Julian Petrin und Kajetan Lis Moderne Stadtplanung funktioniert nur mit den Bürgern

Mönchengladbach · Die Arbeiten zum "Integrierten Handlungskonzept Alt-Mönchengladbach" sind angelaufen. Julian Petrin vom Hamburger Büro Urbanista und der Gladbacher Stadtplaner Kajetan Lis sprechen über Bürgerbeteiligung und "produktive Konkurrenz". Und sie betonen die Scharnierfunktion des Minto.

 Julian Petrin (l.) ist seit 1997 Gründungsgesellschafter von Urbanista, Stadtplaner Kajetan Lis begleitete bereits die Soziale Stadt Rheydt und schrieb seine Diplom-Arbeit zum Thema "Belebung der Mönchengladbacher Innenstadt".

Julian Petrin (l.) ist seit 1997 Gründungsgesellschafter von Urbanista, Stadtplaner Kajetan Lis begleitete bereits die Soziale Stadt Rheydt und schrieb seine Diplom-Arbeit zum Thema "Belebung der Mönchengladbacher Innenstadt".

Foto: Ilgner

Herr Petrin, Ihre Projekte tragen Namen wie "Hameln 2030". Auf welchen Zeithorizont müssen sich die Mönchengladbacher einstellen, wenn es um die Aufwertung ihrer Innenstadt geht?

Julian Petrin Ein solcher Prozess bewegt sich meist in Phasen. Man wird hier in Gladbach relativ zügig mit einigen Starterprojekten beginnen können, dennoch müssen zunächst das Integrierte Handlungskonzept erstellt und zum Ende des Jahres Förderanträge gestellt werden. Für die Erstellung des Konzeptes ist die Meinung der Gladbacher wichtig. Der erste Stadtcheck, bei dem wir die Bürger befragen, findet schon am 16. Februar am Hauptbahnhof statt, der nächste folgt am 17. Februar am Minto, und Ende März sind wir am Adenauerplatz. So sollen möglichst konkrete Projekte identifiziert werden, die dann auch hoffentlich schnell in die Umsetzung gehen. Das Integrierte Handlungskonzept ist ja umsetzungsorientiert. Es wird natürlich auch größere Projekte geben, die erst in einigen Jahren in Angriff genommen werden können. Dennoch wird schnell Bewegung reinkommen, sobald die Stadt in ein Förderprogramm aufgenommen wird.

Sie sind Geschäftsführer des Hamburger Büros Urbanista, das wegen seiner herausragenden Methode bei den Beteiligungsverfahren mit der Stadt Braunschweig mit dem Politik Award 2016 im Bereich Partizipation ausgezeichnet wurde. Wie sieht Beteiligung in Stadtentwicklungsprozessen aus? Was bringt sie?

Petrin Es gibt in den letzten Jahren vermehrt den Ruf nach mehr Mitsprache, der teilweise sogar "bedrohliche" Formen annimmt. Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe, die instabiler werdende Demokratie vor Ort wieder aufzubauen. Das versuchen wir in den Beteiligungsprozessen. Die Menschen, die im Quartier leben, bringen ein riesiges Wissen mit. Das muss genutzt werden. Im Quartier leben die Alltagsexperten, wir Planer sind Übersichtsexperten. Wir sprechen deshalb nicht so sehr von klassischer Beteiligung, sondern von Koproduktion. Wir setzen die Projekte gemeinsam mit den Bürgern um.

Herr Lis, hat die Stadt Mönchengladbach aus so konfliktträchtigen Projekten wie Stuttgart 21 gelernt und deshalb Urbanista eingebunden?

Kajetan Lis Nein, für unsere Planergeneration ist die Bürgerbeteiligung ein normaler Prozess, sie wird ja auch vom Fördergeber immer mehr gefordert. Wir haben das bei der Umgestaltung in Rheydt 2007/2008 genauso gemacht, und da gab es Stuttgart 21 noch gar nicht. Es ist einfach so, dass, wer im Quartier lebt, dieses ganz anders kennt als die Stadtplaner.

Aber liegt nicht auch eine Gefahr darin, Kommunikation zu versprechen? Man wird doch nie alle Vorschläge berücksichtigen können.

Petrin Kommunikation ist immer ein Risiko. Konflikte gehören dazu. Es geht auch nicht darum, es allen recht zu machen, das wird nicht funktionieren. Aber alle sollen am Ende wissen, wie das Ergebnis zustande gekommen ist. Es muss ein faires Verfahren geben, die Argumentation muss nachvollziehbar sein, dann entsteht auch Akzeptanz. Hier in Mönchengladbach wollen wir wissen, wo die Bürger Veränderungen wollen und wo nicht. Im Laufe des Verfahrens werden wir die Orte identifizieren, wo angesetzt werden soll.

Lis Kommunikation ist eine Riesenchance. In den Stadtteilkonferenzen diskutieren die Bürger auch untereinander. Im Dialog entsteht Verständnis für Aktionen und Projekte, und es wird auch allen deutlich, dass die Verwaltung nicht einfach Dinge umsetzt, sondern dass dahinter die Wünsche der Bürger stehen. Ohne Erklärungen und Transparenz kommt es zu Unverständnis und Wut.

Welche Stärken, welche Schwächen und welche Besonderheiten hat der Bereich, der von dem Stadtumbau betroffen sein wird?

Petrin Ich kenne die Gladbacher Innenstadt noch von früher, als ich als Düsseldorfer in die Gladbacher Altstadt zum Feiern kam. Als ich vor einigen Jahren - vor der Fertigstellung des Minto - wieder herkam, war ich überrascht, wie wenig Dynamik es an manchen Orten gab. Einiges hat sich seitdem schon geändert. Ein Pluspunkt der Stadt ist die enge Verbindung der Wohnquartiere mit der Innenstadt. Das ist eine große Chance. Der Abteiberg muss noch mehr in Szene gesetzt werden, er setzt der Innenstadt die Krone auf. Gladbach hat ein großes Potenzial, aber es fliegt noch nicht so richtig.

Sind die zwei Stadtzentren in Gladbach und Rheydt eine Chance oder ein Fluch?

Petrin Zwei Stadtzentren sind immer eine Herausforderung. Aber in Gladbach und Rheydt funktioniert das noch recht gut, verglichen mit anderen Doppelstädten. Man darf aber nicht versuchen, zweimal das Gleiche zu machen, sondern beide Zentren müssen ein eigenes Profil entwickeln. Dann kann es zu produktiver Konkurrenz kommen.

Lis Es wäre eine vertane Chance, alles zu doppeln. Der Rheydter Markt beispielsweise ist wunderschön und hat ein regionales Einzugsgebiet, Gladbach dagegen punktet unter anderem mit dem Abteiberg.

Welchen Unterschied sehen Sie zwischen dem Stadtsanierungsprozess in Rheydt und dem in Mönchengladbach?

Lis Es sind zwei verschiedene Orte, aber das Verfahren ist nicht so unterschiedlich. Den Prozess haben wir in Rheydt gemeinsam mit der Stadtentwicklungsgesellschaft NRW durchgeführt, die ist auch in Gladbach wieder mit im Boot.

Wir haben uns am Adenauerplatz getroffen, der das Dilemma der Innenstadt exemplarisch aufzeigt: zentral gelegen, von ansprechenden Gebäuden umgeben, aber nicht zuletzt aufgrund der klammen Finanzen in beklagenswertem Zustand. Fördergelder hin oder her - wie kann es nachhaltig gelingen, solche Plätze attraktiver zu gestalten?

Lis Die Unterhaltung der Anlagen muss natürlich hinterher gewährleistet sein, aber es muss auch einen Erziehungsprozess geben. Der Mensch ist leider so: Er geht jeden Tag in einen Park und lässt trotzdem seinen Müll da. Man muss permanent dranbleiben, flankierende Maßnahmen nutzen, die Schulen, Kindergärten oder sozialen Einrichtungen wie Café Pflaster einbinden. Die Förderung läuft meist zehn bis zwölf Jahre. In dieser Zeit muss man die Verstetigung schaffen.

Petrin Es ist wichtig, die Idee der gemeinsamen Eigentümerschaft der Bürger zu vermitteln. Das gelingt am besten, wenn die Bürger schon in die Entwicklung der Projekte einbezogen werden.

Es soll mehr Grün in der Innenstadt geben. Wo ist denn überhaupt Platz dafür?

Lis Mönchengladbach ist grün, das zeigen die Luftaufnahmen ja sehr deutlich. Aber die Innenstadt ist natürlich ein hochverdichteter Bereich. Daraus können und wollen wir keine Stadtlandschaft machen. Es geht darum, das, was da ist, zu verbinden: den Adenauerplatz, den Hans-Jonas-Park, den Geroweiher. Das Minto muss Scharnierfunktion haben, es darf nicht als Riegel wahrgenommen werden.

Petrin Die Menschen wollen Grün vor der Haustür, kleine Beete, die sie pflegen können oder Parks mit Aufenthaltsqualität.

Gibt es Leuchtturmprojekte, die besonders wichtig sind und schnell umgesetzt werden sollten?

Lis Es soll eher eine stetige Entwicklung sein, die auf Dauer Früchte trägt. Wir befinden uns in einer sehr positiven Situation. Die Stadt hat Lust, Veränderungen anzugehen, und es gibt Aufmerksamkeit von außen. Es geht aber nicht nur um die Großprojekte City Ost oder das Maria-Hilf-Gelände, sondern wir müssen auch in kleineren Dimensionen denken und Impulsprojekte umsetzen.

In welchem Maße fließen die Leitlinien des Masterplans mit in die Planungen ein? Was ist zum Beispiel, wenn die Bürger plötzlich etwas ganz anderes wollen, als es der Masterplan vorsieht?

Lis Die Bevölkerung verändert sich, die Wahrnehmung auch. Aber der Masterplan ist eine gute Basis, auf die man aufbauen kann. Wir sind dabei, alle Konzepte zusammenzuführen, auch das zur Nahmobilität oder zur Schulentwicklung. Und wir müssen uns ständig selbst reflektieren.

Ein Kernproblem der City ist die ungeklärte Zukunft der Oberstadt.

Lis Wir untersuchen die Möglichkeiten, aber gerade in der Innenstadt gibt es besondere Schwierigkeiten, weil die Immobilieneigentümer oft nicht in der Stadt wohnen, keine Bindung, aber andere Erwartungen haben. Auch die Wohnnutzung in der Innenstadt macht immer wieder Probleme, weil sie in Konflikt mit Handel und Gastronomie gerät. Man möchte zwar eine Kneipe in hundert Metern Entfernung haben, liegt sie aber nur zehn Meter entfernt, wird dagegen geklagt.

Petrin Die Ausgangslage ist aber günstig, weil es so viele Initiativen gibt, mit denen man sprechen und die man einbinden kann wie die Altstadt-Initiative, den Club der Wirte, die IG Westend oder die IG Wallstraße. Daher sind die Chancen, Dinge gemeinsam zu gestalten, sehr groß.

ANGELA RIETDORF, DENISA RICHTERS UND JAN SCHNETTLER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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