Kommentar

Der Krieg als politisches Manöver

Jahrzehntelang konnte die PKK militärisch nicht besiegt werden. Womöglich geht es Präsident Erdogan aber auch um etwas ganz anderes.

Daniel Steinvorth
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Recep Tayyip Erdogan erklärt den Friedensprozess mit der PKK für gescheitert. (Bild: Imago)

Recep Tayyip Erdogan erklärt den Friedensprozess mit der PKK für gescheitert. (Bild: Imago)

Der Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bewegung ist vorerst Geschichte. Dass ihn Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag für gescheitert erklärte, war freilich nur noch Formsache. Der neue Luftkrieg der türkischen Armee gegen Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Nordirak und die Massenverhaftungen mutmasslicher PKK-Anhänger in der Türkei liessen schon zuvor keinen Zweifel aufkommen, dass von Erdogans einst kühnstem Projekt nichts geblieben ist. Bedenkt man, welche Fortschritte in diesem jahrzehntealten Konflikt zuletzt erzielt wurden, ist das ein niederschmetternder Befund. Schon scheint völlig vergessen, dass türkische Offizielle drei Jahre lang mit dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan verhandelten und dass beide Seiten erst im Februar dieses Jahres einen Zehn-Punkte-Plan zur Lösung der Kurdenfrage vorgestellt haben. Wie einfach hätte dieser Plan implementiert werden können! Mit der Einführung kurdischsprachigen Unterrichts hatte die Regierung ja bereits angefangen. Einen eigenständigen Kurdenstaat auf dem Gebiet der Türkei will auch Öcalan schon seit Jahren nicht mehr. Welche Kräfte also standen dem Frieden im Weg?

Angst vor Freiheitsgelüsten

Da wäre vor allem Erdogan selber. Der türkische Präsident bekam es durch die Entwicklungen im Norden Syriens mit der Angst zu tun. Missgünstig verfolgte er, wie die mit der PKK verbandelten Volksverteidigungseinheiten (YPG) entlang der türkischen Grenze immer weitere Landstriche unter ihre Kontrolle brachten. Dass sich die YPG und die irakischen Peschmerga als die bisher schlagkräftigsten Kämpfer gegen den Islamischen Staat (IS) behaupten, mag den Rest der Welt erfreut haben. Für Erdogan aber wie für die türkische Generalität war der Erfolg der Freischärler ein Problem, da sie diese als Appetitanreger für kurdische Freiheitsgelüste im eigenen Land verstehen. Der IS hingegen wurde von Ankara bisher bestenfalls als das kleinere Übel, schlimmstenfalls sogar als ein nützliches Übel betrachtet – im Kampf gegen die YPG sowie gegen Diktator Bashar al-Asad. Eine aussenpolitische Kehrtwende hat die Regierung nach dem brutalen IS-Anschlag in Suruç, der 32 junge Kurden und Türken das Leben kostete, zwar mittlerweile versprochen. An der internationalen Koalition gegen die Extremisten beteiligt sich die Türkei nun auch militärisch. Sie erlaubt den USA, zwei Luftwaffenstützpunkte zu nutzen und flog bereits selber einen Einsatz gegen die Jihadisten.

Erdogans Krieg gegen den Terror ist bis jetzt aber in erster Linie ein Krieg gegen die PKK: Mindestens 300 Bomben sollen im Nordirak allein an drei Tagen abgeworfen worden sein. Zudem bleibt die Frage, ob die türkische Armee in Syrien nicht nur gegen den IS, sondern auch gegen die YPG vorgegangen ist, wie ihr dies die Kurden vorwerfen. Da sie den syrischen PKK-Ableger als dem IS ebenbürtige Gefahr ansieht, hätte sie ein Motiv. Mit einem Islamischen Staat in seiner Nachbarschaft schien sich Erdogan ja die längste Zeit arrangieren zu können, mit einem kurdischen nicht. Dass diese Haltung gegenüber dem IS auch in der Türkei die Spannungen zwischen dem Staat und den Kurden verschärfen musste, war abzusehen. Erdogan muss es bewusst in Kauf genommen haben.

Auch die PKK ist diskreditiert

So weit wuchs schliesslich das Misstrauen, dass viele Kurden dem türkischen Staat eine Mitschuld an dem Anschlag von Suruç unterstellten oder ihn gar als Drahtzieher vermuteten. Nur kurz danach tötete die PKK drei türkische Polizisten, die angeblich mit dem IS zusammengearbeitet hatten. Auch die PKK, die eben noch als Befreierin der Jesiden im Irak international Sympathien sammeln konnte, diskreditiert sich damit im Friedensprozess. Die gemässigten Kräfte aber stehen nun unter doppeltem Druck: vonseiten der kurdischen Hardliner und vonseiten des Staates. Schon droht Erdogan allen Politikern der prokurdischen Oppositionspartei HDP mit Repressionen, sollten sie Verbindungen zu «terroristischen Gruppen» haben. Für den Präsidenten hat das Ganze durchaus etwas Verlockendes. In einer Atmosphäre neuer Gewalt und nationalistischer Aufwallung kann er sich als starker Mann positionieren. Sollten die Koalitionsgespräche in der Türkei wie erwartet scheitern und es zu Neuwahlen kommen, hofft Erdogan Stimmen für seine AKP zurückzugewinnen, die zuletzt an die rechte Konkurrenz gingen. Er weiss: Auch wenn sich die PKK militärisch nicht besiegen lässt – politisch instrumentalisieren lässt sie sich allemal.

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