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Kriminalität im Netz Das Darknet ist besser als sein Ruf

Der Attentäter von München kaufte seine Waffe im Darknet. Doch ein Hort des Bösen ist es deshalb noch lange nicht. Das "dunkle Netz" könnte in Zeiten der Überwachung sogar das bessere Internet werden.
Netzwerk-Kabelstecker

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Foto: Felix Kästle / picture alliance / dpa

Glaubt man so manchem deutschen Politiker, ist Darknet ein Synonym für einen dunklen Ort des Bösen, der ausgeleuchtet, besser noch verboten gehört. "Es darf doch wohl nicht wahr sein, dass man sich jede Waffe dieser Welt durch anonymes Surfen im Internet beschaffen kann", zeterte CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl. "Wir können im Rechtsstaat keine Inseln der Rechtlosigkeit tolerieren", sagte Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann von der CDU zwei Tage später.

Vergangenen Sonntag war bekannt geworden, dass der Amokschütze von München sich seine Tatwaffe, eine Glock 17, übers Darknet besorgt haben soll. Das lenkte wieder einmal die Aufmerksamkeit auf die klandestine, nicht einmal sonderlich große  Nische im Netz, von der viele Bürger fast ausschließlich im Zusammenhang mit Drogenhandel und Kriminalität etwas mitbekommen.

Ein aktueller Lagebericht  des Bundeskriminalamts (BKA) zu Cybercrime beschreibt eine "zunehmende Verlagerung von Delikten aus der analogen in die digitale Welt". Auf eine Nachfrage zur Bedeutung des Darknets ergänzt das BKA: "Wir stellen fest, dass in den letzten Jahren innerhalb des Darknets eine Vielzahl von kriminellen Handelsplattformen gegründet wurden, die dem Modell der legal zugängigen Onlinemarktplätze folgen." Es gebe "eine breit gefächerte Auswahl" an Illegalem zu kaufen.

Darknet wird auch für Deutschland wichtiger

Richtig ist: Ein Darknet bietet aufgrund seiner Architektur deutlich mehr Anonymität, als das offene Internet (siehe Infokasten weiter unten). Dieser virtuelle Hinterraum für Eingeweihte lockt auch Kriminelle. Doch Darknets sind auch ein wichtiges Werkzeug für Oppositionelle und Aktivisten in autoritären Regimen, für Whistleblower, für Journalisten und für Menschen, die sich überwacht fühlen, wenn sie ihren normalen Browser öffnen. Das "dunkle Netz" ist deshalb weit besser als sein Ruf.

"Das Darknet ist das Internet, wie man es sich eigentlich wünschen würde. Ein Netz ohne Zensur und Überwachung, mit all seinen Vor- und Nachteilen", sagt Linus Neumann, ein Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC). Dass in der deutschen Debatte die Darknet-Kriminalität so eine große Rolle spielt, hängt laut Neumann auch damit zusammen, dass man in einer relativ freien Gesellschaft lebt. "In einem Land wie China landest du schneller im Darknet, weil du deine Kommunikation stärker schützen musst."

Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) weiß, wie wichtig die Darknet-Kommunikation in Ländern wie Syrien oder Iran ist, in denen man mit freier Meinungsäußerung im Netz vorsichtig sein muss. Darknets seien trotzdem kein Thema, das nur weit entfernte Länder betreffe, sondern gerade auch für Deutschland relevant, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

"Auch hier wird das Internet immer mehr überwacht", sagt Mihr. "Und wir haben in vielen anderen Ländern schon gesehen: Mit zunehmender Überwachung steigt die Zahl derer, die die Anonymität von Darknets schätzen lernen."

Dass sich in Darknets auch Illegales abspiele, ist Mihr klar. In Deutschland sei das per Tor erreichbare Darknet vor allem ein Umschlagplatz für Drogen. "Aber wenn wir eine freie und pluralistische Gesellschaft wollen, muss es auch Orte wie das Darknet geben können. Wir haben ein Recht auf anonyme Kommunikation", sagt er. "Das Darknet ist ein Ort, der alles hat, was es in der normalen Welt auch gibt - mit besonders extremen Ausschlägen an den Rändern." Eine Gleichsetzung von Darknet und Kriminalität hält Mihr deshalb für "brandgefährlich".

Bemerkenswert unaufgeregt: das BKA

Annegret Falter meint, dass das Darknet auch für Whistleblower wichtig ist, also für Menschen, die auf Missstände in Unternehmen oder Behörden aufmerksam machen wollen. Die Vorsitzende des Vereins "Whistleblower Netzwerk" kritisiert, dass es in Deutschland nach wie vor keinen gesetzlichen Whistleblower-Schutz gebe. "Vielmehr werden Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit zunehmend bedroht durch neue gesetzliche Regelungen wie die zur Vorratsdatenspeicherung oder Datenhehlerei."

Solche Regeln könnten dazu führen, dass Whistleblower oder Journalisten eingeschüchtert werden - über das Darknet hingegen könnten Hinweisgeber anonym Datensätze hochladen. Falter rät Whistleblowern angesichts der schlechten Rechtslage sogar dazu, das Darknet zu benutzen.

Bemerkenswert unaufgeregt  ist in der aktuellen Debatte um das Darknet bislang das BKA geblieben. Es führt derzeit 85 Verfahren wegen möglichen Waffen- und Sprengstoffhandels im Darknet. Fünf illegale Plattformen seien 2015 in Deutschland aus dem Verkehr gezogen worden, dank einer international angelegten Polizeiaktion, sagte BKA-Präsident Holger Münch diese Woche in Wiesbaden.

Viele Nutzer machen Fehler, die die gewünschte Anonymität gefährden. Ermittler nutzen das aus und enttarnen Händler oder Kunden, die sich im Darknet sicher glaubten. Am Donnerstag erst hat das Landgericht Heidelberg einen Sportschützen zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte im Darknet illegal mit Waffen gehandelt.

BKA-Chef Münch bewerte die Bedeutung des "dunklen Netzes" beim Thema Waffenbeschaffung insgesamt zurückhaltend, heißt es. Auch er teile die Auffassung, dass das Darknet für die Kommunikation von Dissidenten wichtig sei, sagte er in Wiesbaden.

Und sogar aus dem Innenministerium kamen zuletzt vergleichsweise besonnene Töne: Dessen Sprecher Tobias Plate sagte, das Darknet an sich sei "weder gut noch böse" - sondern neutral.

Was ist das Darknet?

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