebook-Seite das „ultimative Selfie“ zu schießen, und berührte dabei eine Stromleitung, die 27.000 Volt durch ihren Körper schickte.

Im August wollte siONLINE (2)ch in der spanischen Stadt Villaseca de la Sagra der 32-jährige David González Lopez beim Stierlauf zusammen mit einem der Viecher in der Stampede hinter seinem Rücken aufnehmen. Das ging gar nicht gut aus.

So kam es, dass im Juli das Innenministerium Russlands – wo sich in diesem Jahr beim Selfie-Machen schon zwei junge Männer mit einer Handgranate gesprengt und eine junge Frau mit einer herumliegenden Pistole erschossen haben – Alarm schlug. In einer Broschüre wurden die schlimmsten Selfie-Fehler (Waffen, beim Fotografieren auf der Autobahn stehen usw.) genannt und eine gewisse Jelena Alexejewa gab zu bedenken: „Jeder sollte sich klar darüber sein, dass einen die Jagd nach Likes auf eine Reise in den Tod führen kann.“

Meist ist ein dummer Zufall schuld am Tod

2015 sei das Jahr, hieß es vor Kurzem in den Nachrichten, in dem mehr Menschen durch Selfies starben als durch Haie. Das ist zwar richtig, liegt aber vor allem daran, dass Haie weniger Interesse an Menschen haben als die an sich selbst. Die Selfie-Tode (in diesem Jahr waren es bislang zwölf) sind nicht ihrer Zahl wegen alarmierend, sondern wegen der recht durchschnittlichen menschlichen Blödheit, die sich in ihnen zu erkennen gibt – und auch meine, deine und jedermanns Blödheit sein könnte.

So entstand das „Selfie from Hell“

Klassisches Selfiemotiv: Eine junge Frau macht einen Kussmund und drückt auf den Auslöser. Bereits über neun Millionen Mal haben sich YouTube-Nutzer das Horror-Video inzwischen angesehen. Und so ist es entstanden.

Quelle: N24

Bei der Hälfte der Fälle ist es nicht Leichtsinn, der zum Tod führte, sondern ein dummer Zufall. So musste die 32-jährige Courtney Sanford aus North Carolina, als sie im April 2014 während des Autofahrens ihr Glücksgesicht zu Pharell Williams’ „Happy“ auf Facebook posten wollte, nicht unbedingt damit rechnen, dass in diesem Augenblick der Lastwagen des 73-jährigen John Wallace Thompson im Weg stehen würde.

Und der 66-jährige japanische Tourist Hideto Ueda, der vergangene Woche ums Leben kam, als er am Taj Mahal sich und seine Reisegefährten fotografieren wollte und eine Treppe hinunterstürzte, hatte bloß Pech; Hunderttausende haben ihr Taj-Mahal-Selfie ja überlebt.

Der recht naheliegende Einwand, niemand müsse so eitel sein, sich ständig selbst zu fotografieren, kommt von mürrischen Skeptikern, die einem ganz sicher nicht glauben würden, falls man ihnen erzählte, dass man am Rande eines Kraters stand oder wie nahe man in einem amerikanischen Nationalpark den Bären kam.

Gefahren der Selbstliebe entkommt man nicht so leicht

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Der Verdacht, ein Aufschneider zu sein, lässt sich restlos nur durch den Fotobeweis entkräften. Und schließlich hat auch nicht jeder einen Hintern wie Kim Kardashian, der einen ohne jede zusätzliche Anstrengung berühmt werden ließe. Deswegen bleibt Menschen, die ihren Freunden und sich selbst nicht als Langweiler gelten wollen, nicht sehr viel anderes übrig, als hin und wieder reinzuhauen. Sich zum Beispiel auf die Schienen zu stellen und erst im allerletzten Moment wegzurennen, wenn man schon den heißen Atem der Lokomotive im Nacken spürt. Oder die Giftschlange auf den Arm zu nehmen.

Wenn mancher sich dabei überschätzt, liegt es wohl auch daran, dass Menschen eingeredet wird, souveränes Multitasking wäre so etwas wie eine anthropologische Konstante. Wie wenig das stimmt, merkt man, sobald man den richtigen Ausschnitt sucht, während eine Hand damit beschäftigt ist, die Kamera in Position zu bringen und der Rest des Körpers eine Haltung einzunehmen versucht, bei der das Doppelkinn verschwindet. Da kann schon mal was passieren.

Mutter imitiert alberne Selfies der Tochter

Emily Musson vertreibt sich die Zeit gern mit ihrem Freund und macht jede Menge Selfies davon. Ihre Mutter bewies jetzt Humor, indem sie die Fotos ihrer Tochter einfach nachstellte.

Quelle: N24

Das Problem ist also nicht, dass beim Selfie-Machen so viele Leute sterben. Das Problem ist eher, dass es so selten schwerwiegende Konsequenzen hat. Der dänische Luftwaffenpilot, der sich während eines Übungsflugs in exakt jener Sekunde porträtiert hat, in der er seine Rakete abfeuerte; die Skydiver, die ihre Grimassen im Wind verewigen; die Frau, die sich in diesem Sommer genau dort auf die Straße stellte, wo das Peloton der Tour der France in vollem Tempo vorbei musste – ihnen allen geht es noch prächtig. Niemand hat ihnen ihre Handys weggenommen, keiner von ihnen einen Idiotentest verlangt. Sie werden für ihre Blödheiten noch belohnt, indem man sie zur Kenntnis nimmt. Durch diesen Artikel zum Beispiel. Den Gefahren der Selbstliebe entkommt man so leicht nicht.

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