Werfen wir einen hypothetischen Blick auf das Internet der kommenden Jahre: Der Stream dominiert unser digitales Leben, Algorithmen wählen Inhalte für uns aus, maßgeschneidert auf unsere Vorlieben. Fernsehen, Musik und Games kommen aus der Cloud und Google kann mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, was wir letzten Sommer getan haben. Aber es gibt auch ein anderes Netz, bestehend aus Communitys, die abgegrenzter denn je sind. Denn nur wer das richtige Erbgut besitzt, darf sie betreten; die DNA ist die Eintrittskarte im Netz von Morgen.

Was wie eine Zukunftsvision klingt, ist technisch bereits möglich. Das zeigt ein Projekt namens Genetic Access Control, das vor drei Tagen auf der Entwicklerplattform Github aufgetaucht ist. Es bietet Websitebetreibern die Möglichkeit, die genetischen Informationen der Besucher zur Voraussetzung für einen Login zu machen. Es ist bislang nur ein sogenanntes Proof of Concept und wird zurzeit auf keiner echten Website eingesetzt. Doch die Implikationen sind ebenso spannend wie gruselig.

Login per DNA-Profil

Zunächst die Funktionsweise: Der oder die Entwickler mit den Namen Offensive Computing nutzen für ihr Projekt das OAuth-Protokoll. Viele Nutzer dürften das bereits in der einen oder anderen Form kennen. Es ermöglicht, sich auf Websites über externe Dienste anzumelden, etwa per Facebook- oder Google-Account. Das Protokoll kontaktiert die jeweilige Entwicklerschnittstelle (API) des gewünschten Dienstes und greift dort auf einige Informationen, etwa den Nutzernamen, zurück. Der Vorteil ist, dass sich die Nutzer nicht noch einen zusätzlichen Account merken müssen.

Im Fall von Genetic Access Control kontaktiert OAuth die API von 23andMe. Die Biotechnologiefirma aus dem Silicon Valley bietet seit einigen Jahren Menschen an, ihr Erbgut zu analysieren. Für 99 US-Dollar kann man den Forschern eine Speichelprobe schicken, die anschließend einer Genotypisierung unterzogen wird: 23andMe erstellt einen genetischen Fingerabdruck, der unter anderem Hinweise auf die persönliche Abstammung liefert. Zwischenzeitig warb das Unternehmen auch damit, mögliche Gesundheitsrisiken feststellen zu können. Dieses Angebot untersagte vor zwei Jahren aber die US-Arzneimittelbehörde. Heute dient der Gentest vor allem dazu, einen Stammbaum zu erstellen.

Er könnte aber eben auch zur Identifizierung verwendet werden wie bei Genetic Access Control. Wer sich auf der Dummy-Website anmelden möchte, muss seine Logindaten von 23andMe angeben und anschließend bestätigen, dass die Website auf einige der bei 23andMe hinterlegten genetischen Informationen zugreifen darf. Nur wenn diese mit den gewünschten Vorgaben übereinstimmen, kann der Besucher die Website betreten. Die naheliegenden Vorgaben wären das Geschlecht der Besucher oder ihre Abstammung. Anders gesagt: Die Technik könnte ganz neue Möglichkeiten bieten, einzelne Internetnutzer ein- oder auszuschließen.

So könnte ein abgelehnter Login-Versuch aussehen. © Screenshot

"Ein sicherer Ort für Frauen"

Ein paar gut gemeinte Vorschläge liefern die Entwickler gleich mit. So könnten Frauen einen "sicheren Ort" errichten, in dem sie sich frei von männlichen Angriffen austauschen können, etwa in Selbsthilfegruppen. Ethnisch-religiöse Gruppen wie aschkenasische Juden könnten für ihre privaten Communitys die Technik nutzen. Pharmaunternehmen könnten den Zugang zu bestimmten Medikamenten beschränken, wenn bestimmte genetische Prädispositionen zu Nebenwirkungen führen könnten.

Es ist aber vor allem ein unheimlicher Gedanke, spricht er doch gegen das egalitäre Prinzip des World Wide Web, in dem sich Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht und Abstammung treffen und austauschen. Ein Türsteher auf Basis der DNA würde einige Teile des Internets nicht nur beschränken, sondern vor allem auch neue Dimensionen von Diskriminierung ermöglichen: Eine Meldung wie "Ungültig! Du trägst nur 22,72 Prozent der erlaubten europäischen Herkunft in dir" erinnert an dystopische Filme wie Gattaca und die Theorie der Eugenik.