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Junge Demenz-Patienten Zwischen Berufsleben, Kindern und dem Vergessen

Gudrun T. war 62 Jahre alt, als ihre Alzheimer-Erkrankung mit Halluzinationen begann. Für junge Demenz-Patienten wie sie fehlt es an Hilfsangeboten, bemängeln Experten.
Demenz im Alter von 50 oder 60 Jahren: Zettel helfen, Selbstständigkeit zu bewahren

Demenz im Alter von 50 oder 60 Jahren: Zettel helfen, Selbstständigkeit zu bewahren

Foto: Hans-Jürgen Wiedl/ dpa

Die Krankheit begann mit Halluzinationen: Am Anfang war Gudrun T. überzeugt, dass sie einen Scheich als Mann habe und 18 Kinder. Nachdem Passanten die damals 62-Jährige eines Tages orientierungslos im Park fanden, untersuchte sie ein Experte. Computertomografie-Bilder ließen keinen Zweifel, die Münchnerin war an Alzheimer erkrankt.

Nach der Diagnose schloss sich Gudrun T. eine Woche lang zu Hause ein, schockiert von der Botschaft. Heute, vier Jahre später, hat sie sich damit arrangiert. Sie kann noch immer allein in ihrer Wohnung leben, bei der ehemaligen Heimerzieherin verläuft die Krankheit sehr, sehr langsam.

Dass eine Demenz so früh einsetzt, ist vergleichsweise ungewöhnlich. In Deutschland leben nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DAG) etwa 24.000 Menschen, die noch nicht 65 Jahre alt und schon an Demenz erkrankt sind. Nach Angaben des EU-Projekts "Rhapsody" gibt es pro Jahr 4800 neue Fälle. Bei dem Vorhaben vergleichen Experten seit rund einem Jahr etwa, wie sich verschiedene Länder auf die Bedürfnisse der vergleichsweise jungen Patienten einrichten.

Medizinisch ist noch wenig zu machen

Gudrun T. war bei ihrem ersten Besuch einer Demenzgruppe das fitte "Küken", wie sie es ausdrückt. Um Anschluss zu finden, verwiesen sie die Experten der Arbeiterwohlfahrt wenige Monate nach der Diagnose an die lokale Alzheimer-Gesellschaft. Der Kontakt zu anderen jungen Betroffenen half ihr, die Krankheit Stück für Stück zu akzeptieren.

Grudrun T. beim Gruppentreffen der Alzheimer-Gesellschaft in Münchens

Grudrun T. beim Gruppentreffen der Alzheimer-Gesellschaft in Münchens

Foto: DPA/ Andreas Gebert

Mediziner haben gegen Alzheimer kaum Mittel. Umso wichtiger sind Beratungsangebote, die den Betroffenen im Alltag helfen. Viele der Patienten, die mit erst 45, 50 oder 60 Jahren erkranken, stehen noch im Berufsleben, haben Kinder im Haus und mit der Diagnose einen sofortigen Berentungsgrund. "Gerade in strukturschwachen Regionen fehlen die Anlaufstellen", bemängelt Frank Jessen von der Uniklinik Köln. Ebenso mangele es im ganzen Land an speziellen Heimen oder Tagespflege, sagt Sabine Jansen, Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.

Missgeschicke nimmt Gudrun T. inzwischen mit Humor: Manchmal ziehe sie die Hose auf links an und bemerke das erst abends, erzählt sie. Und den Obstsalat, den sie glaubt, zu Weihnachten vorbereitet zu haben, habe sie bis heute nicht wiedergefunden. "Noch stinkt es nicht in der Wohnung", scherzt sie. Das Kochen hat sie dennoch sicherheitshalber aufgegeben.

Herausforderung - auch für Angehörige

Was lässt jüngere Menschen dement werden?

Bei einem Teil der Betroffenen geben genetische Ursachen den Ausschlag, sagt Frank Jessen vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Neben der familiären Alzheimer-Erkrankung seien Jüngere oft von der sogenannten frontotemporalen Demenz (FTD) betroffen. Dabei sterben Nervenzellen zunächst in jenen Teilen des Gehirns ab, die Gefühle und Sozialverhalten steuern.

"Beide Formen werden von Experten, etwa in Gedächtnisambulanzen, inzwischen gut diagnostiziert", sagte Jessen. Der Hausarzt hingegen stellt nicht immer die richtige Diagnose, sagt DAG-Geschäftsführerin Sabine Jansen: "Bei Patienten in dem Alter werden Gedächtnisschwächen eher mit Stress oder Burn-Out verbunden."

Einmal in der Woche bringt ein Pflegedienst die Medikamente vorbei. "Die gucken, ob ich noch da bin." Auf einem Tisch halte sie Dinge bereit, die sie am Tag brauche: Schlüssel, Notizen zu Erledigungen, Medikamente. Bei ihrem Bäcker, im Buchladen und der Blumenverkäuferin hat Gudrun T. von ihrer Demenz erzählt. "Am Anfang habe ich mich schwergetan. Jetzt gehe ich sehr offen damit um", sagt sie. Die Menschen reagierten zwar oft positiv, viele verschlossen aber auch die Augen vor ihr und der Krankheit. Auch in ihrer Familie.

Unterstützung vermisste sie vor allem in der Anfangszeit. "Jetzt brauche ich die auch nicht mehr", sagt sie, mit Ärger in der Stimme. Doch gerade für Angehörige sei die Lage schwierig: "Es sollte nicht sein, dass Ehen und Freundschaften durch die Krankheit kaputt gehen." Ein Ziel von "Rhapsody" ist deshalb auch ein E-Learning-Programm, das Angehörige in der Krankheitsbewältigung schult.

Für Gudrun T. bleibt die Gewissheit, dass ihr Gedächtnis sie mehr und mehr im Stich lassen wird. Sie wolle zu Hause bleiben, solange es gehe, sagt sie. Rund 200 Euro bekomme sie monatlich von der Pflegekasse, für Betreuungsleistungen und den Besuch von Alzheimer-Gruppen. "Mehr wird es wohl erst, wenn man ins Heim kommt." Davon, so hofft sie, ist sie noch ein Stück entfernt.

Von Gisela Gross, dpa