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Affäre um Ermittlungsverfahren Die Netzpolitik-Eskalation

Nach der geballten Empörung wegen der Netzpolitik-Ermittlungen bemühen sich die Sicherheitsbehörden um Schadensbegrenzung. Dabei verschwimmt, wer wirklich welche Rolle in der Affäre spielt. Die Übersicht.
Demonstration für die Pressefreiheit (in Berlin): Wer wollte was in der Affäre?

Demonstration für die Pressefreiheit (in Berlin): Wer wollte was in der Affäre?

Foto: Britta Pedersen/ dpa

So beginnt die Affäre

Am Anfang ist der Ärger des Agenten. Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) bringt die Ermittlungen gegen Journalisten des Portals Netzpolitik.org in Gang, als er im März und April zwei Strafanzeigen beim Berliner Landeskriminalamt (LKA) einreicht. Der BfV-Präsident stört sich an Veröffentlichungen der Seite, die aus vertraulichen Unterlagen seiner Behörde zitiert und diese ins Netz gestellt hatte.

Jetzt wird es ein wenig kompliziert. Das Berliner LKA fungiert als Schnittstelle für Bundesbehörden, wenn ein Verdacht auf den Verrat von Staatsgeheimnissen besteht. Daher leiten die Kriminalbeamten die Anzeigen routinemäßig an die Bundesanwaltschaft weiter. Dort wiederum schafft man zunächst einen sogenannten Prüfvorgang und bittet das BfV um ein Gutachten: Welche Qualität haben die im Internet veröffentlichten Papiere? Geht es wirklich um Staatsgeheimnisse? Nur dann wäre Karlsruhe zuständig.

Nachdem das BfV in einer umfangreichen Stellungnahme zurückmeldet, die Dokumente erfüllten dieses Kriterium, leitet Generalbundesanwalt Harald Range am 13. Mai ein Ermittlungsverfahren ein. Es richtet sich gegen die Netzpolitik-Journalisten Markus Beckedahl und Andre Meister sowie auch gegen unbekannt - den Informanten der Reporter.

Warum leitet der Generalbundesanwalt das Verfahren überhaupt ein?

Dieser Schritt dürfte Range nicht leichtgefallen sein, er ist alles andere als ein juristischer Draufgänger. Offenbar aber sieht er angesichts der schriftlichen BfV-Expertise keine andere Möglichkeit. In einer Mitteilung Ranges dazu heißt es: Die Bundesanwaltschaft sei angehalten gewesen, ein Verfahren "auch gegen die bislang unbekannten, ihr Dienstgeheimnis verletzenden Geheimnisträger einzuleiten". Alles andere wäre strafprozessual schwierig zu begründen gewesen. Vor allem aber hätte es einen furchtbaren Affront gegenüber dem BfV und dessen vorgesetzter Behörde, dem Bundesinnenministerium, bedeutet.

Zugleich aber verfügt Range "mit Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit", dass keine Maßnahme gegen die Journalisten ergriffen werden soll: Das Bundeskriminalamt darf also keine Telefone überwachen, nicht observieren, keine Vernehmungen durchführen und auch nichts durchsuchen. Damit beraubt Range seine Leute de facto sämtlicher Möglichkeiten der Recherche. Das ist ein deutliches Indiz, wie das Verfahren von Beginn an ausgehen soll: Wenn schon ermittelt werden muss, dann bitte so wenig wie möglich. Das ist Ranges Kompromiss.

Warum lässt Range das Gutachten des BfV noch mal prüfen?

Ein weiterer Schritt ist ziemlich ungewöhnlich: Range beauftragt einen externen Wissenschaftler mit der Frage, ob die veröffentlichten Papiere wirklich Staatsgeheimnisse sind - "zur Wahrung und Sicherung der Objektivität", wie die Bundesanwaltschaft mitteilt. Dabei hatte das BfV diese Frage bereits eindeutig beantwortet. Viel deutlicher können die trockenen Juristen aus Karlsruhe ihr Misstrauen gegenüber dem Verfassungsschutz kaum ausdrücken.

Zwei Wochen später informiert Range dann seine Vorgesetzten im Bundesministerium der Justiz. Von dort, auch das nicht gerade ein feiner Zug, heißt es jetzt, man habe den Generalbundesanwalt daraufhin sehr deutlich vor den Ermittlungen in der Sache gewarnt: Die Angelegenheit sei zu heikel und aussichtslos. Ranges Leute wollen hingegen aus Berlin lediglich Hinweise zur generellen Schwierigkeit des Verfahrens vernommen haben. Von deutlichen Warnungen könne keine Rede sein, heißt es.

Was wir hier zu sehen bekommen, scheint ein Glanzstück ministerialbürokratischer Kommunikation zu sein: Das Justizministerium schickt wohl - die Brisanz der Sache erahnend - der Bundesanwaltschaft einen Brief, auf den sich Justizminister Heiko Maas (SPD) später berufen und sich damit aus der Affäre ziehen kann. Zugleich ist der Inhalt aber so wachsweich, dass daraus kein Stopp des Ermittlungsverfahrens erwachsen muss. Denn das wiederum hätten Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und das BfV nicht hingenommen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss Range klar gewesen sein, dass er in diesem Skandal den Sündenbock wird abgeben müssen.

Der gut abgesicherte Innenminister

Innenminister de Mazière hingegen ergreift früh Schutzmaßnahmen. Lediglich die zuständige Staatssekretärin Emily Haber und Abteilungsleiter Stefan Kaller seien über Maaßens Anzeigen informiert gewesen, heißt es aus seinem Haus. Bis zum Minister sei die Causa gar nicht durchgedrungen. Wenn das zutrifft, darf man getrost davon ausgehen, dass die Nichtunterrichtung des Ministers kein Zufall oder Versehen gewesen ist. Hier soll de Mazière geschützt werden. Denn natürlich hätte der Innenminister das BfV daran hindern können, Anzeigen zu erstatten, aus denen Verfahren gegen Journalisten entstehen müssen.

Am Ende lacht Maaßen?

Und Chefagent Maaßen? Er wird sein Ziel vielleicht auch dann erreichen, wenn die Ermittlungen aller Voraussicht nach sehr bald schon erfolglos eingestellt werden. Ein Ende der Veröffentlichungen. Der Chef des Inlandsnachrichtendiensts stört sich nämlich vor allem an Durchstechereien: "Wenn eingestufte Geheimdokumente in die Öffentlichkeit gelangen, ist das ohne Zweifel eine Straftat nach dem deutschen Strafgesetzbuch. Da müsste es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, Anzeige zu erstatten", teilt ein Sprecher seines Hauses mit.

Womöglich aber bekommt der Informant im Nachgang der Affäre nun kalte Füße. Dann wäre Maaßens Plan aufgegangen.